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„Die Weiße Flotte ist eine Ikone“

Es ist die weltweit größte Flotte historischer denkmalgeschützter Dampfschiffe. Robert Straubhaar, Präsident und CEO der schweizerischen United Rivers erklärt im Gespräch mit Michael Wolf, warum er sich in diese Schiffe verliebte, sie vor der Insolvenz rettete und was er mit ihnen vor hat.

Robert Straubhaar,
Foto: United Rivers

Was hat Sie besonders bewogen, die Weiße Flotte zu erwerben?

Es war mitten im Lockdown – und dann kam diese Nachricht von der Insolvenz, die den ganzen Markt überrascht hat. Wie kann, haben sich alle gefragt, eine solche Institution insolvent werden, die seit der Wende mehrheitlich dem Freistaat Sachsen – und zusätzlich 500 engagierten Kommanditisten gehört? Dieses einmalige Produkt, absolut unique, hat sofort mein höchstes Interesse geweckt. Wir hatten allerdings bei einer Ikone von dieser Ausstrahlung, mit einer größeren Zahl an Mitbietenden gerechnet, was wohl der Pandemiesituation geschuldet war.

Wie viele Mitbieter hat es am Anfang gegeben?

Ich schätze etwa 20 Firmen haben sich „den Case“ angeschaut. Zum Schluss waren es noch 3 oder 4, auch solche mit einem starken Schifffahrtshintergrund wie eine Fährrederei aus Rostock.

Wir haben 2016 mit der KD Köln-Düsseldorfer bereits eine Perle erwerben können, die damals auch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war, und konnten diese – gemeinsam mit den Mitarbeitenden in Köln – wieder zum Glänzen bringen. Also haben wir es uns zugetraut, mit dem gleichen Ansatz, dies auch mit der Weißen Flotte­ zu schaffen, die ebenfalls auf eine fast 200-jährige Historie zurückblicken kann. Wir kennen uns mit Flussschiffen und im Tagesausflugsgeschäft aus, auch mit dem unberechenbaren Wasserstand der Elbe – nur bis anhin noch nicht mit Dampfschiffen.

Was haben Sie mit der Übernahme der KD für die jetzige Investition lernen können?

Das Wichtigste ist zu respektieren: die Musik spielt in Dresden, und nicht in Basel. Die Themen müssen vor Ort besprochen und gemanagt werden und nicht von auswärts. Keine Besserwisserei an den Tag legen, Respekt entgegenbringen und zuhören können – das war seinerzeit auch der Schlüssel für den Erfolg bei der KD. Natürlich bringen wir auch jeweils eine gehörige „Mitgift“ in eine neue Ehe ein, beispielsweise werden durch Einkaufsbündelung und Lagerkontrolle viele Kosten ohne Qualitätsverlust deutlich gesenkt. Die Weiße Flotte kann außerdem sehr stark von uniformierten Prozessen und Systemen profitieren, welche über viele Jahre eingespielt und in den verschiedenen Unternehmungen unter dem Dach von UNITED RIVERS laufend weiter entwickelt werden, Budgetprozess, Warenwirtschaft, Qualitätskontrollen, IT, Ausbildung, etc.

Wie viele Schiffe sind es derzeit in Ihrer Gruppe?

Unter dem Dach der Gruppenholding werden etwas mehr als 100 Schiffe gemanagt. Die eine Hälfte befindet sich im Eigentum bei den Holdinggesellschaften, die anderen Schiffe betreuen wir für Partner aus aller Welt. Seit unserer Gründung in 2004 waren und sind wir immer schon Dienstleister, im Namen unserer anspruchsvollen Partner erbringen wir maßgeschneiderte „white label Services“. Das hat bei der KD gut funktioniert und es wird uns zusammen mit den kompetenten Mitarbeitenden auch bei der Weißen Flotte gelingen. Wir wurden übrigens bei der Bevölkerung und den Behörden in Sachsen und der Stadt Dresden überall sehr herzlich und wohlwollend aufgenommen.

Auf welchen Beinen soll in Zukunft das Business der Weißen Flotte stehen?

Es ist die weltgrößte Flotte historischer, denkmalgeschützter Dampfschiffe, die alle 1:1 erlebt und bereist werden können, das ist die Kernbotschaft. Geist und Erbe zugleich – seit 1836.

Aber fachgerechter Unterhalt und stete Einsatzbereitschaft dieser großartigen Seitenraddampfer kostet viel Geld – nur von ihrer Schönheit und von der Liebe ihrer Bewunderer allein können die Kosten nicht gedeckt werden. Es ist kein Geheimnis, dass in der letzten Dekade Chancen verpasst und insgesamt zu wenig Präsenz gezeigt wurde, um genügend Einnahmen zu generieren.

