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Digitale Revolution auf dem Wasser

Die Internet-Technik verändert die Welt der Kreuzschifffahrt rigoros. Mit führend bei ihrer Einführung in die Hochsee- und Flusskreuzfahrt ist eine deutsche Firma, die Lufthansa Industry Solutions. Roland Mischke hat das Unternehmen in Hamburg besucht.


Bilder: enapress.com, Lufthansa Industry Solutions, Ievgeniiya Ocheretna—istockphoto.com, suteishi—istockphoto.com


Die bunte und stets gut gelaunte Truppe von Disney kommt in altmodischen Kleidern daher. Die Kreuzfahrtschiffe des Familienunterhaltungskonzerns sind stilistisch historischen Oceanlinern nachempfunden. Zum Beispiel die Disney Dream. Vom Heck lacht der überdimensionale Zauber- lehrling Mickey. Er hat allen Grund dazu: Was altmodisch aussieht, ist zeitgemäß, hochmodern und verdächtig zukunftsträchtig. Man sieht es nur nicht.
Daran mitgewirkt hat der Geschäftsbereich Maritime Solutions von Lufthansa Industry Solutions mit Sitz in Hamburg und 40 hochqualifizierten Mitarbeitern. Genaue Daten, was die Experten auf dem Disney-Schiff installiert haben, dürfen sie nicht preisgeben. Das ist Betriebsgeheimnis. Aber Klaus Vollmer, Geschäftsfeldleiter des Bereichs, erinnert sich an eine großartige Zusammenarbeit. „Die Leute waren offen für alles“, schwärmt er. „Wir haben die gesamte Schiffsseite als gepixelte Darstellungsfläche der Disney-Welt gestaltet, abgebildet in einer riesigen Animation von Schriftzeichen.“
Kein Wunder, das Zauberwort von Disneys Firmenstrategen lautet: Imagineering. Eine Wortkreation aus Image und Engineering, die in keinem Duden steht. Aber in diesem Fall in Realität umgesetzt worden ist.


„Wir bringen das Wohnzimmer in die Kabine.“

Klaus Vollmer, Geschäftsfeldleiter Maritime Solutions

Immer mehr Schiffe

Die Schifffahrt steht vor einem Umbruch. Die Digitaltechnik wird vieles ändern, erleichtern und für mehr Sicherheit an Bord sorgen.
Und dazu hilft die intelligente Vernetzung an Bord, Abläufe zu beschleunigen, Kosten zu sparen. Auch der Passagier profitiert davon. 24 Millionen Fahrgäste waren 2018 auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs. In diesem Jahr werden es noch mehr sein, der Zuwachs steigt rasant. Für 2050 sind 75 Millionen prognostiziert. Internationale Reeder planen, in zehn Jahren 110 Milliarden Dollar in neue Kreuzfahrtschiffe zu investieren. Es werden ganz andere Schiffe sein als bisher. „Die neue Infrastruktur ist der Wachstumstreiber“, betont Vollmer. Das gilt nicht nur für Hochseeschiffe, sondern auch für die Flusskreuzfahrt.


Die gesamte Flotte von Crystal River Cruises (hier die CRYSTAL MAHLER) wurde von der Hamburger Firma „vernetzt“

Die hochspannende Technik wird die Rendite steigen lassen, mit ihr werden Schiffe das ganze Jahr über aufs Wasser gebracht, mit modernster Hard- und Software ausgestattet. Es gibt dadurch erhebliche Einsparmöglichkeiten. Etliche Schiffe sind bereits mit Sensoren ausgestattet, die Wetterdaten einbeziehen, die Routenführung verbessern, die Betriebsdaten des Schiffes aktualisieren, den Stromverbrauch optimieren und den Verschleiß messen. So soll Zeit und Sprit gespart werden, das ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll.

