Drei Jahre musste man corona-bedingt pausieren, im Oktober 2022 hatte die italienische Fährreederei GNV jedoch endlich wieder Grund zum Feiern: Im 30. Jahr seines Bestehens verlieh das Unternehmen wieder die „GNV Awards“. Kai Ortel war bei dem Event in Genua mit dabei.
Ganz ungewohnt liegt die RHAPSODY an diesem Sonntag am Ponte Cristoforo Colombo, der in Genua eigentlich den Fähren nach Tunesien und Marokko vorbehalten ist. Doch die 1996 gebaute Fähre wird heute nicht ablegen; stattdessen gehen im Laufe des Tages mehr als 300 italienische und internationale Journalisten und Vertreter von Reisebüros an Bord. Dort werden am Abend die GNV Awards verliehen und die Elite-Partner der Reederei nominiert. Die Veranstaltung hatte zwei Jahre pausieren müssen, nun aber lässt es sich GNV einiges kosten, sich und den zurückgekehrten Geschäftserfolg gebührend zu feiern.
Denn die Beförderungszahlen, die im Rahmen des Events vorgestellt werden, sind tatsächlich ein Grund zur Freude: Im Vergleich zum Sommer 2021 ist die Zahl der beförderten Passagiere im selben Zeitraum 2022 um 46 % gestiegen. Vor allem die Destinationen Sizilien und Sardinien wuchsen mit einem Plus von 22 % bzw. 45 % gegenüber dem Vorjahr. Die Reisebüros bestätigten sich dabei als bedeutendster Vertriebskanal für das Unternehmen und verzeichneten einen Buchungsanstieg um 37 % im Vergleich zu 2021, ein positives Zeichen der Erholung nach den schwierigen Vorjahren.
„In diesem Sommer haben wir äußerst positive Ergebnisse erzielt, weshalb wir uns entschieden haben, die Maßnahmen der letzten Saison mit einigen Verbesserungen zu bestätigen“, kommentiert Matteo Della Valle, Director Passenger Sales & Marketing bei GNV. So will die Reederei ihr Engagement nicht nur auf Sizilien und Sardinien sowie auf den Balearen und in Tunesien verstärken, sondern auch weiterhin in die Verbindungen nach Albanien und Marokko investieren. Mit einer Flotte von 25 Schiffen betreibt GNV aktuell 31 Linien in sieben Ländern – von und nach Sardinien, Sizilien, Spanien, Frankreich, Albanien, Tunesien, Marokko und Malta. Zwei Millionen Passagiere befördern die GNV-Fähren dabei jährlich. 50 % der GNV-Gäste sind Italiener, die übrigen 50 % verteilen sich überwiegend auf die anderen europäischen Märkte, wobei Frankreich und Deutschland als Quellmärkte aktuell besonders stark wachsen.
Von Grimaldi zu MSC
Als die Reederei 1992 von Aldo Grimaldi gegründet wurde, nahm sich das Portfolio noch bescheidener aus. Grandi Navi Veloci („Große schnelle Schiffe“) ging 1993 mit dem Neubau MAJESTIC an den Start, das Schwesterschiff SPLENDID folgte ein Jahr später. Doch die Schiffe der Reederei hoben sich von Beginn an von ihren Mitbewerbern im selben Fahrtgebiet ab. Zwischen Genua und Palermo bzw. Genua und Porto Torres fanden die Passagiere plötzlich Kreuzfahrtstandard vor, wo die Fähren der staatlichen Konkurrenz bis dahin eher spröden Charme versprüht hatten. Ganz bescheiden stand damals noch in kleinen Buchstaben „Grimaldi Lines“ auf dem Rumpf, doch das sollte sich bald ändern. Im Jahr 1999 ging Grandi Navi Veloci an die Börse; kurze Zeit später übernahm der Investmentfond Permira das Ruder, um eine weitere Expansion zu ermöglichen. Höhepunkt dieser Entwicklung war 2002/03 die Indienststellung der Luxusfähren LA SUPERBA und LA SUPREMA, die 3.000 Passagiere und über 700 Autos aufnehmen können. 2009 zog sich Grimaldi aus der Reederei zurück, die ein Jahr später von der MSC-Gruppe übernommen und mit deren Tochtergesellschaft SNAV verschmolzen wurde. Seitdem sind Flotte und Routennetzwerk kontinuierlich gewachsen. Darüber hinaus machen seit 2015 die drei riesigen blauen Buchstaben „GNV“ auf dem Schiffsrumpf weithin sichtbar, zu welcher Reederei die „großen schnellen Schiffe“ gehören.