Eine zu passive Haltung bei der Vielfalt und der Qualität des kulinarischen Angebots, ein kontinuierliches Ausdünnen des Fahrplanangebots und ein zu wenig erkennbares Bemühen um jeden einzelnen Gast aus Nah und Fern.

Ich glaube fest an die Kraft von Vernetzung und Kooperation, die Formel ist einfach: 1 + 1 = 3. Beispielsweise unsere Partner in der Flusskreuzfahrt und unsere besten Kontakte zu allen Stakeholdern der nationalen und internationalen Reisebranche. Das kann ein Besuch vor -, während oder nach einer Flusskreuzfahrt sein, oder die Weiße Flotte ganz grundsätzlich in die Erlebniskette für Gäste während eines Aufenthaltes in der Region Oberelbe einzubinden.

Aber natürlich sind gerade auch die Menschen vor Ort besonders wichtig, welche die Schiffe der Weißen Flotte jeden Tag nutzen können. Hier müssen und wollen wir attraktive Angebote für alle Anspruchsgruppen offerieren – oder Erfolgreiches aus der Vergangenheit wieder aufleben lassen – mit unterschiedlichen Formaten und flexiblen, angepassten Preismodellen.

Also könnten die Schiffe jetzt mit verschiedenen Bewertungen wie bei den Sternesegmenten ausgestattet werden?

Wir bedienen unter dem Dach von UNITED RIVERS unterschiedlichste Produkte auf allen Niveaus. Wir werden nun ganz sicher nicht die Schiffe mit Sterneküche und einem 150€-Menü ausstatten. Das kann vielleicht auf einem der Dampfer an einem Abend in der Woche funktionieren. Viel wichtiger ist die Vielfalt und verschiedene Erlebnismöglichkeiten. Für die Gäste beispielsweise, die nur eine kurze Fahrt machen möchten, wollen wir ein zeitgemäßes und insbesondere schnell verfügbares Verpflegungsangebot machen. Ganz grundsätzlich werden die „neuen“ Ansprüche der KonsumentInnen in das Angebot einfließen (saisonal, regional, vegetarisch und vegan). Diese Themen wurden aus meiner Sicht vernachlässigt. Eine attraktive Speisekarte, begleitet von aufmerksamen, gut aufgestellten Servicemitarbeitenden, welcher Gast lässt sich da nicht gerne verwöhnen! Ja, es muss auch die Lust geweckt werden beim Kunden.

Eine Erlebnisfahrt auf dem 100-jährigen Dampfschiff führt doch automatisch zu einer gewissen Erwartungshaltung, und der wollen wir gerecht werden. Nicht nur gastronomisch – auch die Verlässlichkeit der Abfahrten muss wieder aufgebaut werden. In den letzten Jahren bestand zu oft Unsicherheit, ob das Schiff überhaupt fahren wird oder nicht. Ich glaube, da wurde die Flinte manchmal zu schnell ins Korn geworfen nach dem Motto: Wir haben Niedrigwasser, also fahren wir nicht. So darf das nicht sein. Zusammen mit den Mitarbeitenden der Weißen Flotte haben wir bereits für diese Saison einen verlässlichen Stufenfahrplan ausgearbeitet und implementiert: Die drei Stufen passen sich dem jeweiligen Wasserstand der Elbe automatisch an. Plan A mit der großen Strecke, Plan B mit einer kleineren und Plan C mit einer Miniaturstrecke „ums Haus herum“.

Die Gäste kommen, um die Dampfmaschinen in Aktion zu sehen und um schöne Stunden an Bord zu verbringen. Man muss sich darauf verlassen können aufs Schiff gehen zu können. Das ist wie bei einem Stammlokal – wenn dieses immer mal wieder unerwartet geschlossen ist, geht man nicht mehr hin.

Ironie ist, dass sich für uns erst durch die eben genannten Versäumnisse die unglaubliche Chance ergab, die Geschicke (das Ruder) der Weißen Flotte in die Hand nehmen zu können.

Foto: Sächsische Dampfschifffahrt/Weiße Flotte Dresden

Was ist nach dem Kauf bis jetzt geschehen?