Vom Müllmanagement bis zur Essens- und Getränkebestellung mit digitaler Bestandsübersicht in Echtzeit analysiert und diagnostiziert das System Mankos, sorgt für reibungslose Abläufe. Auch übermäßige Verschwendung bei den Mahlzeiten kann erkannt und in Zukunft reguliert werden. Über die Technik ist alles mit allem verknüpft, die sofortige Ortung und direkte Opti- mierung erleichtert das. Jetzt wird die gesamte Infrastruktur der Kreuzfahrtschiffe auf ein neues Niveau gebracht. „IT wird zum zentralen Nervensystem der Schiffe“, erklärt Vollmer. Und für den Passagier bedeutet das: „Wir bringen das Wohnzimmer in die Kabine.“

Wie sieht das Kreuzfahrtschiff der Zukunft aus?

Die neuen Schiffsgenerationen werden komplett mit Digitaltechnik ausgestattet. Also mit Mobiltechnologien, Entertainmentsystem und Unterhaltungselektronik, der Organisation an Bord und der medizinischen Versorgung. Das gilt sowohl für die Operations- als auch die Gästeseite. Ab 2020 wird es die ersten „Touchless Ships“ geben.
Tragbare Kommunikationsgeräte wie Smartphones und Tablets werden mit dem Schiff vernetzt. Die Zahl der Access-Points ist explodiert: Waren es noch vor wenigen Jahren etwa 300 auf einem Schiff, sind es heute etwa zehnmal mehr. Digitale Wegweiser in den öffentlichen Bereichen helfen zur Orientierung. Die digitale Ausrüstung wird für das Personal, aber auch für Passagiere den Alltag an Bord erleichtern. Die Automatisierung der Kabine ist zentral kontrollierbar und proaktiv erkennbar, nicht nur bei Gefahren wie Feuer. Wird gesichtet, dass eine Klimaanlage nicht funktioniert, ist ein Techniker oft schon auf dem Weg zur Kabine, bevor die Nutzer es ge- merkt haben. Auch Jalousiebetrieb, Beleuchtung und andere elektrische Komponenten werden durchweg auto- matisch verwaltet, so können Vorhänge bei starker Sonneneinstrahlung auf der gesamten Schiffsseite automatisch geschlossen werden und erleichtern den Strombedarf für die Klimaanlagen. Wenige Beispiele immer zahlreicher werdender Möglichkeiten.
„Wir bieten bessere IT-Bedingungen als fast jede Kleinstadt“, sagt Klaus Vollmer. Das System beherrscht schon heute die Anforderungen von morgen.
Die Kabinentür wird mit einem Chip-Armband oder dem Handy geöffnet, auch Getränke an der Bar werden so abgerechnet. Mehr als tausend Kameras auf den Decks können neben sicherheitsrelevanten Aspekten auch dazu dienen, Gäste per Gesichtserkennung in Restaurants ihren Vorlieben entsprechend entgegenzukommen. Bestellt der Kunde per App einen Drink, erkennt das System, wo er sich gerade aufhält oder in welche Richtung er geht – und der Drink wird dorthin gebracht.
Die meisten Passagiere möchten, das zeigen Umfragen, eine bessere Vernetzung mit moderner IT während der Seereise. Neben dem öffentlichen Internet gibt es heute mehrere andere Netze mit unterschiedlichen Zugangsberechtigungen – bis hin zu den besonders gesicherten für sensible Daten wie Kreditkarteninformation oder Sicherheitsfragen.

Vernetzung auf Fahrt: Die EUROPA war 2005 das erste große Projekt des Teams

Bald kommen die Sprachbefehle

Als Klaus Vollmer und sein Team 2005 ihr erstes Schiff, die Europa, mit digitaler Technik bescherten, lief das auf einen kompletten Umbau hinaus. Auf dem Schiffs- weg von Kiel nach Istanbul wurde „alles ausgetauscht“. „Damals kam es darauf an, dass sämtliche Integrationen stattfanden“, so Vollmer. „Das muss bei jedem Schiff aus operativer Sicht angegangen werden. Heute ist alles we- sentlich einfacher integrierbar.“
Der Europa wurde ein neues Computernetz verpasst. Für das Office, für Internetempfang im Internetcafé über Satelliten und Fernsehen, für iTV (interaktive TV, für Media Streaming, TV und weitere Applikationen) und IP-Telefonie. Alles ist auf WLAN umgestellt worden. „Nach neun Wochen hatte das Schiff ein neues integriertes Netz“, erzählt Mitarbeiter Frank Sandmann- Litfin. „Das war fortschrittlicher als in jedem digital topausgerüsteten Hotel.

