Bis zum Oktober nächsten Jahres zum Abschluss kommen soll der Ersatzneubau der beiden ältesten Liegeplätze im Überseehafen Rostock, der am 19. April 2022 in Anwesenheit des Wirtschaftsministers von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Meyer, des Sozialsenators der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, Steffen Bockhahn, sowie der beiden Rostock Port GmbH-Geschäftsführer Jens Scharner und Dr. Gernot Tesch, offiziell gestartet wurde. Die Rostock Port GmbH ist Bauherrin des rund 22 Mio. Euro erfordernden Hafeninfrastrukturprojekts, das auch für Kreuzfahrtschiffe nutzbar ist.
„Die 62 und 58 Jahre alten Liegeplätze 31 und 32 auf der Ostseite von Pier II im Hafenbecken B werden auf einer Gesamtlänge von 400 Metern, einer Breite von 18 Metern und für eine Wassertiefe von 12,50 Meter neu gebaut“, sagte Jens Scharner. Dafür werden rund 12.000 Kubikmeter Beton, Füllmaterial und Stahl abgebrochen und entsorgt. Mit Hilfe von 650 Lockerungsbohrungen wird die neue und insgesamt 3.200 Tonnen schwere Stahlspundwand in mehreren Teilen bis zu 27 Meter tief in die Hafensohle gerüttelt. 245 Pfähle mit einer Länge von bis zu 37 Metern werden die neue Spundwand diagonal mit dem Baugrund verankern. Die Kaianlage wird für eine Flächenbelastbarkeit von fünf Tonnen pro Quadratmeter ausgelegt und auf der gesamten Länge mit neuen Kranbahnschienen ausgerüstet, die eine Last von 30 Tonnen pro Meter aufnehmen können. Die Bauausführung obliegt einer Arbeitsgemeinschaft bestehend aus den Bauunternehmen Züblin AG aus Rostock und der Tiefbau GmbH Unterweser aus Oldenburg.
„Die Liegeplätze 31 und 32 werden als Multifunktionsliegeplätze für den Umschlag sowohl von Projektladungen als auch Stück- und Schüttgütern gebaut, an denen zukünftig aber auch wieder Transitanläufe von Kreuzfahrtschiffen stattfinden können“, ergänzte Geschäftsführerkollege Tesch, der auf die Geschichtsträchtigkeit der Liegeplätze mit vielfältiger Nutzung auch durch Kreuzfahrt- und Fährschiffe hinwies. So hatte das DDR-Urlauberschiff Völkerfreundschaft, die heute als Astoria in Rotterdam aufliegt und auf Käufer wartet, am 15. Januar 1960 als erstes Schiff am einzigen bis dahin fertiggestellten Liegeplatz 31 des noch im Bau befindlichen Überseehafens festgemacht. Am 24. Februar 1960 ging das Motorschiff Völkerfreundschaft mit ausgesuchten Werktätigen auf die erste Urlauberreise nach Rumänien. Das 1948 erbaute Schiff, das als Stockholm im Juli 1956 vor Nantucket/USA durch eine Kollision die Andrea Doria versenkt hatte und nach zehnfachem Namens- und mehreren Eignerwechseln heute als ältestes aktives Kreuzfahrtschiff der Welt gilt, war seinerzeit von der DDR gekauft und am Jahresanfang 1960 in Dienst gestellt worden.
Anfang April 1960 begann der Probebetrieb am Liegeplatz 31. Der erste Bauabschnitt des Rostocker Überseehafens wurde am 30. April 1960 in Anwesenheit einer von Walter Ulbricht geleiteten Regierungsdelegation in Betrieb genommen. Über 20.000 Menschen kamen zur Hafeneinweihung nach Rostock-Petersdorf, wo am Liegeplatz 31 die erste Hieve aus dem Motorschiff Schwerin gelöscht wurde. Das Schiff brachte Baumwolle, Seide, Silber, Früchte und Fleisch aus China. Die Entladung dauerte fünf Tage. Am Tag der Einweihung sind neben Liegeplatz 31 folgende Anlagen im Überseehafen Rostock funktionstüchtig: die Kaihalle 1, vier Krane vom Typ „Petersdorf“, der Hafenbahnhof mit Rangiergleisen sowie die Anschlussgleise bis zur Kaihalle 1.
Bis 1990 gingen vor allem Stückgüter über die Kaikanten der beiden Liegeplätze. Anfang 1992 starteten TT-Line und DSR-Lines gemeinsam am Liegeplatz 31 unter dem Namen TR-Line den Fährverkehr von Rostock nach Trelleborg, bevor dieser vier Jahre später an den Liegeplatz 66 auf Pier I verlegt wurde. Die Fährreederei Easy Line betrieb von 1998 bis 1999 kurzzeitig einen Rostock-Gedser-Dienst von Liegeplatz 31. Am Liegeplatz 32 entstand Ende der 1990er Jahre unter Nutzung von Kaihalle 1 das „Rostock Sugar Terminal“, wo bis zum Jahr 2006 Zucker, gewonnen aus dem Anbau von heimischen Zuckerrüben, in den Nahen Osten, nach Afrika und in das Baltikum exportiert wurde. In den vergangenen Jahren wurden die beiden ältesten Liegeplätze des Überseehafens vor allem für den Umschlag von Stück- und Schüttgütern, aber auch für Transitanläufe von Kreuzfahrtschiffen genutzt, die Warnemünde wegen bereits belegter Liegeplätze nicht anlaufen konnten. JPM