Die SS Arctic war ein 1850 in Fahrt gebrachtes US-amerikanische Passagierschiff der Collins Line. Ihr Untergang war ein dramatisch schweres Unglück in der Dampfschifffahrt der Vereinigten Staaten.
Mehr als 350 Menschen starben, darunter 80 Frauen und Kinder. Im Jahr 1854 geriet die Arctic nahe Neufundland in eine der schwersten Katastrophen der internationalen Schiffsgeschichte. Nur ganz wenige Menschen an Bord überlebten sie, darunter keine einzige Frau und kein einziges Kind. Ein solches Ereignis hatte es zuvor in Amerika noch nie gegeben, es bewegte die ganze Nation. Für die damalige Zeit war das ein Riesenschock, danach werden wohl viele Menschen, die sich auf Schiffen transportieren ließen, diese Option nicht mehr in Anspruch genommen haben.
Zumal die Zeitungen die schlimmsten Geschichten des Untergangs des Schiffs in sämtlichen Teilen ausmalten und verbreiteten. Der größte Skandal war, dass sich die Besatzung als Erste rettete. Sie nutzte die Panik des sinkenden Schiffs, um sich in die Rettungsboote zu setzen. Die Crew, die hätte helfen müssen, waren die Ersten und die Letzten, die davonkamen. Sie ließ die hilflosen Passagiere im eisigen Nordatlantik zurück und in den unabweislichen Tod gehen.
Die hochgeschätzte britische Collins Line, von Samuel Cunard begründet, galt als beste und sichere amerikanische Dampfschifffahrtsgesellschaft. Sie wurde danach wegen ihres feigen Verhaltens des Personals verachtet und gehasst. Unter anderem weil sie den besten Ruf hatte, ihre Passagiere stilvoll über den Atlantik zu bringen. Jahrelang war die Collins Line mit der Arctic und ihren drei Schwesterschiffen wegen ihres Komforts und ihrer Zuverlässigkeit berühmt. Das Zurücklassen der Passagiere war ein Verbrechen.
Dem Großunternehmer Edward Knight Collins war es vor dem Unfall gelungen, eine wohlhabende Unterstützung aufzubauen. Er war befreundet mit James und Stewart Brown von der Wall Street-Investmentbank Brown Brothers and Company. Zudem war es dem umtriebigen Macher gelungen, von der US-Regierung einen Vertrag zu erhalten, damit war die neue Dampfschifflinie auch noch subventioniert worden. Gleichzeitig wurde die US-Post, die zwischen New York und Großbritannien unterwegs war, staatlich gefördert.
Die Schiffe der Collins Line waren zu ihrer Zeit mit dem höchsten Komfort ausgelegt, die Geschwindigkeit war der größte Trumpf. Die Arctic wurde von Dampfmaschinen angetrieben, auf beiden Seiten des Rumpfes ratterten hohe Schaufelräder. An Bord gab es luxuriöse Kabinen, geräumige Speisesäle und Salons. Ein solches Schiff hatte es, nachdem es 1850 vom Stapel gelaufen war, weltweit noch nie gegeben.
Die Arctic machte auch schnell von sich reden, als sie im Februar 1852 unter dem Kommando von Kapitän James Luce einen neuen Rekord einstellte. In neun Tagen und 17 Stunden dampfte das Schiff von New York nach Liverpool. Und das in einer Zeit, in der andere Schiffe sich durch den Nordatlantik quälten, der in dieser Zeit fast immer außerordentlich stürmisch war. Das angeblich sichere Schiff lockte auch Unternehmer und Geschäftsreisende an, die Arctic war damals der beste aller Dampfer auf den Meeren.
Die New York & Liverpool United States Mail Steamship Company, kurz Collins Line, war 1848 in New York als dort ansässige Dampfschifffahrtsgesellschaft gegründet worden. Gründer war der Schifffahrtsmagnat Edward Knight Collins. Die Reederei wurde sofort als besonders angesehen und mit der Cunard Line gleichgestellt. Collins hatte große Pläne, er rüttelte den Schiffsbau durch. Die von ihm geforderten Ozeandampfer waren an Größe, Geschwindigkeit und Ausstattung schnell führend geworden.
Die Arctic war eine New Yorkerin, sie wurde auf einer Bauwerft an der 12th Street Ecke East River errichtet. 1849 begann die Arbeit an der holzgebauten Arctic. Sie war 87 Meter lang und 14 Meter breit. Der Tiefgang lag bei maximal 9,6 Meter, die Verdrängung 6200 t und die Vermessung 2860 BRT. Im Maschinenbereich standen Zweizylindrige Dampfmaschinen von Thomas Farren auf zwei Seitenräder wirkend. Die Maschinenleistung war 300 PS (221 kW), die Höchstgeschwindigkeit lag bei 12 Knoten (22 km/h). Als Passagiere waren 200 Personen in der Ersten Klasse und 80 in der Zweiten Klasse erlaubt. Für die Baukosten mussten seinerzeit 700.000 US-Dollar bezahlt werden, eine damals immense Summe.
Gleichzeitig wurden die Schwesterschiffe im selben Jahr auf Kiel gelegt, die Pacific (1849), die Atlantic und die Baltic (beide 1850). Edward Collins wollte mit diesem rasanten Vierer und dem Tempo ganz groß rauskommen. Er stieß auch auf höchstes Interesse in der Branche und bei den Medien. Zu jedem Start lud er Pressevertreter ein. Als die Arctic zur Probefahrt am 18. Oktober 1850 auslief, verfolgten das etwa 20.000 Menschen. Im Februar 1852 gewann die Arctic das Blaue Band für das schnellste Passagierschiff auf der Transatlantikroute. Die Rekordgeschwindigkeit war 13,6 Knoten an neun Tagen, 17 Stunden und 15 Minuten.
Die Arctic hatte ein rundes Heck als eine der ersten Schiffe mit einem geraden Steven. Sie hatte drei Decks, der Rumpf bestand vorwiegend aus Eiche. Die zweizylindrigen Schaufelräder aus der Fabrik Novelty Iran Works war von Stillman, Allen & Co erbaut worden. Das Schiff hatte einen Tagesverbrauch von 87 Tonnen Kohle.
Das Design entwarf der Marinearchitekt George Stevens. Die Inneneinrichtung war durchweg anspruchsvoll gehalten, hier wurden neue Standards kreiert. In den Aufenthaltsräumen hingen Spiegel an den Wänden, der Boden war mit Teppichen ausgelegt. Die Waschräume waren separat, es gab einen Rauch- und Friseursalon. Die öffentlichen Räume wurden ebenso wie die Kabinen mit Dampfheizungen erwärmt, es gab auch ein Ventilationssystem. In den Kabinen konnten Stewardessen und Stewards in die Kabinen gerufen werden.
Am 21. September 1854 legte die Arctic in Liverpool nach New York ab, das Kommando hatte Kapitän James C. Luce. An Bord befanden sich 250 männliche Passagiere, etwa 100 Frauen und Kinder gehörten dazu. Unter den an Bord gekommenen Personen war der 29jährige Sohn der renommierten Bank Brown Brothers Harriman & Company mit seiner Frau und der zweijährigen Tochter. Auch waren die Ehefrau des Reedereigründers Edward Collins mit ihren zwei Kindern und einem Bruder an Bord. Zwei weitere waren Frederick Catherwood, Archäologe und Experte in der Maya-Forschung, der Publizist Mahlon Day, Mitbegründer der Zeitung The New York Sun mit Frau und Tochter, der Universitätsprofessor Henry Hope Reed mit seiner Schwägerin, der französische Diplomat Antoine Alfred Agénor de Gramont und Herman Wedel Major, ein bekannter norwegischer Psychiater mit Ehefrau und zwei Töchtern. Und andere Menschen, die sich diese Überfahrt im schnellsten Schiff leisten konnten.
Sechs Tage später, am 27. September, gelangte die Arctic 65 Meilen nordwestlich von Neufundland in einen starken Nebel. Um 12 Uhr mittags kreuzte das französische Dampfschiff Vesta den Kurs der Arctic. Als sie in Sicht kam, war der Zusammenprall schon nicht mehr abzuwenden. Bei der Kollision wurden drei Löcher in die Bordwand gedrückt, zwei unterhalb der Wasserlinie. Die Vesta war weniger beschädigt, ihre Schotten hielten stand. Für die Arctic war es bereits zu spät.
Der Zusammenprall hatte zwar nicht unmittelbare Folgen, Kapitän Luce ließ sogar noch ein Rettungsboot zu Wasser, um Leuten von der Vesta zu helfen. Der Schiffszimmermann wurde am Seil an der Bordwand herabgelassen, um die Löcher mit Decken und Kissen zu stopfen. Das geschah bei voller Geschwindigkeit und war sinnlos. Als die Pumpen eingesetzt wurden, war es schon zu spät. In den Kesseln hatte sich das Feuer gelöscht, Wasser strömte herein. Das erste Rettungsboot mit Mary Collins und ihren Kindern, kenterte, die Insassen waren verloren. Auch die anderen Boote floppten. Dutzende Menschen sprangen ins Meer, die fünf letzten Rettungsboote wurden nicht gut abgesenkt, sie trieben ohne Menschen ab. 20 Meilen vor Kap Race sank die Arctic.
350 Passagiere und Besatzungsmitglieder verloren ihr Leben. Wie viele es wirklich waren, ist nicht bekannt, denn kleine Kinder waren nicht auf der Liste verzeichnet worden. Nur 85 Menschen wurden gerettet, 61 Besatzungsmitglieder (!), auch der Kapitän, und 24 Passagiere. Der Dampfer Huron nahm die Überlebenden auf, sie wurden nach New York gebracht.
Edward Collins war nach dieser Katastrophe zerstört, er hatte auch seine Familie verloren. Fortan ging es mit der Reederei nicht mehr gut, zumal 1856 die Pacific mit 186 Menschen an Bord auf einmal spurlos verschwand. Collin gab 1857 auf, die Collins Line löste sich auf. Der Traum eines Reeders hatte sich nicht erfüllt.
Roland Mischke (maritimes Lektorat: Jürgen Saupe)