Natur pur erwartet die Passagiere der RCGS Resolute bei einer Fahrt zum antarktischen Kontinent. Oliver Schmidt über ein Schiff mit Hamburger Erbe und beeindruckende Tier- und Naturerlebnisse.
„Und was passiert mit Schiffen, die ins Weddell-Meer fahren?“ fragt Katie laut in die Runde. „Sie bleiben stecken!“ antwortet der Chor der Passagiere. Das Ganze natürlich auf Englisch. Die kleine Schottin, die sich bei ihren Vorträgen gern im Schneidersitz auf jenes Podest hockt, auf dem vor dem Dinner die Speisekarte ausliegt, ist trotz ihres starken Dialektes gut zu verstehen und hat ihre Passagiere im Griff. Von dem 21-köpfigen „Expedition Staff“ ist sie einer der unbestrittenen Stars. Die Geschichte der Antarktis und ihrer Entdecker ist das ständige Thema der quirligen Historikerin, die auf Südgeorgien gelebt hat. Nicht nur Shackletons Vita kann sie spannend erzählen, auch von deutschen Antarktisforschern, bei Nichtfachleuten kaum bekannt, kennt sie hinreißende Geschichten.
Shackleton – der Mann, der jede Antarktisreise begleitet wie kein zweiter. Sein Heldentum liegt jetzt vor dem Bug der RCGS Resolute, denn die 117 Passagiere des kleinen Schiffes mit der höchsten finnischen Eisklasse „1A Super“ blicken aus ihren Zodiac-Schlauchbooten angestrengt durch ihre Ferngläser auf Point Wild, die schmale, unwirtliche Landzunge, auf der die Expeditionscrew des großen Forschers vier Monate ausharren musste, nachdem ihr Schiff im Eis zerquetscht wurde. Schiffe eben, die ins Weddell-Meer fahren. Auch Kreuzfahrt-Reisende heutiger Tage bekommen diesen Flecken auf Elephant Island nur sehr selten zu sehen; in 96 von hundert Fällen machen schwere See und raue Stürme ihnen einen Strich durch die Rechnung. 24 Augenpaare pro Boot schauen nach einem Landungsplatz aus. Vergeblich. Felsbrocken groß wie ein Kleinwagen, schäumendes, gurgelndes Wasser dazwischen, am unerreichbaren Land dicht gedrängte Pinguine und Seelöwen, dazwischen die mannshohe Statue von Kapitän Pardo, dem Kommandanten der Yelcho, die Shackletons Männer 1916 gerettet hat. Viele hundert Seemeilen sei Shackleton nach Südgeorgien gesegelt, in einer Nussschale wie weiland Kapitän Bligh, um für seine Leute Hilfe zu holen, erzählt Katie. Auf den Landgang wird verzichtet; Katies Gänsehautfaktor hat auch so funktioniert.
Pinguine und „Vacuum Cleaning Partys“
Bereits in Südgeorgien, dem ersten Ziel dieser 19 Tage langen Reise; war Katie in ihrem Element. Denn die Inseln kennt sie wie ihre Westentasche. Kolonien mit 300 000 Pinguinen gab es dort zu sehen, anders als auf dem Antarktischen Kontinent ist das Land grün, und putzige, flauschig-braune Seelöwenbabys spielen in hohem Gras. Auf der alten Walfangstation Grytviken, die ein Antarktismuseum beherbergt, ließe sich tagelang Industriefotografie betreiben, wenn sich die schräg stehende Sonne zwischen den rostroten Kesseln der früheren Trankocherei bricht. Eine halbe Stunde brauchte man, so zeigen grausig-blutige Fotos im Museum, um einen 25 Meter langen Wal vollständig zu verarbeiten. An den Gräbern von Sir Ernest Shackleton und seinem Freund und Helfer Frank Wild wurde ein Toast ausgebracht – ein Wodka, spendiert vom Schiff, der mit den großen Entdeckern brüderlich geteilt wird. Zwischen den Anlandungen finden in den Fluren an Bord immer wieder „Vacuum Cleaning Partys“ statt. Das gesellige Beisammensein mit einem Rudel Staubsauger zielt auf die alles beherrschende „Bio Security“, die verbietet, dass irgend ein organisches Spurenelement von den Besuchern eingeschleppt oder von einer Insel zur andern getragen wird. Klettverschlüsse an Jacken und Taschen werden brutal abgerissen und entsorgt, denn in ihnen fängt sich auf jeden Fall der Pollen irgendeiner Pflanze, die ein europäischer Nichtsnutz als Pusteblume bezeichnen würde. Vor und nach jedem Landgang führt der Weg in den „Mud Room“, wo die bordeigenen Gummistiefel aufbewahrt werden – aber nicht, ohne den bestiefelten Fuß in eine Art kleine Autowaschanlage mit rotierenden Bürsten zu halten und anschließend durch ein Desinfektionsbad zu stapfen. Überreste von pinguinalen Hinterlassenschaften könnten sonst Krankheiten von einer Insel zur andern tragen. Die Vertreter der landseitigen Stationen, die hier die Gastgeber sind und als Behörde fungieren, welche die Landgangserlaubnis erteilt, behalten sich vor, dieser Prozedur beizuwohnen.
Hanseatisches Erbe
Das Schiff dreht ab, die Boote sind wieder an Bord, alle Shackleton-Geschichten sind erzählt. Auf der Weiterreise wird das rund 10 000 Tonnen messende Schiff von der Kraft der Elemente noch einmal ganz schön durchgeschüttelt. Den meisten deutschen Reisenden dürfte die RCGS Resolute aus der Flotte von One Ocean Expeditions eher als Hanseatic von Hapag-Lloyd bekannt sein. Nach ihrem Weggang aus der Hamburger Luxusflotte hat sie ein neues Leben angefangen. Der Veranstalter aus British Columbia (Kanada) hat die Passagierzahl auf maximal 146 verringert und den Fokus noch mehr auf das Outdoor-Erlebnis gelegt. Niemals ist das Schiff Mittelpunkt, sondern Mittel zum Zweck. So wollen es die Stammgäste des Unternehmens, das seine intensiven Reisen in Polargebiete bisher nur mit russischen Eisbrechern durchgeführt hat. „The German Ship“, das übrigens immer noch an der Großen Elbstraße gemanagt wird und einem Hamburger Kaufmann gehört, wird als unerhörter Luxus angestaunt, auch wenn das tadellose Vier-Sterne-Menü mittags in blauen T-Shirts serviert wird und man sich den Tee zur nachmittäglichen Teatime aus dem Automaten holen muss. Dass die mitreisenden Naturjünger aus der besseren Gesellschaft kommen, garantiert schon der Reisepreis von fast tausend Dollar pro Tag – ohne Flüge, versteht sich. Denn sie reisen aus aller Herren Länder an: Deutschland und Brasilien, China und USA, verstärkt natürlich aus Kanada. Zu den 21 Personen, die zur Erklärung von Flora und Fauna, Wind und Wetter, Eis und Ozean mitreisen, gehören auch bekannte Größen wie die Fotografin Sue Flood, hierzulande freilich unprominent.
Als die Passagiere beim Barbecue auf dem Achterdeck sitzen und dazu kerngesunde frisch gemixte Gemüse-Cocktails genießen, kommt der erste gewaltige Tafeleisberg zum Greifen nah vorbei. Seine Abbruchkante ist so glatt, als habe eine Maschine sie säuberlich blankgefräst…..
Fotos: Oliver Schmidt