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Die grösste Seefahrtkatastrophe

Die Wilhelm Gustloff war das deutsche Paradeschiff in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre. Ihr Schicksal kam bald darauf und war höchst tragisch

Das nationalsozialistische Regime hatte eine eigene Ansicht von Lebensfreude. Als es 1933 an die Macht gelangte, war es ein militärisches System, dem wurde alles untergeordnet. Alle Deutschen sollten sich in der Gemeinschaft der NS-Vorherrschaft wiederfinden, dazu wurden entsprechende Organisationen geschaffen, in denen der vorgegeben Gleichklang des Lebens dominierte. Eines der Mottos lautete: Kraft durch Freude (KdF), sie wurde bestimmt von der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und dem Amt für Reisen, Wandern und Urlaub (RWU). Wer im Gleichschritt dieses politischen Systems mitschritt, sollte auch mit einer Kreuzfahrt belohnt werden.

Die Wilhelm Gustloff lief am 5. Mai 1937 vom Stapel. Gustloff, 1895 in Schwerin geboren, brachte es als Nationalsozialist zum Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation (AOE) in der Schweiz. Dorthin war der gelernte Bankkaufmann wegen seines chronischen Lungenleidens nach Davos gezogen, um seine Krankheit auszukurieren. Hitlers Mann in der neutralen Schweiz versuchte vor allem in den Städten, Ortsgruppen für die NS-Ideologie zu etablieren. Das löste Unruhe aus, im Februar 1936 drang der jüdische Student David Frankfurter in die Wohnung Gustloffs ein und erschoss ihn mit einem Revolver.

Daraufhin wurde der 41-Jährige vom Hitlerregime zum Märtyrer des deutschen Volkes erhoben. Man gründete eine Stiftung mit seinem Namen, Medien und Filmbranche griffen das Leben des „Blutzeugen der Bewegung“ auf, sein Sarg wurde im Sonderzug nach Berlin gebracht und Hitler hielt an Gustloffs Grab eine Rede.

Foto: Sammlung JSA

Der Bau des Schiffes mit der Werft-Nummer 511 kostete 25 Millionen Reichsmark, Auftraggeber war die DAF und Bauwerft Blohm + Voss in Hamburg. Die Wilhelm Gustloff war 208,5 Meter lang, 23,5 Meter breit, der Tiefgang lag maximal bei 7 Metern und vermessen wurde das Schiff mit 25.484 BRT. Die Indienstellung erfolgte am 15. März 1938 unter der Flagge des Deutschen Reiches. Hedwig Gustloff warf die Taufflasche an die Reling, Diktator Hitler war anwesend. Die Jungfernfahrt startete am 23. März 1938, die erste reguläre Reise führte nach London. Bereedert wurde die Wilhelm Gustloff von der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft (HSDG).

Die Antriebsanlage basierte auf vier Zweitakt-Dieselmotoren vom Typ MAN G8Z 52/70, ein Lizenzbau von Blohm + Voss. Jeweils zwei Motoren waren über ein Untersetzungsgetriebe starr mit einem Propeller verbunden. Die Maschinenleistung lag bei insgesamt 9500 PSe (6987 kW), die Dienstgeschwindigkeit betrug 15,5 kn (29 km/h), die Höchstgeschwindigkeit 16,5 kn (31 km/h). An Bord waren 1471 Passagiere zugelassen, betreut wurden sie von 424 Besatzungsmitgliedern.

Es sollte ein „Schiff ohne Klasse“ sein. Schon ab 1934 hatte der nationalsozialistische Staat aus Prestigegründen beschlossen, Kreuzfahrten aufrechtzuerhalten, obwohl es deutschen Reedereien miserabel erging. Die Kreuzfahrt galt jedoch als bedeutendes Propagandainstrument im Massentourismus und sollte dem Ausland ein sympathisches Bild des „neuen Deutschland“ zeigen. „Nun sind wir alle Kaiser“, hieß es in der Werbung, das bezog sich auf die Kreuzfahrten des letzten Kaisers, Wilhelm II.

Der Entwurf der Wilhelm Gustloff war zwar an den eines modernen Kreuzfahrtschiffes angelehnt, wobei jedoch von Anfang an auch eine Nutzung als Hospitalschiff z. B. durch größere Aufzüge für den Transport von Krankenhausbetten berücksichtigt wurde. Auffällig war das großflächige Außendeck, der Pflichtplatz für Flaggenparaden, gemeinsame Turnübungen und Spiele. Es gab ein Schwimmbad, Turnhalle, Theatersaal und zwei Tanzflächen. Die Kabinen waren geräumig, alle nach außen liegend und mit Meerblick und die Passagiere fanden darin fließend kaltes und warmes Wasser vor.

Die Kreuzfahrt hatte in dieser Zeit an Popularität gewonnen. Gab es in den 1920er Jahren noch die „billigen Reisen“, bei denen Trinkgelder im Reisepreis inbegriffen waren, setzte sich ab 1931 ein anderes System durch. Die HAPAG bot „Seefahrten“, auch „Mini-Kreuzfahrten“ an, letztere führten über die Ostsee bis zur norwegischen Küste, drei Tage lang ohne Landgänge und mit der Endhafen Cuxhaven. KdF avancierte zum größten Reiseveranstalter der Welt, der Großteil der Passagierschiffsflotte deutscher Reedereien war dazu eingechartert worden und man schickte Zehntausende Urlauber über die Nordsee zu den norwegischen Fjorden, ins Mittelmeer, zu den Balearen und Kanaren und ins exotische Libyen, das in Tripolis vom faschistischen Italien als Kolonie geführt wurde. Doch die meist siebentägigen Kreuzfahrten erwiesen sich als Propagandaveranstaltungen, der Verzicht auf jegliche Privatsphäre war de facto garantiert. Zudem kam es nicht zur Gleichheit der Menschen an Bord. Der Reisejournalist Hartmut Berghoff, der mehrere KdF-Kreuzfahrten begleitete, behauptete, „ein Privileg der oberen Mittelschicht“ sei nun „breiten Bevölkerungsschichten zugänglich“. Allerdings erreichte der Arbeiter-Anteil zwischen 1934 und 1939 der nicht einmal 20 Prozent.

Foto: Sammlung JSA

Tatsächlich waren die 224 Zwei- und 233 Vierbettkabinen auf der Wilhelm Gustloff egalisiert. Familien hatten Etagenbetten, jede Kabine für jeden Gast einen Kleiderschrank und eine Sitzgruppe aus Tisch, Stühlen und Sofa. Außerhalb der Kabinen befanden sich Toiletten, Duschen und Badewannen, Passagiere und Besatzung waren getrennt. Die einfachen Crewmitglieder hatten ihre Vierbettkabinen im Unterdeck, bereits unterhalb der Wasserlinie. Einzelkabinen gab es nur für Offiziere, Ärzte, Ingenieure, Funker und Reiseleiter.

Auf dem Backbord-Deck hinter dem vorderen Treppenhaus waren „Führer-Räume“ eingerichtet worden. Vorhanden waren 22 Rettungsboote, darin konnte man im Ernstfall fast alle Passagiere unterbringen. Auf dem Brückendeck (A-Deck) gab es zwei Speisesäle und das Hospital, auf dem I. Deck (B-Deck) Wäscherei und Friseur, auf dem II. Deck (C-Deck) Bäckerei und Schlachterei, auf dem III. Deck (D-Deck) Speiseraum für die Besatzung und auf dem obersten Deck (E-Deck) das Schwimmbad und technische Einrichtungen.

Die Kreuzfahrten fanden bis zum 1. September 1939 statt, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Doch schon im Mai des Jahres waren verwundete Soldaten der Legion Condor, die im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite Francos gekämpft hatten, nach Hamburg gebracht worden. Die letzte Kreuzfahrt unter Führung von Kapitän Heinrich Bertram nach Norwegen fand im August statt. Danach wurde das KdF-Schiff von der Kriegsmarine als Lazarettschiff und Truppentransporter genutzt.

Wilhelm Gustloff, Foto: Sammlung JSA

Als die Wilhelm Gustloff am 30. Januar 1945 in der Ostsee versank, war das mit 9343 Todesopfern die größte Katastrophe in der Geschichte der Schifffahrt – sechs Mal mehr als beim Untergang der Titanic. Die Rote Armee rückte gen Berlin, Millionen Deutsche befanden sich auf der Flucht. Das Schiff galt als einer der letzten Rettungsorte, als es auf die todbringende Reise ging. Die Flüchtlinge drängten an Bord, vier Kapitäne rangen über Stunden hinweg, wie viele mitgenommen werden sollen, damit es nicht zur Überladung käme. 7956 Menschen wurden aufgenommen, aber am Ende waren mehr als 9300 Flüchtlinge auf dem militärisch grau gestrichenen Schiff, das nur vier seiner für jeweils 96 Personen ausgelegten Motor-Rettungsboote mitnehmen konnte.

Die Wilhelm Gustloff befand sich auf der Fahrt von Gotenhafen nach Kiel, als sie von drei Torpedos eines sowjetischen U-Bootes im Rumpfbereich zerfetzt wurde, das geschah am 30. Januar 1945 um 21.16 Uhr. Die 1239 Überlebenden, die auf Rettungsboote gelangten, berichteten von grauenhaften Szenen. Es gibt Schwerverwundete, aber auch eine Mutter, die ihr Kind gebar, während das Schiff sank. Makaber war auch: Mit einem Schlag sprang die gesamte Beleuchtung an, das Schiff erstrahlte, bis es im Meer verschwand.

Die Wilhelm Gustloff liegt bis heute zwölf Seemeilen vor der polnischen Küste in der Ostsee in 48 Meter Tiefe. Von Polen erstellte Seekarten führen das Wrack als Navigationshindernis mit der Nr. 73.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer