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Die Kreuzfahrt ist Vorbild für andere Branchen

Die große Mehrheit der Kreuzfahrtschiffe liegen seit einem Jahr still. Die Pandemie hat Reisen in vielen Teilen der Welt zu einem Abenteuer gemacht. Beim internationalen Kreuzfahrtverband Cruise Lines International Association (CLIA) ist man optimistisch, dass 2021 die Rückkehr zum normalen Reiseverkehr eingeleitet wird. Frank Behling sprach mit Pierfrancesco Vago, Executive Chairman von MSC, der seit Januar dem Verband als Chairman vorsteht.

Pierfrancesco Vago. Foto: Frank Behling

Die Kreuzfahrtindustrie startet nun in ihr zweites Jahr unter dem Einfluss der Pandemie. Was haben die Kreuzfahrtunternehmen während des Lockdowns seit November getan, um sich auf 2021 vorzubereiten?

Aus der Warte des Kreuzfahrtverbandes Cruise Lines International Association (CLIA) kann ich sagen, dass die Kreuzfahrtindustrie das ganze Jahr 2020 hindurch intensiv daran gearbeitet hat, effektive Gesundheits- und Sicherheits-Protokolle zu schaffen und weiterzuentwickeln, die die Gesundheit der Passagiere, Besatzung und der Orte, die unsere Schiffe besuchen, schützen. Die CLIA-Richtlinie zur Eindämmung von COVID-19 gilt für alle CLIA-Hochseekreuzfahrtreedereien weltweit, die mehr als 100 Personen in internationalen Gewässern befördern.

Welche Erfahrungen gibt es dabei?

Die Schweizer Reederei MSC Cruises, deren Executive Chairman ich bin, war die erste globale Marke, die nach der ersten Pandemiewelle im August 2020 mit vollumfänglichen Kreuzfahrten ins Mittelmeer zurückkehrte – dank unseres branchenführenden Gesundheits- und Sicherheitsprotokolls, das von den Behörden Italiens, Maltas und Griechenlands, die unsere Schiffe anlaufen, unter der Federführung der EU-Initiative Healthy Gateways genehmigt wurde. Unser Protokoll war die Grundlage für viele andere Protokolle in der Kreuzfahrtbranche sowie im weiteren Sinne auch im Reise- und Tourismussektor.

Kreuzfahrten sind also sicher?

Seit Juli letzten Jahres haben mehr als 350.000 Europäer eine Kreuzfahrt gemacht, was beweist, dass der umfassende Ansatz der Kreuzfahrtbranche bei den Protokollen funktioniert und ein Vorbild für andere Branchen ist. Die von den Kreuzfahrtgesellschaften ergriffenen Maßnahmen werden kontinuierlich überprüft, da sich die Situation im Laufe der Pandemie permanent weiterentwickelt. Bei der verantwortungsvollen, schrittweisen Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs werden wir uns auch weiterhin von den Erkenntnissen und Ratschlägen der führenden Wissenschaftler und Mediziner leiten lassen.

Wie lassen sich Fälle verhindern, bei denen Passagiere auf Schiffen festsitzen?

Besonders wichtig ist es, dass wir und der Rest der Branche über Notfallpläne verfügen und eng mit den Behörden in den Häfen, die wir anlaufen, zusammenarbeiten, um ein effektives Notfall-Management zu gewährleisten, falls es zu Verdachtsfällen an Bord kommen sollte. Vorfälle wie damals auf der ‚Diamond Princess‘ in Tokio gehören der Vergangenheit an, da sowohl wir als Reeder als auch die Behörden, mit denen wir zusammenarbeiten, inzwischen über erprobte und bewährte gemeinsame Notfall-Maßnahmen verfügen.

Häfen wie Kiel können von den großen Erfahrungswerten und den umfangreichen Daten profitieren, die bei den bisher unternommenen, erfolgreichen Kreuzfahrten branchenweit gesammelt werden konnten, um einen sicheren Neustart der Kreuzfahrt möglich zu machen.

Das Infektionsgeschehen und die behördlichen Regularien entwickeln sich von Land zu Land gerade sehr unterschiedlich. Welche Erwartungen hat die Kreuzfahrtindustrie an die einzelnen Regierungen in Europa?

In enger Zusammenarbeit sollten die EU-Mitgliedsstaaten Maßnahmen einführen, die die Reisefreiheit innerhalb Europas wiederherstellt, besonders einheitliche Reise-Regularien, damit es keine Grenzbeschränkungen mehr gibt. Die Kreuzfahrtindustrie war die erste Branche, die Tests von allen Passagieren und Besatzungsmitgliedern vorgeschrieben hat. Dies war ein wichtiger erster Schritt, den inzwischen auch Unternehmen in anderen Branchen übernommen haben.

Die EU und andere Länder auf der ganzen Welt müssen nun zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Vorgehen für die Öffnung der Grenzen mit einer Reihe von einheitlichen Protokollen zu schaffen. Die Wiederherstellung der internationalen Mobilität ist die Basis für die Erholung der Wirtschaft auf der ganzen Welt.

Und wie sieht es in Deutschland aus?

Auf nationaler Ebene in Deutschland würden wir uns wünschen, dass die norddeutschen Häfen bald wieder geöffnet werden, da wir bei MSC Cruises zum Beispiel seit August 2020 über 40.000 Gäste sicher im Mittelmeer mit unserem eigenen Gesundheits- und Sicherheitsprotokoll befördert haben. Wir haben bewiesen, dass Kreuzfahrten mit einer umfassenden Teststrategie vor und während der Kreuzfahrt, Schutzmaßnahmen wie Social Distancing und reduzierte Kapazitäten, Landausflüge mit Schutzkonzept, gut ausgestatteten und mit den nötigen Ressourcen versehenen medizinische Zentren und Isolationsbereichen an Bord sowie Notfallplänen für den Verdachtsfall eine der sichersten Reise- und Tourismusoptionen sind, die derzeit zur Verfügung stehen.

Als Branche sind wir bereit, dieses Konzept auch für Deutschland umzusetzen. Die Menschen wollen nach einem Jahr Pandemie wieder Urlaub machen und wünschen sich Normalität zurück, die sie an Bord unserer Schiffe mit ihrem einmaligen „Safe Bubble“-Konzept sicher erleben können.

Es gibt inzwischen in Großbritannien Kreuzfahrtgesellschaften, die eine Impfung zur Voraussetzung für eine Kreuzfahrt machen. Ist das ein Vorbild?

Wir freuen uns über den Impfstart und sind optimistisch, dass er weltweit zur Rückkehr zur Normalität beitragen wird. Unsere Mitglieder sind sich einig, dass Einzelmaßnahmen nicht alleine funktionieren und dass ein vielschichtiger Ansatz der richtige ist, um das Risiko weiterhin zu mindern.

Wir sind der Meinung, dass Impfungen neben Teststrategien und anderen Maßnahmen koexistieren sollten und als eine stetige Verbesserung für verantwortungsvolles Reisen zu betrachten sind.

Ich persönlich empfinde es momentan als eine Zeit des „hybriden Reisens“, in der es sowohl geimpfte als auch ungeimpfte Gäste gibt, die dank der von uns eingeführten umfassenden Testverfahren sicher mit uns reisen können. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Testtechnologie immer besser wird und immer schnellere und genauere Tests auf den Markt kommen. Tests bleiben neben den Impfstoffen der Schlüssel zur Bekämpfung dieses Virus.

Sind für MSC auch die „blauen Reisen“ ohne Hafenbesuche eine Alternative?

Wir können natürlich auch zusätzliche Maßnahmen wie die sogenannten „blaue Kreuzfahrten“ in Erwägung ziehen, wenn dies kurzfristig notwendig und angemessen sein sollte, aber ich bleibe zuversichtlich, dass dieser hybride Ansatz wirklich die beste Option im Moment ist.

Die Kreuzfahrtgesellschaften haben in den „guten Zeiten“ viel Geld für den Umweltschutz investiert. Droht hier jetzt wegen der Sparmaßnahmen ein Kurswechsel?

Die Kreuzfahrtindustrie ist ein wichtiger Investor in fortschrittliche Umwelttechnologie, die das Engagement der Branche für den Erhalt der Ozeane und den Schutz der Hafenstädte, die die Schiffe anlaufen, zeigt. Trotz aller Herausforderungen, die die Pandemie mit sich bringt, ist es weiterhin das Ziel der Branche, Ressourcen und Finanzmittel für neue, alternative Treibstoffe und Technologien zu bereitzustellen.

Und was heißt das konkret?

Bis heute hat die Branche über 19,5 Milliarden Euro in Schiffe mit fortschrittlichen neuen Technologien und saubereren Treibstoff-Alternativen investiert, um die Luftemissionen zu reduzieren und eine bessere Energieeffizienz zu erreichen. Die Erforschung und Entwicklung neuer, alternativer Treibstoffe und Antriebstechnologien wird der Schlüssel für einen tiefgreifenden Wandel bei der Reduzierung des CO2-Ausstosses der Schifffahrt sein. Dies erfordert die Zusammenarbeit zwischen der maritimen Branche, Treibstofflieferanten und politischen Entscheidungsträgern.

Wir treiben Innovationen durch massive Investitionen, Expertise im Schiffsbetrieb und Wissen voran, wobei wir eng mit Wissenschaftlern, Motorenherstellern und Werften zusammenarbeiten. Politische Entscheidungsträger spielen eine wichtige Rolle, um wichtige Investitionsentscheidungen zu erleichtern. Die Kreuzfahrtindustrie ist ein wichtiger Teil der breiteren europäischen Blue Economy, die im Jahr 2018 einen Umsatz von 750 Milliarden Euro erwirtschaftete und 5 Millionen Menschen in der EU beschäftigte. Während der maritime Tourismus von der Pandemie stark betroffen ist, bietet die Blue Economy ein enormes Potenzial, um einen „grünen“ Aufschwung voranzutreiben.

Bei MSC Cruises steht Nachhaltigkeit seit der Gründung im Mittelpunkt davon, wie wir agieren. Als Unternehmen sind wir auf dem Weg zu einem klimaneutralen Betrieb, indem wir in die Entwicklung und Realisierung neuer Technologien für unsere Schiffe investieren. Drei mit Flüssigerdgas (LNG) angetriebene Schiffe werden bis zum Jahr 2025 Teil unserer Flotte sein, Optionen für zwei weitere Schiffe bestehen bereits. Daneben gibt es bahnbrechende Projekte wie die Entwicklung eines 50-Kilowatt-Festoxid-Brennstoffzellendemonstrators, der das Potenzial hat, die Treibhausgasemissionen um weitere 25 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Flüssigerdgas-Antrieben zu reduzieren.

Das Kreuzfahrtgeschäft ist für den Kieler Hafen sehr wichtig. Welche Erwartungen haben Kreuzfahrtschiffe an einen Hafen wie Kiel?

Um alternative Schiffstreibstoffe in Häfen in großem Umfang verfügbar zu machen, sind massive Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die Infrastruktur über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg erforderlich. Die Infrastruktur muss in großem Umfang „zukunftssicher“ gemacht werden. Derzeit können Kreuzfahrtschiffe ab dem ersten Quartal 2021 in 16 Häfen weltweit potenziell mit Landstrom betrieben werden, davon eine Handvoll in Europa. Für 58 Prozent der neuen Kreuzfahrtkapazitäten ist es geplant, dass die Schiffe Landstrom beziehen können, während aktuell 32 Prozent der globalen Flottenkapazität bereits dafür ausgerüstet ist und 25 Prozent der bestehenden Kapazitäten nachgerüstet werden.

Die Einweihung der Landstromanlagen in Kiel ist in dieser Hinsicht ein wichtiger Meilenstein. Kiel ist mit über 600.000 Kreuzfahrtpassagieren pro Jahr einer der bedeutendsten Kreuzfahrthäfen in Nordeuropa, und ich würde mir wünschen, dass auch die Schiffe von MSC Cruises dort Landstrom nutzen können.

Der Seehafen Kiel ist für uns bei MSC Cruises seit vielen Jahren ein wichtiger Partner, dem wir treu bleiben. Deshalb ist für die Einführungssaison unseres neuesten Flaggschiffs, der ‚MSC Virtuosa‘, die mit modernster Umwelttechnologie ausgestattet ist, Kiel als Heimathafen vorgesehen, sobald die deutschen Häfen wieder für die Kreuzfahrt öffnen.