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DAS SCHIFF ALS HELDIN

Das Dampfturbinenschiff „Andes“, Flaggschiff der Royal Mail Lines, war ein berühmter Ozeandampfer und ein Kreuzfahrtschiff. Es war nach der Andenkette in Südamerika benannt worden. Die erste „Andes“ lief 1913 vom Stapel, um die zweite „Andes“ geht es hier.

Es war böiger Wind am 7. März 1939, dazu kam ein starker, nicht aufhörender Regen, das sieht man auf einem kurzen Stummfilm. Auf Rat des Herzogs von Abercom, dem damaligen Gouverneur von Nordirland, hatten die als Taufpatin vorgesehene Herzogin von Kent und ihr Ehemann ihre Anreise verschoben, weil es derzeit in Nordirland große Unruhen wegen der hohen Arbeitslosigkeit gab und Sonderpolizei auf den Straßen patrouillierte. Stattdessen hatte die Viscountess Craigavon, Ehefrau des nordirischen Premiermisters Lord Craigavon, zugesagt, sie übernahm den Taufakt. Es würde ein Schiff mit großer Würde werden.

Foto: Sammlung JSA

Es war die zweite Andes, die erste von 1913 war nicht mehr modern und fit. Deshalb musste eine Neue her, sie wurde von 1937 bis 1939 bei Harland und Wolff in Belfast für 1.360.000 britische Pfund gebaut. Nachdem der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde sie am 21. November 1939 von der britischen Admiralität beschlagnahmt und in Liverpool zum Truppentransporter für 4000 Soldaten umgewandelt. Auf den Langstreckenrouten erzielte das Schiff drei Geschwindigkeitsrekorde, aber 1947, als es zum Einsatz als ziviles Linienschiff zurückkehren sollte, war eine gründliche Überarbeitung notwendig. Die Kanonen, Geschütze und Wasserbomben und der Umgang mit ihnen an Bord hatten ihre Spuren hinterlassen.

Andes rettete wahrscheinlich viele Menschen, die bedroht waren. Ab dem 31. Januar 1940 brachte das Truppenschiff 3400 Personen an verschiedene Orte im Pazifik. Von Marseille aus über Port Said, Colombo und Singapur erreichte man am 2. März des Jahres Hongkong. Danach wandte man sich Neuseeland zu, mit den Engländern und anderen wurde im Hafen von Wellington der Konvoi US 3 gebildet. Auch Cunard-White Star-Linienschiffe wurden integriert, die Eskorte US 3. Für insgesamt sieben Schiffe mit zusammen 17.576 Militärangehörigen ging es nach Kapstadt und Freetown. Sie brachten Menschen in Sicherheit.

Erst 1948 wurde die Andes wieder in Dienst gestellt, auf der Route Southampton, Rio de Janeiro und Buenos Aires. Sieben Jahre lang war sie auf der Strecke im Einsatz, ab 1955 blieben zunehmend die Gäste weg, zumal von Hamburg aus die Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft Konkurrenz war. Deshalb wurde die Andes zum Kreuzfahrtschiff umgebaut. Das geschah 1959 bis 1960 in Vlissingen, in den Niederlanden. Danach galt sie bis zum Ende als Vollzeit-Kreuzfahrtschiff, das zur A-Serie gehörte.

Foto: Jürgen Saupe

Als Baunummer 1005 war die zweite Andes von der Reederei Royal Mail Lines in Auftrag gegeben worden. Am 17. Juni 1937 wurde sie auf Kiel gelegt, am 7. März 1937 lief sie vom Stapel und am 24. September 1939 abgeliefert, zwei Tage später begann die Jungfernfahrt.

Das Schiff war 196,1 Meter lang, die Breite betrug 25,5 Meter und der Tiefgang 8,92 m. Die Vermessung wurde mit 26.689 BRT bzw. 14787 NRT angegeben. Auf dem Schiff gab es fünf Decks. Die installierte Leistung wurde mit 5599 NHP angegeben, die Maschinenanlage bestand aus sechs Dampfturbinen. Die Geschwindigkeit betrug ab 1939 max. 24 Knoten (44 km/h) bzw. 21 kn Dienstgeschwindigkeit, ab 1952 waren es 18 Knoten (33 km/h) Dienstgeschwindigkeit. Auf dem Schiff befanden sich 14 Motor- und Rettungsboote zwischen 7,3 und 9,1 m Länge, ab 1960 gab es zusätzlich zwei 13-m-Motorbarkassen. An Bord durften ab 1939 607 Passagiere in zwei Klassen, ab 1948 bis 1959 528 Gäste, von 1960 bis 1971 470 Mitreisende befördert werden. Im Zweiten Weltkrieg erhielt das Schiff Radar.

Im Krieg teilte sich der Konvoi in schnelle und langsame Abschnitte, der Indische Ozean wurde permanent kontrolliert. Feindliche Flugzeuge bombardierten Hafen und Schiffe, die Andes überstand alles. Später kamen kanadische Zerstörer zu Hilfe. Ein Soldat schrieb darüber: Er erzählte, dass der Konvoi warme Breiten erreichte und viele Kameraden an Bord schliefen. Als Schiff „hat es jeden Bolzen und jede Niete strapaziert“. Es hielt aber, „ich stand an der Reling und spürte, wie sie durch die Kraft vibrierte“. Die Andes war zwar ein Hochseeschiff, aber eher für gemäßigte und tropische See- und Wetterbedingungen. Die Weihnacht auf See im Indischen Ozeans wurde bescheiden gefeiert.

Tage später, Neujahr 1941, war die Andes wieder unterwegs, im Januar an der Ostküste Afrikas. Im Frühjahr zählte man im Konvoi 24.615 Soldaten, da war man auch mit der Konkurrenz verbunden. Die Pasteur, ein Schiff auf der Südamerikastrecke, und kanadische Pazifikschiffe einten sich mit den Briten. Es waren schwere Schlachtschiffe, die sich einreihten – die westliche Welt gegen Hitler auf den Gewässern, am Ende waren es bis zu zehn Zerstörer. Sie wurden von Flugabwehrzerstörern begleitet, auch schwere Kreuzer – wie die HNLMS London – und schnellen, leichten Zerstörern. Es folgten weitere Konvois, selbst Schaluppen und Kutter waren im Einsatz, der Krieg sollte für die Angreifer verloren gehen.

Als an den Halterungen der beiden Propellerwellen der Andes Schäden durch Vibrationen auftraten, schickte man den Dampfer 1943 nach Liverpool, dort erhielt er große Streben zwischen den Halterungen und dem Rumpf. Bis zu 5004 Soldaten hatte das Schiff zeitweise an Bord, die in den Kampf transportiert wurden, das Material musste halten. Das Schiff absolvierte mehrere Weltumrundungen.

Anfang 1944 erlitt die Andes Wetterschäden, Vorschiff, Rettungsboote und Armaturen waren beschädigt. Die Reparaturen fanden in New York statt, sie kosteten die Reederei 46.500 US-Dollar.

Am Tag der Kapitulation Japans im September 1945 war das Schiff durch den Panamakanal gefahren, es feierte mit Salutschüssen und einem Feuerwerk. Im Westen war der Krieg bereits zu Ende, mit Truppen und Ladung ging es nach Großbritannien zurück. An Bord Goldbarren im Wert von 7,75 Millionen Dollar. Als das Schiff im Januar 1947 zu seiner letzten Reise für die Regierung mit 2600 Soldaten und 400 Zivilisten nach Fernost auslief, wurde es vom Central Orchester der Royal Air Force musikalisch aus dem Militärdienst verabschiedet.

Foto: Sammlung JSA

1946/47 blieb die Andes zunächst im Dienst der britischen Regierung. Dabei schaffte sie noch eine Rekordreisezeit von 16 Tagen, 15 Stunden und 31 Minuten für die Strecke von Singapur nach Southampton. Die Durchschnittsgeschwindigkeit war 21,66 Knoten (40,11 km/h), damit wurde der Rekord der Winchester Castle um fast drei Tage übertroffen. Am 7. März 1947 wurde sie nach Ankunft in Southampton ihrer Reederei zurückgegeben. Eine Woche später ging es zum Rückbau für den Zivildienst an die Werft in Belfast Der große Wandteppich mit den mittelalterlichen Hasenjagden im Rauchraum, zeitweise verkleidet, hatte den Krieg überstanden, die verdeckte Beleuchtung in den Räumen wurde noch lange belassen.

Im Januar 1948 nach acht Jahren und vier Monaten war eine Quarantäne für die Andes fällig. Sie ging im 7. Februar des Jahres nach Buenos Aires und wurde von dem geschätzten Präsidenten Perón empfangen. Argentinische und britische Delegationen handelten ein „Andenabkommen“ aus, das Schiff wurde im Hoheitsbereich von Argentinien und Uruguay bewegt. Seine Reisegeschwindigkeit behielt es. Es gab viele Briten, die nach dem Krieg nach Südamerika wollten.

Im Trockendock bekam das Schiff im Juni 1952 neue Propeller und Ruder, zudem Denny-Brown-Stabilisatoren. An der Mitteldruckturbine kam es zu einem Defekt, die Reisegeschwindigkeit musste reduziert werden (33 km/h). Aber das Schiff war wieder seetüchtig und weltweit unterwegs.

1959 bis 1960 wurde es in den Niederlanden zum Kreuzfahrtschiff umgewandelt. Es würde keine Ladung mehr transportieren, Laderäume wurden umgebaut und Klimaanlagen installiert. Damit konnte das Schiff höher im Wasser liegen. Zur Modernisierung gehörten ein Strandbadbereich, Kinderspielzimmer und Cocktaill Lounge.

Zum letzten Umbau kam es 1967, nachdem die US-Regierung neue Brandschutzbestimmungen festgelegt hatte. Das Ende der Karriere eines hochbewegten Schiffes rückte näher. Die letzte Kreuzfahrt fand im Atlantik statt, in Süd- und Westafrika, danach ging es nach Rio de Janeiro und in die Karibik. Es gab Probleme mit Kessel, Antriebswelle und Steuergetriebe. Ihre letzte Einfahrt in Southampton erfolgte dennoch mit Wimpeln und Signalflaggen. Ab dem 6. Mai wurde die Andes ausser Dienst gestellt. Sie war auf 285 Reisen, hatte 174 Häfen angelaufen und rund 2.770.000 Meilen zurückgelegt. Im belgischen Gent wurde sie für 352.000 Pfund von Van Heyghen Fréres angekauft und verschrottet. Eine Heldin verschwand.

 

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer