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DAS RETTERSCHIFF

Das britische Passagierschiff RMS Carpathia dampfte beim Untergang der Titanic zum Unfallort, um Menschen zu bergen. Im 1. Weltkrieg wurde es von einem deutschen U-Boot getroffen und versank.

Das 1903 in den Dienst gestellte Schiff Carpathia wurde sowohl als Auswandererschiff als auch als quasi Kreuzfahrtschiff von Cunard Line genutzt. In der Schiffsbranche zu Beginn des 20. Jahrhunderts nannte man es – weil es im Vergleich mit anderen Dampfern schlichter war – das „Arbeitspferd“. Für die Rettung von Menschen war es ein Segensschiff, geführt von Kapitän Arthur Henry Rostron, dessen Spitzname „the electric spark“ (der elektrische Funke) war. Der tiefgläubige Christ pflegte auf der Brücke zu beten, man hörte ihn nie fluchen oder rauchen und Alkohol trinken. Unter seinem Kommando befanden sich fünf nautische Offiziere, ein Funker, sieben Ingenieure, drei Ärzte, ein Zahlmeister, ein Chefsteward und etwa 300 Besatzungsmitglieder. An Bord des Schiffes waren am 14. April 1912 insgesamt 1063 Menschen, als sich die Titanic-Tragödie ereignete.

Foto: Sammlung JSA

An dem Tag hatte die Carpathia über Funk Eiswarnungen von der Reederei erhalten, man war aber weit genug weg von der gefährlichen Region, so dass man sich keine Sorgen machte. Die Titanic war ungefähr 30 bis 40 Seemeilen entfernt. „Das Wetter war schön, die See ruhig und es wehte kein Wind“, hielt der Funker Harold Thomas Cottam poetisch in seinen Aufzeichnungen fest. „Der Himmel war klar, und die Sterne schienen. Es gab keinen Mond, aber das Nordlicht flackerte wie aufleuchtende Mondstrahlen über den Horizont. Die Luft war intensiv kalt.“

Kapitän Rostron war aber angespannt. Vermutet wurde, dass es an der Labradorküste zu frühen Tauwettern kam und Eisberge ins offene Meer getrieben sein könnten. „Passen Sie auf“, befahl er dem Funker. Man wusste unter den Offizieren, dass Rostron sich über den „Medienrummel“ auf der Jungfernfahrt der Titanic geärgert hatte, er nannte das Schiff eine „lahme Ente“.

Die Titanic setzte ihren festgelegten Kurs fort, in ihrer Nähe die Carpathia. Als der Funker weitere Meldungen von Eisfeldern bringt, wird der Kapitän ungehalten, ihn plagt die Ungewissheit – und prompt kommt ein Notruf von der Titanic. Nach Mitternacht ruft er die Offiziere auf die Brücke und teilt mit: „Die Titanic hat einen Eisberg gestreift… Wir werden ihr mit äußerster Kraft zu Hilfe eilen.“ Er setzt eine Extrawache ein, in etwa vier Stunden soll die Carpathia bei der Titanic sein, mit 16 bis 17 Knoten als höchster Geschwindigkeit, „rast“ das Schiff los. Das war den Schiffsheizern zu verdanken, die unaufhörlich riesige Kohlemengen in die Kesselfeuerungen warfen. Weil die Schiffsbeheizung ausgeschaltet worden war, beschweren sich Passagiere, geben aber sofort Ruhe, als sie informiert wurden, warum das geschieht.

Foto: Archiv Udo Horn

Um 1.25 Uhr hört der Funker von seinem Kollegen auf der Titanic: „Wir setzen die Frauen und Kinder in die Boote.“ Um 1.45 Uhr erreicht die Carpathia ein direkter Hilferuf: „Kommt so schnell wie möglich. Der Maschinenraum ist bis zu den Kesseln geflutet.“ Noch hat der Titanic-Funker Galgenhumor, er sagt über die robuste Carpathia: „Danke, alter Junge, gute Nacht.“

Rostron lässt die Rettungsboote klarmachen und ausschwingen, an Bord werden Vorbereitungen zur Aufnahme Überlebender vorgenommen und nach 3 Uhr wird alle Viertelstunde gemeldet, dass man auf dem Weg ist. Der Kapitän hat geahnt, dass es sich nicht nur um eine Beschädigung handelt, sondern einen Untergang. Die Carpathia sollte das Rettungsschiff für die Titanic-Passagiere werden. Sie gerät aber selbst zwischen Eisberge und Eisschollen und muss ihre Geschwindigkeit auf halbe Kraft reduzieren. Als sie am Unglücksort eintrifft, ist von der Titanic nichts mehr zu sehen, sie ist um 2.20 Uhr gesunken.

