„Die Nutzung der Kraft des Windes hat den höchsten Wirkungsgrad im Vergleich zu allen anderen mehr oder weniger nachhaltigen Antriebssystemen. Im Projekt INNOSegler werden erstmals alle derzeit verfügbaren Technologien und Komponenten in einem komplexen Gesamtsystem vereinigt“, heißt es in einer Beschreibung eines CO2-neutralen Großseglers, den die BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung mbH und das ebenfalls in Bremerhaven ansässige Ingenieurbüro JudeL/Vrolijk & Co – gemeinsam mit weiteren Projektpartnern wie u.a. Siemens Energie, Southern Spars und der Klassifikationsgesellschaft Bureau Veritas – in mehr als drei Jahren bis zur Baureife entwickelt haben.
Für das mit Mitteln des Handlungsfeldes Klimaschutz der Hansestadt Bremen geförderte und von der EU kofinanzierte Projekt, dessen jüngste Präsentation auf der „Woche der Umwelt“ am 5. und 6. Juni im Park von Schloss Bellevue in Berlin besondere Aufmerksamkeit fand, werden jetzt Investoren für die Umsetzung des Vorhabens gesucht. Dabei sehen die BIS als Initiator und Auftraggeber des INNOSegler-Projekts und die beauftragten Konsortialpartner Nutzungsmöglichkeiten nicht nur als segelndes Forschungsschiff für die Meeresforschung oder die Erforschung von Windantriebssystemen und Energiespeichertechnologien, sondern auch als Demonstrationsobjekt für saubere Antriebssysteme für die kommerzielle Schifffahrt wie u.a. auch fürr Passagierschiffe, die zu Tagesausfahrten eingesetzt werden – das Raumkonzept sieht bis zu 18 Crewmitglieder und bis zu 24 Wissenschaftler sowie eine Fahrterlaubnis für bis zu 200 Tagespassagiere vor – bzw. den Einsatz durch eine Kreuzfahrtreederei. Dadurch könnten die Technologien und Entwicklungspotenziale im Bereich der klimaneutralen Schifffahrt aufgezeigt und ein substanzieller Beitrag zu ihrer Dekarbonisierung geleistet werden.

Bei dem projektierten INNOSegler handelt es sich um ein 80 m langes, max. 15 m breites und 4,7 m (mit eingezogenem Kiel) tiefgehendes Einrumpf-Schiff, das 2250 qm Segelfläche an seinen beiden 65 m hohen Masten an den Wind bringen kann. Dabei handelt es um ein rahbasiertes Segelsystem, das sogenannte Dyna-Rigg, das der aus Franken stammende Hamburger Schiffbauingenieur und Segler Wilhelm Prölß bereits in den 1960er Jahren entwickelt hatte. Durch die an drehbaren Masten montierten modernen Rahsegel entsteht an jedem Mast eine geschlossene Segelfläche, wobei die einzelnen Segel aus der Mastmitte heraus zu den Enden der strömungsgünstig gekrümmten Rahen ausgefahren oder bei zunehmendem Wind wieder in den Mast eingerollt werden können. Da jedes Segel einzeln elektrisch oder elektrohydraulisch steuerbar ist, ist eine Anpassung an die jeweiligen Windverhältnisse leicht und ohne besonderen Personalbedarf möglich. Zudem haben Windkanalversuche ergeben, dass das Dyna-Rigg 40 Prozent effektiver als die konventionelle Rah-Besegelung ist. Zusätzlich wird das Schiff mit einem 750 kW leistenden Schottel-Pod-Antrieb und einem 350 kW starken Pumpjet-Booster/Bugstrahler ausgerüstet sowie über zwei Batterien je 2,5 MW/h, verfügen und für die variable Energieerzeugung nicht nur den Segelantrieb durch Rekuperation sondern auch 10 kW-Solarpanele und 10 kW-Windgeneratoren nutzen.
Ähnliches Schiff wurde dieser Tage in Spanien bestellt
Die im Mai d. J. nach einer weltweiten Ausschreibung mit 11 Angeboten u. a. auch aus Deutschland erfolgte Bestellung eines in der Größe und Besegelung sehr ähnliches Schiffes in Spanien hatte bereits Anfang Juni die Umweltschutzorganisation Greenpeace International bestätigt, sich aber die Veröffentlichung von Renderings für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten. Allerdings stammt das Design ihres neuen Flaggschiffes von der Amsterdamer Firma Dykstra Naval Architects. Diese verfügt über einschlägige Erfahrungen mit dem Dyna-Rigg durch ihre Zusammenarbeit mit der italienischen Werft Perini Navi, die 2006 den Dreimasters Maltese Falcon als ersten Dyna-Rigg-Segler ablieferte und durch ihre Kooperation mit der Southern Spars-Schwestergesellschaft North Winds, die als Lieferant des Dyna-Riggs über eine eigene Produktionsstätte in Polen verfügt. Der 75 m lange, 13,5 m breite und ca. 5,5 m tiefgehende Zweimaster, den die Freire-Werft im spanischen Vigo bis 2027 liefern soll, wird mehr als 2000 qm Segelfläche an den Wind bringen und über Unterkünfte für 25 Besatzungsmitglieder verfügen. Zu seiner Ausstattung gehören u.a. Solar-Panele, Batterie-Packs, Energiemanagement- und Energierückgewinnungstechnik sowie modernste Umwelttechnologie. Für die Analyse und Bereitstellung des System-Designs für den Einsatz alternativer Brennstoffe kooperiert Dykstra mit Firma Longitude Engineering, die zu der an der Osloer Börse notierten ABL Group ASA gehört. „Dieser Neubau wird komplett emissionsfrei sein und Energie aus den grünen Ressourcen Wind und Solar-Photovoltaik generieren. Zusammen mit der Segelkraft und der Energiegewinnung aus grünem Wasserstoff und e-Methanol kann das Schiff unter allen Bedingungen emissionsfrei betrieben werden, sobald alle technischen und logistischen Voraussetzungen dafür gegeben sind“, verspricht Dean Goves, Operations and Maritime Design-Direktor bei Longitude.„Dieses neue Schiff wird mehr sein, als ein Werkzeug für unsere Kampagnen – es wurde entworfen, um nachhaltige Technologie voranzubringen und in der Praxis zu demonstrieren, dass auch lange Seereisen durch die Nutzung unterschiedlicher erneuerbarer Energien absolviert werden können“, so Fabien Rondal, Deputy International Programme Director bei Greenpeace International. Er kündigte auf der Greenpeace-Website am 6. Juni an, dass man ab sofort mit der Sammlung von Spenden zur Finanzierung des Neubaus beginnen werde.
Neben der 2011 von der Fassmer Werft in Berne an der Weser gebauten Rainbow Warrior gehört auch die aus dem Umbau des früheren norwegischen Forschungs- und Versorgungsschiffes Polarbjörn hervorgegangene und auch als Eisbrecher einsetzbare Arctic Sunrise seit 1995 zur aktuellen Greenpeace International-Flotte. Jüngster Flottenzugang war 2021 der 22,5 m lange Segler Witness, der aus dem Umbau der 2003 in Südafrika erbauten Pelagic Australis entstand und durch seinen einziehbaren Kiel und das einziehbare Ruder auch in Flachwasser-Bereichen eingesetzt werden kann. JPM
Renderings: Judel/Vrolijk & Co. Design + Engineering GmbH/BIS