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Das Schiff mit den zwei Gesichtern

Die „Belgenland“ war ein Transatlantik-Dampfschiff der belgisch-amerikanischen Reederei Red Star Line, mit dem es schnell zu Ende ging.

Dieses Schiff war in seiner Zeit zu groß – es war überdimensioniert und hatte deshalb kein langes Leben. Dabei hatte alles gut angefangen mit dem Luxusliner unter der belgischen Registernummer 140517. Es waren die Jahre, in denen der Wettbewerb um die größten und schnellsten Schiffe für die Atlantikpassage tobte, der Untergang der RMS Titanic im April des Jahres 1912, der 1495 Menschen das Leben kostete, war schnell wieder vergessen.

Swimming Pool, BELGENLAND, 1925-1927, Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Die Route Antwerpen – New York war beliebt, sie wurde von der Lapland der Red Star Line seit 1909 bedient. Die belgisch-amerikanische Reederei schwenkte im Kampf um die Gäste und immer höhere Einnahmen auf einen expansiven Kurs um, finanziell beteiligt war auch das Königreich Sachsen-Coburg. Die stärkste Konkurrenz war die Holland Amerika Line in den Niederlanden, der wollte man den Schneid abkaufen. Die Planung und Entstehung der Belgenland war ganz eindeutig an der Olympic und Titanic, den größten Schiffen dieser Zeit, ausgerichtet. Die Belgier hatten allerdings keineswegs die technischen Voraussetzungen, um ein solches Riesenschiff zu bauen. Der Auftrag ging deshalb an die Schiffswerft Harland & Wolff in Nordirland, 1851 in Belfast gegründet und mit 30.000 Mitarbeitern in ihrer Glanzzeit eine der größten Werften Europas; dort war auch die Titanic gebaut worden.

Dining Room, LAPLAND, 1910,
Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Am 31. Dezember 1914 wurde das als Bau-Nr. 391 geführte Schiff unter dem Namen Belgenland vom Stapel gelassen, 1917 kam es im Transatlantikdienst unter dem Namen Belgic in Fahrt. Es war bei 213,3 Meter Länge und 23,88 Meter Breite mit 24547 BRT vermessen und mit der Antriebs-Technik von damals ausgestattet: mit einer Dreifachexpansions-Dampfmaschine, einer Niederdruck-Abdampfturbine und drei Propellern. Mit 18500 PS fuhr das sich durch sein Kreuzerheck auszeichnende Schiff mit 18 kn (33 km/h) über die Meere. Es wäre das größte Passagierschiff der Welt geworden, für 2500 Menschen war Platz in den Kabinen und auf den Decks – doch durch den Ersten Weltkrieg kam alles anders.

Belgien war in diesem Krieg zum Schlachtfeld geworden, Antwerpen wurde von der kaiserlich-deutschen Armee okkupiert. In jenen Jahren konnte das Schiff nicht übernommen werden. Da Großbritannien dringend Schiffsraum benötigte, wurde das als Passagierdampfer konzipierte Schiff mitten im Krieg provisorisch fertiggestellt, umgebaut, erst als Frachter, dann als Truppentransporter. Die Bereederung übernahm die britische White Star Line, die das Schiff außen und innen in eine ganz neue Form brachte. Statt der drei geplanten Schornsteine wurden dem Schiff nur zwei aufgesetzt, die anspruchsvollen Aufbauten strich man ganz, das Schiff wurde optisch als skurril empfunden.

Nach dem Krieg wurde es kurzzeitig und karg aufgehübscht als Passagierschiff eingesetzt, allerdings nur für Reisende der III. Klasse. Erst 1923 war es für die Red Star Line möglich, ihr Flaggschiff wieder zu übernehmen und mit seinem ursprünglichen Namen Belgenland zu versehen. Jetzt sollte es zum Superliner ausgebaut werden und auf dem Nordatlantik als Nonplusultra unter den Kreuzern gelten. In der Tat war es in jener Zeit ein einzigartiges Schiff, imposant und auch auf Winterrouten einsetzbar.

Die Band der BERGENLAND posiert für ein Foto, ca. 1925. Foto: Collection City of Antwerp, Friends of the Red Star Line vzw

Zunächst war die weiterhin in Liverpool registrierte Belgenland nach den ursprünglichen Plänen zum Luxusliner umgebaut und das dadurch auf 27132 BRT vergrösserte Schiff vor allem auf der Transatlantikstrecke eingesetzt worden. Später absolvierte sie als Kreuzfahrtschiff sechs Weltumrundungen, an denen britische und amerikanische Touristen und Geschäftsleute teilnahmen. Platz war für 500 Passagiere der Ersten Klasse, für 600 der Zweiten Klasse und 1500 der Touristenklasse. Bis 1936 war sie als eines der größten Schiffe der Welt unterwegs. Weil sie vorübergehend zur Belgic geworden und das Äußere so stark verändert worden war, sprach man auch von dem „Schiff mit den zwei Gesichtern“.

Die Belgenland erhielt eine attraktive Ausstattung. Es gab einen großräumigen Gesellschaftssalon, eine Bibliothek, Gymnastikraum und einen Swimmingpool. In der mit Palmen dekorierten Empfangshalle fand das gesellschaftliche Leben auf dem Schiff statt, das Bordorchester spielte auf und es wurden Tanzabende veranstaltet. Man konnte sich in einen Rauchsalon zurückziehen, in ein Verandacafé oder auf dem weitläufigen Promenadendeck spazieren. Der über 370 Plätze verfügende Speisesaal galt als „ultramodern“, die Passagiere ließen sich an Tischen mit zwei, vier oder sechs Stühlen nieder. Zudem gab es separate Lounges für Superreiche oder private Tischgesellschaften. Die Kabinen der Ersten Klasse boten fließend warmes Wasser und es waren immer dienstbare Geister zur Stelle.

Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Die Belgenland galt vor allem in den „wilden Zwanzigern“ als außergewöhnliches Schiff, sie konnte mit den berühmten White Star-Liner mithalten. Ein goldener Käfig für reiche Zeitgenossen, die sich überschwänglichen Komfort leisten konnten. Es herrschten noch arge koloniale Vorurteile, mit denen die glamourös Reisenden manchen Volksgruppen blasiert begegneten, und es dominierte eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich. Am 4. Dezember 1924 gab es eine Weltreise von 133 Tagen, das hatte es auf einem Luxusdampfer zuvor noch nicht gegeben. Die Belgenland wurde daraufhin als „The Largest Ship to Circle the Globe“ beworben.

Einer der Passagiere war im März 1933 Albert Einstein, der nach dreimonatigem Aufenthalt in Amerika mit seiner Frau Elsa, seiner Sekretärin und einem Assistenten die Rückreise nach Deutschland angetreten hatte. Bereits an Bord erfuhr er, dass Adolf Hitler Reichskanzler geworden war, woraufhin er sich mit einem Schreiben von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften mit einem Rücktrittsgesuch verabschiedete. Er kehrte nicht nach Berlin zurück, sondern fuhr mit einem anderen Dampfer der Red Star Line, der Westernland, von Antwerpen wieder in die USA.

2. Klasse-Passagiere aus der Schweiz auf dem Außendeck der BELGENLAND, 1925-1927,
Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Gegen Ende der 1920-er Jahre wurde die Red Star Line von der Weltwirtschaftskrise massiv getroffen. Das Unternehmen konnte sich nicht davon erholen, die Konsequenz war der Abschied von der Belgengrad. Im März 1933 brach das Schiff zum letzten Mal von New York auf nach Southampton, Le Havre und Antwerpen. Im Sommer des Jahres fanden noch drei Mittelmeerkreuzfahrten statt, aber der Atlantik wurde nicht mehr überquert. Im September 1933 legte man die Belgenland im Port of London an der Themse auf.

Außenbereich der BELGENLAND, Aktivitäten an Deck, 1923, Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Dort blieb das Schiff bis 1935, dann wurde es an die amerikanische Atlantic Transport Company verkauft und von der ihr unterstellten Panama-Pacific-Line unter dem Namen Columbia als Kreuzfahrtschiff eingesetzt. Die Idee war, Passagiere ab New York in Kreuzfahrten über den Panamakanal nach Kalifornien zu bringen. Das lief schlecht an, so dass die Alternative nur Kreuzfahrten in der Karibik sein konnten. Dafür war die Belgenland/Columbia allerdings zu groß, es gab Probleme auf den Routen. Die Atlantic Transport Company gab auf, das Schiff wurde ausser Dienst gestellt.

Am 22. April 1936 begann die Fahrt von New York nach Europa, dort kam das Schiff am 4. Mai des Jahres im schottischen Bo’ness an und wurde dem Abbruchbetrieb P & W McLellan zum Abwracken übergeben. Seine Größe hatte dem Schiff zwar einige Zeit Vorzüge eingebracht, am Ende war es aber überdimensioniert.

Red Star Line Museum (Antwerpen/Belgien): Diverse Ausstellungen und Sammlungen zur Historie der Red Star Line und ihren Schiffen sowie der Geschichte der Auswanderer, geöffnet Di bis So 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Infos: www.redstarline.be/de/

Roland Mischke, Maritimes Lektorat: Jens Meyer