Viren verbreiten stets tödliche Seuchen, oft gelangen sie über Schiffe in andere Länder. Roland Mischke recherchierte, wie die Menschen sich früher und heute dagegen wehren.
1348 breitete sich in Europa die Beulenpest aus. Der König von Frankreich, Philipp VI., geriet in Panik und rief die Ärzteschaft der Universität Paris vor seinen Thron. Die Professoren wussten nichts Konkretes, also fingen sie an zu spekulieren. Es falle von den Planeten Saturn, Jupiter und Mars im Sternkreis Wassermann eine verderbliche Fäulnis auf die Erde herab. Sie führe zum „Tod ganzer Völker und zur Entvölkerung ganzer Reiche“. Die Fäulnis war die Pest. „Die Konjunktion von Mars und Jupiter verursacht die große Pestilenz in der Luft“, schwurbelten die hohen Doktoren.
Der König wollte ein Gutachten. Die Ärzte fanden heraus, dass Seeleute als Pestkranke die Seuche nach Europa gebracht hatten. Das geschah im Jahr zuvor, 1347, und schuld daran war der lukrative Handel mit Pelzen von Mardern, Füchsen und anderen Tieren, die bei Winterkälte geschätzt wurden.
Das wussten die wilden Krieger der Mongolei. Sie belagerten die Handelsstadt Kaffa am Schwarzen Meer – heute Feodossija – und wollten die Bewohner zwingen, ihre Tore zu öffnen. Zur Abschreckung schleuderten die Mongolen Leichen über die Stadtmauern. Neben dem infernalischen Gestank in Kaffa breitete sich die tödliche Seuche der Beulenpest aus. Innerhalb kurzer Zeit zeigten sich bei den Verteidigern der Stadt Geschwüre und schwarze Beulen, meistens an Leisten und in Achselhöhlen. Jene, die nicht innerhalb weniger Tage starben, flüchteten auf Segelschiffen gen Mittelmeer. Sie landeten in italienischen Häfen, gingen an Land und verbreiteten die „Große Pest“. Ihr sollen 80 Millionen Europäer zum Opfer gefallen sein.
Erst im 21. Jahrhundert wurde durch Genom-Studien ermittelt, dass beim Fernhandel mit Tierpelzen auch die Pest durch die Tore europäischer Städte eingedrungen war. Überreste mittelalterlicher Opfer wurden von Biologen in Italien, Frankreich, den Niederlanden und Norwegen untersucht. So konnte das Erbgut des Erregers analysiert werden. 126 Pesterreger wurden zum Vergleich herangezogen. Eindeutig war, dass das Bakterium „Yersinia pestis“ in seiner Wanderbewegung Menschen massenhaft hinweggerafft hatte. Infizierte konnten nicht gerettet werden, es gab keine Medizin, die Betroffenen wurden isoliert und starben meist einen qualvollen Tod.
Der Schwarze Tod
Gott hat die Menschen verlassen, sagte man damals. Viren waren unbekannt, die unheimliche Begegnung des Homo sapiens mit wilden Tieren wurde erst Jahrhunderte später erkannt. Auf dem gleichen Weg ist in der globalisierten Welt von heute das neue Coronavirus Sars-CoV-2 über die Menschheit gekommen.
Viren suchen einen Wirt, um dessen Zellen zu kapern. Der Wirt ist der Mensch. Die meisten Betroffenen können das überleben, die Erreger bauen sich zu etwa 9 Prozent in das menschliche Erbgut ein. Im schlimmsten Fall lösen sie Krebs aus, sie stärken aber auch das Immunsystem, weil der Körper mit den Eindringlingen kämpft. Wir müssen mit den Viren leben.
Es ist kaum zu glauben, dass es bis Ende des 19. Jahrhunderts keine Abwehrmöglichkeiten gegen den Schwarzen Tod, wie die Pest genannt wurde, gab. Erst als die Pioniere der Mikrobiologie, Robert Koch, Louis Pasteur, Friedrich Loeffler, Ignaz Semmelweis und andere, in Erscheinung traten, änderte sich das. Der Begriff „Virus“ stammt aus dem Lateinischen und heißt „Gift“. Lange war es nicht möglich, den Virus durch das Mikroskop zu sehen, das gelang erst mit dem lichtstarken Elektronenmikroskop. Das Coronavirus unseres Jahrhunderts konnte innerhalb weniger Wochen erkannt und eingedämmt werden.
Der Hamburger Kardiologe Hans Peter Richter-von Arnauld hatte über Jahrzehnte stets ein Faible für die Schifffahrtsgeschichte. Als er seine Praxis aufgegeben hatte, war er ehrenamtlich im Internationalen Museum seiner Heimatstadt tätig. Museumsgründer Peter Tamm erbat von ihm Beiträge zur Geschichte der Schifffahrtsmedizin. Richter-von Arnauld vertiefte sich in historische Berichte, sammelte viel Wissen an und schrieb Bücher. Eines davon, „…und hatten die Pest an Bord“, ist eine Kulturgeschichte der Krankheiten und Seuchen auf Schiffen. Umfangreich und mit enormem Fleiß hat der Autor viele Fakten zusammengetragen.
Seuchen haben die gesamte Schifffahrt von Anfang an begleitet. Schiffe „brachten friedliche Handelsgüter, aber auch Angst und Schrecken durch Überfälle, Kriege, Kolonialmächte – und durch unheimliche Krankheiten“, heißt es im Buch. Gemeint sind von Viren ausgelöste Krankheitszustände. Richter-von Arnauld resümiert, dass „ungünstige Bedingungen auf den Segelschiffen gerade in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit zu oft tödlichen Gefahren an Bord“ führten. Denn wo viele Menschen auf engem Raum lange zusammen sind, ist die Ansteckungsgefahr enorm. Es geht um Pocken und Lepra, Malaria, Pest, Cholera, Gelbfieber, Syphilis und weitere übertragbare Virenkrankheiten.
Verdächtige Schiffe
Seuchen werden von Schiffen in andere Häfen und Länder gebracht, aber sie gelangen auch von durchseuchten Regionen auf Schiffe. 1374 wurde in Venedig der „Pestbrief“ eingeführt, er entschied darüber, ob ein Reisender von Bord durfte. Konnte er aus einem pestverseuchten Gebiet stammen, wurde der Pass mit eisernen Zangen vom Schiff gereicht und durch Räuchern über Schwefel entseucht. Das wurde aber nur in einem kleinen Teil an den Mittelmeerküsten angewandt.
In Italien, Frankreich und Deutschland ergriff man ebenfalls 1347 Maßnahmen, um die Große Pest einzudämmen. Das bezog sich auf verdächtige Schiffe, über die 40-tägige Sperrfristen verhängt wurden. Unterlagen dazu gibt es aus Dubrovnik und Venedig. Erst nach der Sperrfrist durften die Waren abgewickelt werden. Die Quarantäne war seinerzeit das einzige Mittel gegen übertragbare Krankheiten. In der Seuchenbekämpfung waren die Italiener Vorreiter. Sie kannten den Erreger nicht, wussten aber aus Erfahrung, dass er Unheil bringen würde. So richteten sie die Meldepflicht für Erkrankte ein, Massenbestattungen nach Ausbruch einer Pandemie und die Beseitigung herumliegender Tierkadaver. Im 16. Jahrhundert wurden Pesthäuser errichtet, um kranke von gesunden Menschen zu trennen. Weiteres Wissen stand nicht zur Verfügung.
Im 19. Jahrhundert wurde die Cholera von der Schifffahrt aus Indien nach Europa verschleppt, ein bakterieller Infekt, der bei Infizierten starken Durchfall auslöste und viele Todesopfer nach sich zog. Noch 1892 starben in Hamburg nach einem Choleraausbruch 9000 Menschen. Daraufhin wurde in der Hansestadt der Hafenärztliche Dienst gegründet. In seiner Verantwortung steht seit mehr als 100 Jahren die Einhaltung von Hygienevorschriften an Bord der Schiffe. In den Hafen kommen heute jedes Jahr rund 250.000 Seeleute, jeder Schiffskapitän ist verpflichtet, dem Hafenärztlichen Dienst eine Seegesundheitserklärung zu übermitteln. Danach wird entschieden, welche Kontrollen nötig sind und wie hoch die Infektionsgefahr ist. Drei Ärzte und acht Inspektoren in funkärztlicher Beratung übernehmen diese Arbeit. Als 2014 in Westafrika die Ebola-Seuche ausbrach, wurden die Maßnahmen verschärft; es kam zu keinem Ebola-Fall in Hamburg.
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Es war der Mikrobiologe Robert Koch, der 1892 als erster Bernhard Nocht als Hafenarzt anstellte. Das nach Koch benannte RKI in Berlin ist heute in der Coronakrise federführend und berät die Bundesregierung. Das Institut hat europaweit große Anerkennung. Richter-von Arnauld erklärt: „Als Überträger von Krankheiten steht das Schiff heute im Hintergrund und wurde vom Flugzeug abgelöst, einige Krankheiten sind quasi ausgerottet.“
Seuchenprävention heute
Verdächtige Schiffe gibt es immer noch. 2004 fuhr erstmals das Kreuzfahrtschiff Conquest von Carnival von der Ostküste der USA in die Karibik. Ein Fest sollte die Reise sein, mit Hummer, Kaviar und exotischen Drinks. Stattdessen lagen bald mehr als 200 Passagiere in den Betten, lahmgelegt durch einen Virus der Sorte Norwalk, der Erreger hatte breitete sich in den nächsten Monaten explosionsartig in der Karibik aus. Auch Schiffe von Holland America und Disney wurden von dem tückischen Magen-Darm-Virus eingeholt.
2020 ist Seuchenprävention bereits auf hoher See möglich. Als in den ersten Monaten dieses Jahres Kreuzfahrtschiffe unter Quarantäne gestellt wurden, wie die Diamond Princess mit 3000 Menschen an Bord, führten die Reedereien beispielhaft vor, wie Bordärzte der Krise gewachsen waren, Seuchenszenarien mit dem Personal trainiert worden waren und klare Richtlinien bis hin zum Ausfliegen der Passagiere in ihre Heimatländer nach der Quarantäne abgespult worden.
Die Schifffahrt hat viel gelernt. Damit hat sie viel für ihre Zukunft geleistet, auch für die Kreuzfahrt.
Hans Peter Richter-von Arnauld: „… und hatten die Pest an Bord. Eine Kulturgeschichte der Krankheiten, Seuchen und Gefahren im Gefolge der Schifffahrt.“ Books on Demand Norderstedt, 2018 erschienen, 383 S., 17,95 €
Text: Roland Mischke, Fotos: Kateryna_Kon – stock.adobe.com, Pictore/istockphoto.com, enapress.com (2), Morphart Creation/shutterstock.com, Анна Богатырева/stock.adobe.com