Im September 2020 erst wurde die Flotte übernommen, trotz Insolvenz im laufenden Betrieb. Es hat also keine Unterbrechung der ausgeschriebenen Fahrten gegeben. Die wichtigste unserer Kernaussagen war die Übernahme aller Mitarbeitenden. Und das zweite Versprechen, an den historischen Dampfern werden alle Instandhaltungen vorgenommen. Trotz Pandemie und Liquiditätsengpass haben wir alle Wartungs- und Unterhaltsprogramme durchgeführt. Im Winter setzten wir uns mit den nautischen Mitarbeitenden und auch Pensionären zusammen und diskutierten in Arbeitsgruppen, z.B. warum welche Strecken nicht mehr bedient werden oder warum bei bestimmten Wasserständen überhaupt nicht gefahren wird. Dabei kam überraschend heraus, dass bestimmte Fahrten durchaus möglich sind. Die Mitarbeiter waren mit Freude dabei – nicht nur, weil ihre Meinung gefragt war, sondern weil man eben als Resultat mehr fahren könnte. Stephan Bloch, unser sehr erfahrener und führungsstarker Mann in Dresden, hat mit ihnen zusammen den Drei-Stufen-Fahrplan entwickelt, der sich nach den jeweiligen Wasserpegeln richtet. Auch für die kalte Wintersaison, die für die Weiße Flotte bisher eigentlich nicht stattfand, wurden Lösungen mit den Schiffen gefunden, die beheizbar sind. Das gab es wohl die letzten Jahrzehnte nicht mehr – eine Präsenz im Winter auf der Elbe. Leider hat uns die Pandemie dann einen Strich durch die Rechnung gemacht und wir sind den Beweis noch schuldig geblieben, dass ein Ganzjahresbetrieb mit gewissen Schiffen möglich ist.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Weiße Flotte noch vor wenigen Jahren 750.000 Gäste an Bord begrüßen durfte. Diese Zahl ging dann auf 400.000 zurück. Wo sind bei der gleichen Anzahl Schiffe denn diese Gäste geblieben? Es gab schlicht immer weniger Abfahrten und Angebote. An Gästen mangelt es in Dresden sicherlich nicht, die Stadt ist ein Touristenmagnet in Deutschland.

Seit Jahresbeginn ist die Gastronomie an Bord schon etwas angepasst worden, sie ist zeitgemäßer und das Angebot ist größer. Jetzt werden wir testen, welche Produkte gut laufen und welche weniger. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Servicegeschwindigkeit. Wenn ich eine kurze Fahrt buche und erst nach 30 Minuten ein Bier bestellen kann, traue ich mich nicht ein zweites zu ordern oder gar eine Speise. Das war wohl eines der größten Mankos bisher, wie Gäste berichteten. Einsparungen bei der Anzahl an Servicekräften hat diesen Negativtrend der Gästezufriedenheit befeuert.

Wie soll die Saison 21 konkret beginnen?

Wir hatten ja im April schon klein begonnen, da wir als öffentlicher Verkehr eingestuft sind. So konnten wir mit zwei Schiffen an den Wochenenden vereinzelte Strecken ohne Gastronomie fahren. Wir stehen jetzt Gewehr bei Fuß und warten auf die offizielle Wiedereröffnung der Außengastronomie. Das könnte hoffentlich Anfang Juni der Fall sein. Mit einer neuen Normalität rechne ich aber eher Ende Juli bis Anfang August. Unser Traum ist es, im August wieder mit allen Schiffen volle Fahrt aufnehmen können. Früher ist auch erlaubt (lacht.)

Wie wichtig sind die alten Touren bei der Neuausrichtung?

Wir haben eine der alten Planfahrten, die jetzt seit einem Jahrzehnt nicht mehr stattfanden, wiederbelebt. Da geht es um die großartige Tagesrundreise von Königstein bis nach Decín in Tschechien mit einem zweistündigen Aufenthalt vor Ort. Natürlich muss da Wasser sein, aber auch wenn das nur teilweise befahren werden kann, ist es bereits durch die wunderschöne Gegend beeindruckend.

Gibt es weitere Konzepte?

Zum Beispiel Hafenrundfahrten in Dresden. Zur Abendstimmung vor der Dresdener Stadtkulisse zu fahren ist einfach nur ein Traum. Die Stadt ist meist brechend voll, da findet man kaum noch einen freien Stuhl, einen freien Restaurantplatz. Wir haben hier sieben Dampfer direkt an der Promenade liegen, gerade mal zwei Minuten vom Zentrum entfernt. Was liegt näher, als zusätzliche Dinner-Fahrten zu machen. Und wenn wirklich überhaupt kein Wasser da sein sollte, kann man sie immer noch als Gastronomie am und auf dem Wasser zu nutzen. So wollen wir mehr Präsenz zeigen.

Themenveranstaltungen?

Die Menschen vor Ort haben wahrscheinlich weniger Geld in der Tasche als in Berlin oder anderen Metropolen. Dort gibt es deutlich mehr Firmen, die sich alle paar Jahre für einen Firmenevent ein Schiff chartern, aber wir werden uns sehr aktiv um unser Potential vor der Haustüre bemühen.

Aber auf keinen Fall wollen wir vergessen, dass die Weiße Flotte zum überwiegenden Teil für den ganz normalen Konsumenten vor Ort offen steht der sich das leisten kann und sich hier wiederfindet. Eine attraktive Palette an Produkten soll für alle Bevölkerungsschichten etwas bieten.

Wäre es vorstellbar, ein oder zwei Schiffe für einen Event zum Beispiel in Hamburg mal einzusetzen?

Daran habe ich schon gedacht. So etwas wie Dresden meets Hamburg, ein Dampfschiff bemannt mit unserer Crew für vielleicht 3-4 Wochen vor Ort. Das würde sicher viele Firmen zu einer Event-Buchung unter der Woche veranlassen, und am Wochenende könnte das Publikum Elbefahrten buchen. Aber das sind bis jetzt bloß Ideen.

Foto: United Rivers

Sind später Flottenzugänge oder Stilllegungen einzelner Schiffe geplant?

Die historischen Raddampfer, die unter Denkmalschutz stehen, werden nie verkauft oder stillgelegt werden. Im Gegenteil – vielleicht erhalten sie ja sogar irgendwann ein Schwesterchen.

Es soll entlang der Elbe noch den einen oder anderen historischen Dampfer geben, der in die Weiße Flotte aufgenommen werden könnte. Wir haben die Dampfschiffe in eine separate Gesellschaft mit dem Namen Kulturerbe Dampfschiffe Dresden GmbH integriert, um sie zu schützen. Dazu werden wir noch dieses Jahr eine Art Wächterrat ins Leben rufen, der dafür sorgen soll, dass die denkmalgeschützten Seitenraddampfschiffe langfristig auch nach meiner Zeit behütet und gepflegt, aber insbesondere auch eingesetzt werden. Wir wollen nicht zu einem stehenden Freilichtmuseum werden.

Bei den beiden Salonschiffen sieht das etwas anders aus. Sie wurden Ende der 80er Jahre gebaut. Da ist es wünschenswert, sie in vielleicht 4-5 Jahren durch CO2-freie, topmoderne Schiffe zu ersetzen. Das ist heute aber nicht ganz oben auf der Prioritätsliste. Jetzt müssen wir erst einmal beginnen, Geld zu verdienen. Wir haben tolle Leute, ein einmaliges Produkt – warum sollte das nicht gelingen?

Wie viele Gäste gab es zuletzt auf der Weißen Flotte?

Etwa 400.000. Wir glauben, dass das wieder auf die alten Zahlen von 700 oder 800.000 zu steigern ist, ohne dabei ein Massenprodukt zu werden. Es muss erlebbar sein. Wir wollen einfach mehr fahren und dabei bezahlbar bleiben, dadurch kommen auch die Gäste zurück.

Wäre es denn denkbar, auch Übernachtungsmöglichkeiten auf Schiffen zu bieten?

Nein, wir wollen in keiner Weise eine Konkurrenz zur regionalen Hotellerie – oder zu unseren Partnern in der Flusskreuzfahrtbranche aufbauen. Wenn aber für Großanlässe „Hilfeschreie“ von Land und Stadt an uns herangetragen werden, dann lassen sich Übernachtungsmöglichkeiten auf Flusskreuzfahrtschiffen über uns arrangieren, insbesondere in den Monaten November – März.

Haben Sie einen Liebling unter den älteren Damen der Flotte?

Na ja, die Diesbar hat schon eine Sonderstellung und wird als einziger Dampfer noch mit Kohle befeuert, mit einem eigenen Heizer.

Wir könnten hier vielleicht mit einem Augenzwinkern ein Adventure für angehende Manager anbieten, die zwei Stunden Kohle schaufeln und heizen müssen. Das funktioniert auch im Winter. An Ideen für ein neues Leben der Weißen Flotte mangelt es also nicht.

Aber man darf nie vergessen – dieses wunderbare Kulturgut Dampfschiffe gehört uns eigentlich nicht, es wurde uns nur anvertraut!

Beitrag zur Weißen Flotte (Auszug) aus dem Magazin 2/2021: Die Dresdner Prachtflotte