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„Das schöne Schiff“

Die RMS Aquitania hatte eine außergewöhnlich lange Dienstzeit, sie war der letzte ökonomisch erfolgreiche Vierschornsteindampfer

Dieses Schiff hatte alles, um berühmt zu werden. Dazu gehörte die schlanke Linienführung des Rumpfes, der kühne Decksaufbau und das noble Design der Innenausstattung. 1910 wurde, nach dem Auftrag zum Bau des Schnelldampfers, ein neuer hoher Qualitätstandard in die britische Passagierschiffswelt eingeführt. Wie oft in der Rivalität der Reedereien sollten alle bisherigen Maßstäbe übertroffen werden, konkret war es die Olympic der White Star Line, die als bestes Schiff auf der Route zwischen Großbritannien und den USA verdrängt werden sollte. Die Aquitania wurde „The Ship Beautiful“ und erhielt wegen seiner Länge von 900 Fuß auch den Titel „Längstes britisches Schiff“. So wollten es die Bosse von Cunard, mit dem Transatlantikliner sollte der Aufstieg zur führenden Reederei gelingen.

Gebaut wurde das Schiff ab Dezember 1910 als Werft-Nr. 409 auf der Werft John Brown and Company im schottischen Clydebank. Dort waren schon die Schiffe Lusitania und Mauretania erstellt worden, alle drei erhielten Namen nach einstigen römischen Provinzen. Die Entwürfe für die Hauptlinien der Aquitania wurden erst angenommen, dann mehrmals geändert, um einen schnittigen Dampfer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 Knoten zu kreieren.

Entworfen wurde das Schiff von Leonard Peskett, der bei Cunard als der Marinearchitekt galt. Groß sollte es werden, und breit, um viele Räume für Passagiere und Besatzung zu bieten. Die Aquitania erhielt die vier großen Trichter, die Peskett schon dem Vorgänger-Duo verpasst hatte, hier zusätzlich mit verglasten Details im Aufbau. Ebenso wurden zwei hohe vordere Decklüfterhutzen vorgesehen. Peskett fuhr eigens auf der Olympic über See, um zu erkunden, was er noch besser machen könnte als der Konkurrent es schon hatte, zugleich hielt er sich strikt an die Vorgaben der britischen Admiralität.

Während der Bauzeit ging die Titanic 1912 unter, was neue Maßnahmen erforderte. Die Aquitania erhielt 80 Rettungsboote mit Platz für alle Passagiere und die Besatzung, Funkgeräte und wasserdichte Abteile wurden installiert. Der Dampfer verdrängte etwa 49.430 Tonnen, davon der entfiel auf den Rumpf ein Gewicht von 29.150 Tonnen, die Maschinen 9.000 und die Bunker 6.000 Tonnen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wurde das Schiff am 10. Mai 1914 auf Testfahrten erprobt, das Ergebnis war zufriedenstellend. Am 14. Mai erreichte es den Hafen Mersey, wo es 15 Tage lang endausgerüstet und gereinigt wurde für die Jungfernfahrt unter dem Kommando von Kapitän William Turner. Getauft wurde die Aquitania bereits beim Stapellauf am 21. April 1913 von Alice Stanley, der Gräfin von Derby.

Das Schiff präsentierte sich in weißem Anstrich unter der Flagge des Vereinigten Königreichs, als es am 30. Mai 1914 in Dienst gestellt wurde. Es war 274,9 Meter lang, 29,56 Meter breit und hatte eine Seitenhöhe von 15,15 Meter. Vermessen wurde es mit 45.647 BRT, es besaß Dampfkessel für vier Parsons-Dampfturbinen, die Maschinenleistung lag bei 60.000 PS (44.130 kW). Der Antrieb erfolgte über vier Wellen und vier Propeller und die Höchstgeschwindigkeit betrug 25 kn (46 km/h). Die vier auf jeweils einen Propeller arbeitenden Turbinen waren in drei separaten Maschinenräumen installiert worden, darüber hinaus gab es dort zwei Niederdruckturbinen für die Rückwärtsfahrt, die sich in einzelnen Gehäusen befanden und nur an die beiden inneren Propeller angeschlossen waren. Die elektrische Anlage erzeugte 225 Volt Gleichstrom für 180 Elektromotoren und etwa 10.000 Lampen. 972 Personen gehörten zur Besatzung. In der 1. Klasse konnten 613, in der 2. Klasse 614 und in der 3., recht einfachen Klasse 1.998 Passagiere untergebracht werden.

Foto: Cunard Line

Der Auftrag für das Außen- und Innendesign wurde an den britischen Architekten Arthur Joseph Davis vergeben. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Charles Mewès wurden die öffentlichen Räume im Dekorationsstil der Ritz Hotels in London und Paris gestaltet. Mewès hatte zuvor auch für die HAPAG-Schiffe Imperator, Vaterland und Bismarck Dekorationen entworfen. Beide Architekten waren angehalten nicht miteinander zu kommunizieren, was jedoch vermutlich übergangen wurde. Die Ausstattung der HAPAG-Schiffe und der Aquitania ähneln sich, vor allem bei den Speisesälen, die vom Louis XVI.-Stil bestimmt waren, auch in den Lounges und Raucherzimmern.

Die 1. Klasse hatte acht Luxus-Suiten, die Namen berühmter Maler trugen, sie verfügten über eigene Badezimmer. In der 2. Klasse waren die Kabinen größer als zuvor in der britischen Schifffahrt und sie konnten bis zu vier Personen aufnehmen, sie hatten meist Gemeinschaftsbäder. In der 3. Klasse waren in den Kabinen die Etagenbetten deutlich reduziert im Vergleich mit ähnlichen Schiffen. Neben den Speisesälen gab es ein Veranda-Café und eine Turnhalle. In den 35 Jahren, in denen die Aquitania Menschen über den Ozean brachte, änderten sich die Einrichtungen oft. In den 1930-er Jahren erhielt die Touristenklasse ein Kino und anderen Komfort.

1914 ging es um nationales Prestige. Denn als die Aquitania im Juni des Jahres in New York angekommen war, folgte 15 Tage später das deutsche Linienschiff SS Vaterland, damals das größte Schiff der Welt. Das führte zu Vergleichen und Zwist, die mit dem baldigen Beginn des Ersten Weltkriegs noch befeuert wurden. Die Aquitania wurde zum bewaffneten Kreuzer umfunktioniert, sämtliche dekorativen Elemente wurden beseitigt. Zudem befand die Admiralität, dass die großen Schiffe im Krieg zu viel Treibstoff benötigten. Daraufhin wurde die Aquitania entwaffnet und an Cunard zurückgegeben. 1915 wieder zurück: Der Dampfer wurde zum Truppentransporter umgewandelt, später zum Lazarettschiff. Erst nach Kriegsende entließ man das Schiff aus dem Militärdienst und gab es wieder an die Reederei Cunard.

Foto: Archiv Udo Horn

1919 waren Umbauten fällig, der Dampfer wurde von Kohle auf Öl umgestellt, auch die Deko-Elemente wurden wieder installiert. Am 17. Juli 1920 verließ die Aquitania Liverpool und nahm wieder ihren kommerziellen Dienst auf. Das sorgte auf dem Atlantik für Passagierrekorde, im Jahr 1921 beförderte das beliebte Schiff 60.000 Menschen. Das war damals Weltrekord.

Werbeplakat, Foto: Archiv Udo Horn

Der Börsencrash 1929 veränderte alles, hinzu kamen Einwanderungsbeschränkungen der USA. Die Aquitania konnte kaum noch Dritt-Klasse-Touristen nach Amerika bringen, Cunard schaltete um auf preiswerte Mittelmeertouren. Am 10. April lief das Schiff in der Nähe von Southampton auf Grund, zehn Schlepper konnten es bei der nächsten Flut abbringen, der Betrieb lief weiter.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Aquitania aus sozialen Gründen wieder zur Truppenbeförderung genutzt. Das Schiff geriet 1941 in den Krieg im Pazifik und wurde stark beansprucht. Erst 1948 ging der Veteran wieder an Cunard, aber die Reederei wollte das baufällige Schiff nicht mehr. 1950 wurde es ausgemustert, die Verschrottung im schottischen Faslane dauerte ein knappes Jahr, zurück blieb nur ein Schiffsrad. Zäh war es, das schöne Schiff, in gut 35 Dienstjahren – der längsten aller Four-Tunnel-Liners – hatte es mehr als drei Millionen Seemeilen zurückgelegt.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer