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Dampfschiff im Feuer

Liner, Truppentransporter und Kreuzfahrtschiff: die Yarmouth Castle hatte mehrere Leben und war solide. Nur einmal nicht, das führte zu einer Katastrophe.

Der kanadische Songwriter Gordon Lightfood schrieb 1969 ein Lied über das Schiff, das Opfer einer Tragödie wurde. „Ballad of Yarmouth Castle“ schildert eine groteske Falle für Menschen, die dem Horror nicht mehr entkommen konnten. Das Schiff versank 1965 in einem rasenden Feuerball 120 Meilen östlich von Miami und 60 Meilen nordwestlich von Nassau.

1927 war das 115,6 Meter lange und 17 Meter breite Schiff im Auftrag der Reederei Eastern Steamship Lines von der Werft William Cramp and Sons in Philadelphia gebaut worden. Es wurde im Liniendienst zwischen New York, Boston und dem kanadischen Yarmouth in Nova Scotia eingesetzt. Getauft worden auf den Namen Evangeline pendelte es ab 1942 als von der US-Army eingezogener Truppentransporter zwischen San Francisco und Kriegsschauplätzen im Pazifik und wurde auch als Lazarettschiff genutzt. Nach Kriegsende übergab man den Dampfer, der mit der Höchstgeschwindigkeit von 18 Knoten (33 km/h) unterwegs war, wieder an die Reederei.

Fast fünf Jahre dauerte die Generalüberholung. Die meiste Zeit lag das Schiff am Pier 18 im Hafen von Hoboken nahe New York, in den Jahren danach fuhr es unter den Flaggen von Liberia und Panama.

1964 ging es an die amerikanische Chadade Steamship Company mit ihrem Schiffsmagnaten Jules Sokoloff, der mit dem Schiff Großes vorhatte. Er benannte es in Yarmouth Castle um und ließ es neu ausstatten, betrieben wurde es fortan als Kreuzfahrtschiff.

Doch bereits ein Jahr später kam es zu dem furchtbaren Unglück. Nachdem die Yarmouth Castle am 12. November 1965 mit 376 Passagieren und 176 Besatzungsmitgliedern vor den Küsten der Bahamas kreuzte, war für den darauffolgenden Tag die Ankunft in Nassau geplant. Für den 35 Jahre alten griechischen Kapitän Byron Voutsinas sollte der 13. November ein Unglückstag von größter Tragweite werden. Denn neben seinen eigenen Fehlern unterliefen auch der Besatzung in dieser Nacht noch Dutzende Fehler an Bord, die sich zur Katastrophe ausweiteten. Die Besatzungsmitglieder waren hochgradig fahrlässig, es war ein totales und verheerendes menschliches Versagen. Das führte zu einem der größten zivilen Schiffsunglücke der Welt. Immerhin war die Tragödie der Anlass für umfassende neue gesetzliche Regelungen für die Schiffsfahrt und die Sicherheit auf See.

Das Feuer an Bord war gegen Mitternacht auf dem Hauptdeck entstanden, in Raum 610. Ein Wachmann hatte zwischen 00.30 und 00.50 Uhr eine Sicherheitspatrouille durchgeführt, dabei nahm er den Brandgeruch nicht wahr oder nicht ernst. Der Raum wurde als Lagerraum genutzt, dort hatte man Stühle, Matratzen und andere Materialien untergebracht, alle leicht brennbar. Die exakte Feuerquelle konnte nie bestimmt werden, eine Jury entschied nach dem Unglück, dass ein defektes Kabel mit sprühenden Stromfunken zum Feuer geführt haben könnte. In dem Raum war kein Sprinkler installiert.

Als etwa ein Uhr morgens Rauch und Hitze bemerkt wurden, hatte sich das Feuer schon beträchtlich ausgeweitet, der Alarm konnte nicht mehr ausgelöst werden. Versuche, den auflodernden Brand mit Feuerlöschern zu bekämpfen, waren sinnlos. Die Brücke erhielt die Information „Feuer an Bord“ erst 01.10 Uhr, um 01.20 Uhr befahl der Kapitän, das Schiff zu stoppen. Der Funker konnte keinen Notruf aussenden, weil der Funkraum bereits Feuer gefangen hatte.

01.25 gab der Kapitän den Befehl, das Schiff zu verlassen. Die meisten Passagiere schliefen bereits und waren nur schwer aufzuwecken, weil die Alarmanlage nicht funktionierte; das PA-System war ausgefallen. Das einzige Notfunkgerät befand sich in einem Rettungsboot, konnte aber wegen der Flammen nicht erreicht werden.

Foto: Sammlung/Archiv JSA

Daraufhin verließ der Kapitän mit einigen Besatzungsmitgliedern das Schiff, sie setzten sich in ein anderes Rettungsboot. Später erklärte Byron Voutsinas, er habe eines der nahen Schiffe dazu bringen wollen, in der Not zu helfen. In nächster Entfernung befanden sich der finnische Frachter Finnpulp und das Passagierschiff Bahama Star. Der Kapitän des finnischen Schiffes versuchte drei Mal, die Küstenwachen von Nassau oder Miami über Funk zu erreichen, bis sich Miami endlich meldete.

Die Finnpulp war am schnellsten bei der Yarmouth Castle, die Bahama Star etwas später. Wegen des lichterloh brennenden Feuers mussten beide Schiffe 100 Meter Abstand halten. Von Rettungsbooten aufgenommen werden konnten manche Passagiere nur, indem sie über die Reling ins Wasser sprangen und zu den Booten schwammen, wobei einige ertranken. Die Hubschrauber der US-Küstenwache kamen viel zu spät.

462 Passagiere wurden gerettet – 288 Passagiere und 174 Besatzungsmitglieder –, einige mussten wegen Brandverletzungen in Nassauer Krankenhäuser geflogen werden. 87 Menschen erstickten oder verbrannten, drei weitere erlagen später ihren Verletzungen. Nach 6 Uhr am Morgen versank die Yarmouth Castle im Atlantik.

Der Dampfer existierte 38 Jahre lang. Die Yarmouth Castle war offenkundig nicht ausreichend um- und ausgerüstet worden. Zudem war das Fahrgastschiff noch nicht nach dem technischen Fortschritt umgebaut worden. Bei dem Veteran auf dem Wasser genügte offenbar ein Kurzschluss im Leitungsnetz zum Untergang.

Neben Stürmen, Nebel, Untiefen und dem Klabautermann fürchten Seeleute am häufigsten Feuer an Bord. Unzureichende Brandbekämpfungsmittel und mangelhafte Löschwasserpumpen können die Feuerbrunst verstärken. Die Hauptursache für das Chaos ist aber manchmal die Disziplinlosigkeit der Verantwortlichen.

Das war auf der Yarmouth Castle der Fall. Gerettete Passagiere berichteten von defekten Feuerlöschern, verrotteten Davits und nicht vorhandenen Rettungsinseln. Am schlimmsten war das Versagen der Besatzung. Im ersten Rettungsboot, das vom finnischen Frachter Finnpulp aufgefischt wurde, fanden sich neben 20 Besatzungsmitgliedern nur vier Passagiere.

Roland Mischke