In der Dämmerung nach 4 Uhr bereitet man sich auf der Carpathia vor, es werden Jakobsleitern für Passagiere ausgehängt und Leinensäcke für diejenigen, die nicht über die Strickleiter hochkommen. Die, die es erschöpft überlebt haben, sind unterkühlt, andere haben es nicht mehr überstanden, sie sind gestorben. Gerettete flehen die Besatzung an, ihre Familienangehörigen oder Freunde zu retten, aber das gelingt nicht. Frauen werden zu Witwen, Kinder zu Halbwaisen, der Dampfer ein Trauerschiff, die Hausflagge wird auf Halbmast gesetzt. Passagiere stiften Kleidung für die durchnässten Überlebenden und trösten sie. Als die Carpathia abdreht, gerät sie in ein Eisfeld, kommt aber durch, 712 Menschen hat sie aufnehmen können. Als das robuste Schiff am 18. April mit den Geretteten am Cunard Pier in New York eintrifft, wurde sie von Tausenden bejubelt. Kapitän und Besatzung werden wie Helden gefeiert.

Foto: Archiv Udo Horn

Die RMS Carpathia war mit der Baunummer 274 auf der Bauwerft C. S. Swan & Hunter Ltd. in Newcastle erbaut worden. Am 10. September 1901 kam es zur Kiellegung, am 6. August 1902 zum Stapellauf und am 5. Mai 1903 zur Indienststellung. Das Schiff lief unter der Flagge des Vereinigten Königreichs, der Heimathafen war Liverpool. Der Dampfer war 164,58 Meter lang und 19,65 Meter breit. Der Tiefgang lag bei 10,54 Meter, die Verdrängung bei 8700 Tonnen, die Vermessung wurde mit 13.555 BRT angegeben. Im Maschinenraum befanden sich zwei achtzylindrige Vierfach-Expansions-Dampfmaschinen, die auf zwei Propeller der Firma Wallsend Slipway & Engineering Company wirkten. Die Dienstgeschwindigkeit lag bei 14 kn (26 km/h), die Höchstgeschwindigkeit bei 17,5 kn (32 km/h). An Bord waren 1700 Passagiere in der Ersten und Zweiten Klasse zugelassen, ab 1905 waren es zusammen 2550 Personen (der Ersten bis zur Dritten Klasse).

Am 5. Mai 1903 begann von Liverpool aus die Jungfernfahrt via Queenstown nach Boston. Von November 1903 bis Mai 1904 fuhr sie von Triest nach New York und ab Mai 1904 von Liverpool über Queenstown nach New York. Danach, 1905, erfolgte ein Umbau, der zu einer Vergrößerung im Schiffsinnern führte, ein großer Teil an Auswanderern nächtigte in Schlafsälen, während wohlhabende Amerikaner in Kabinen untergebracht waren. In den Sommermonaten brachte die Carpathia Passagiere über den Nordatlantik, im Winter ins Mittelmeer. So lief das von 1909 bis 1915. 1915 bis 1918 war das Schiff ausschließlich als Versorgungsschiff auf der Nordatlantikroute eingesetzt.

Foto: Sammlung JSA

Nach dem kompletten Umbau hatte die Carpathia Fans, die den Dampfer gern nutzten. Anwälte, Künstler, Journalisten und andere bekannte Amerikaner waren dabei, nach der Rettungsaktion 1912 nutzten auch Passagiere der Titanic das Schiff, es erfreute sich als Heldenschiff großer Beachtung.

Am 17. Juli 1918 torpedierte das deutsche U-Boot U 55 das Schiff, es sank nach nur zweieinhalb Stunden. Es war im Konvoi gefahren, so dass die meisten Personen an Bord den Angriff überlebten, da sie von den Begleitschiffen aufgenommen wurden; fünf Menschen kamen allerdings beim Untergang ums Leben.

1999 fand man das Wrack in 200 Metern Tiefe westlich von Land’s End. Zuvor war die Stelle schon von der National Underwater and Marine Agency geortet worden: westlich des Fastnet-Felsens galt der Ort als Untergangsstelle. Das Wrack gehört der US-Aktiengesellschaft Premier Exhibitions Inc., die auch die Bergungsrechte an der RMS Titanic besitzt. Geplant ist eine Bergungsaktion der Carpathia, die Marktbewertung des Eigentums am Wrack hat einen Wert von circa 16 Millionen US-Dollar.

Roland Mischke (Lektorat: Jürgen Saupe)