Die Rhapsody
Die ohnehin schon wuchtig wirkende RHAPSODY macht hierbei keine Ausnahme; die drei Lettern verstärken nur noch den Eindruck von einer wahrhaft großen Fähre. 2015 stieß sie zur GNV-Flotte, damals war sie nach 20 Jahren Zugehörigkeit zur französischen Korsika-Reederei SNCM unter die italienische Flagge gewechselt. Ihre französische Vergangenheit kann sie jedoch auch sieben Jahre später noch immer nicht leugnen. Die Restaurants an Bord tragen weiterhin Namen wie „Montparnasse“ oder „Sillage d’Argent“, die Pool-Bar heißt „Le Lagon“, und die Shops an Bord sind wie selbstverständlich Boutiquen. Auch umweht die RHAPSODY, die früher NAPOLEON BONAPARTE hieß, noch immer das Flair französischer Leichtigkeit. Gleich über zwei Decks verläuft an Backbord eine schöne licht-durchflutete Promenade, und dass dieses Schiff für französisches „Savoir vivre“ auf See konzipiert worden ist, erkennt man daran, dass es an Bord gleich vier Restaurants gibt, aber nur eine größere Lounge. Dafür befindet sich vorne im Schiff das riesige Show-Theater „Galaxie“ (in dem auch die GNV Awards verliehen werden) und gleich darunter ein großes Konferenz-Zentrum. Kein Wunder, dass die RHAPSODY nicht nur für Events wie die GNV Awards zum Einsatz kommt, sondern auch regelmäßig als Wohnschiff oder für Kreuzfahrten verchartert wird. Dass die schöne Piano Lounge „La Vigie“ an diesem Wochenende genauso geschlossen ist wie die Diskothek „Le Discofolies“, mag dem Charakter des Events geschuldet sein, ebenso die Tatsache, dass der Pool unter der offenen Kuppel der Poolbar „Le Lagon“ ohne Wasser ist. Davon abgesehen, ist die RHAPSODY jedoch eine Mittelmeerfähre, die kaum einen Wunsch offen lässt. Mit ihrer Kapazität für 2.448 Passagiere bedient sie für gewöhnlich die Strecke Genua – Porto Torres, kam aber in der Vergangenheit auch schon zwischen Bari und Durres und auf der Linie Genua – Barcelona – Tanger zum Einsatz.
Die Zukunft
Nachdem allein in den vergangenen zwei Jahren gleich acht Schiffe zur GNV-Flotte neu hinzugestoßen sind (GNV ARIES, GNV ANTARES, GNV BRIDGE und GNV SEALAND 2021, GOLDEN BRIDGE, GNV SPIRIT, TENACIA und FORZA 2022), will die Reederei in den nächsten Jahren ca. 500 Millionen € investieren, um die Flotte noch weiter auszubauen. Kernstück dieser Expansion sind vier Neubauten, welche die MSC-Gruppe Ende 2021 bei der chinesischen Guangzhou Shipyard International (GSI) bestellt hat und die ab 2024 an GNV ausgeliefert werden sollen. Die ersten beiden Schiffe werden noch mit herkömmlichem Treibstoff fahren und mit Scrubbern ausgerüstet, die Einheiten 3 und 4 dagegen sollen für einen Betrieb mit LNG ausgelegt sein. Hinsichtlich ihrer Kapazität orientieren sich die Neubauten mit 3.100 Lademetern an den Schwesterschiffen LA SUPERBA und LA SUPREMA, verfügen jedoch mit einem Fassungsvermögen für 1.500 Passagiere nur über die Hälfte der Passagierkapazität der gegenwärtigen Flaggschiffe. Der Trend geht damit auch bei GNV zu RoPax-Fähren – Schiffen, die gleichzeitig über eine hohe Fracht- und Personenkapazität verfügen, ohne aber die riesigen Bettenzahlen (und hohen Betriebskosten) der Schiffe vergangener Tage aufzuweisen.
Hauptziel von GNV ist es nach eigenen Angaben, in den kommenden Monaten und Jahren in allen Fahrtgebieten, wo die Reederei vertreten ist, den eigenen Marktanteil auszubauen. Was neue Projekte, Märkte und Linien betrifft, will man diese auch weiterhin erst kurzfristig bekanntgeben. Eines ist jedoch sicher: Eine Expansion außerhalb des Mittelmeers ist nicht geplant. Allerdings können, anders als in der Vergangenheit, künftig auch kürzere Verbindungen im Portfolio von GNV auftauchen.
Fürs erste jedoch will GNV 2023 seine starke Präsenz auf dem italienischen Markt weiter ausbauen: Auf Sardinien wird die Gesellschaft mit sechs Abfahrten pro Woche zwischen Civitavecchia und Olbia vertreten sein. Außerdem wird das Angebot mit je vier Schiffen auf den Routen Genua – Olbia und Genua – Porto Torres und zwei täglichen Abfahrten auf beiden Linien erweitert. Auch Sizilien wird GNV weiterhin mit den wichtigsten italienischen Häfen verbinden – dank der täglich bedienten Routen zwischen Palermo und Genua bzw. Neapel, den Linien von Palermo bzw. Termini Imerese nach Civitavecchia sowie der Verbindung Termini Imerese – Neapel. Darüber hinaus bestätigt GNV auch seine Präsenz in Spanien – auf den Balearen mit vier Schiffen und täglichen Abfahrten zwischen Barcelona bzw. Valencia und Menorca, Palma de Mallorca und Ibiza. Dadurch werden tägliche Verbindungen vom spanischen Festland zu allen Inseln gewährleistet. In Marokko wiederum wird die Gesellschaft mit sechs Linien von und nach Italien, Spanien und Frankreich vertreten sein. 30 Jahre nach der Gründung der Reederei sind die Fähren von GNV aus den Häfen im westlichen Mittelmeer nicht mehr wegzudenken.