Das nächste große Ding wird die Smart Cabin sein.
Dort braucht der Passagier keinen Schalter mehr, soll das Licht erlöschen. Man spricht einfach den Sprachbefehl „Licht aus“ in die Kabine hinein. Nur schlafen muss man noch selber. In spätestens zehn Jahren folgt die Mimik-Erkennung. Der Passagier sagt, was er will – und wird dabei erkannt.

In der Hamburger Zentrale des Geschäftsbereichs Maritime Solutions in Flughafennähe sind alle technischen Möglichkeiten gegeben, die wichtigsten IT-Strukturen (auch mehrerer Schiffe parallel) in Originalgröße aufzubauen und gleichzeitig zu testen. Bei besten Voraussetzungen – allein die Verkabelung einer der Testräume ließ sich die Firma rund eine Million Euro kosten. Selbst ein Zollager der Lufthansa Technik gehört dazu. „Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung – das ist die Zukunft“, ist Klaus Vollmer überzeugt. „Das anfangs noch grobe Design wird immer mehr zum Feindesign.“ Sein Kollege Stefan Peters ergänzt: „Das ist es, was uns in unserem Beruf so begeistert. Wir empfinden das als Berufung, wir haben eine Passion.“


Das Projekt

Soll ein Kreuzfahrtschiff mit der neuesten Digitaltechnik aufgerüstet werden, ist eine umfangreiche Vorbereitung unerlässlich. Bei Kaffeeduft und Tee sitzen zunächst die Sales und Account Manager in nüchternen Räumen zusammen zum Kickoff Meeting mit dem Projektleiter. Das Projekt wird ausgiebig besprochen, der Rahmen festgelegt. Der Projektleiter sammelt sämtliche Informationen des Kunden, so entsteht eine Vorstellung von den Arbeitsmaßnahmen.

Klaus Vollmer zeigt das Interface des interaktiven Systems, das für Crystal entwickelt wurde.

Folgende Punkte sind zu klären: Das Angebot und der Zeitplan der Werft müssen erörtert, Spezifikation und Bill of Material (Stückliste des benötigten Equipments) geklärt werden. Es werden Gruppen­ gebildet, in denen die Fach-Teams zu produktiven Gesprächen zusammentreffen. Ein besonders großer Bereich ist der GA-Plan, in dem die Einbauten an Bord entwickelt, geplant und umgesetzt werden. Dazu kommen Abstimmungen und Vereinbarungen mit Kunden­ und Subunternehmen. Die einzelnen Schritte/Phasen:

1

Der Projektleiter erarbeitet einen ­Projektplan, der mit dem Ressourcen Management und dem Team besprochen wird. Ziel ist, die richtigen Mit­arbeiter – wie Architekten und Teilprojektleiter – und ­deren Rolle festzulegen. Das wird mit dem Kunden ­abgestimmt. Alle ausgewählten Projektmitarbeiter werden informiert über die Projektumgebungen und diverse Spezifikationen. Die erste Phase dauert zwölf bis 20 ­Wochen.

2

Im nächsten technischen Gang geht es zum Engineering, in der die einzusetzenden Systeme besprochen ­werden. Dazu werden zahlreiche Workshops einberufen, bei ­denen sowohl die Interessen der Reederei als auch der Werft diskutiert werden. Parallel zu diesem Prozess werden die Verträge mit den Sublieferanten geschlossen und die Hardware beschafft. Hier ist mit sieben bis zehn Wochen zu rechnen.

3

Der folgende Projektschritt ist die Staging-Präsentation. Dabei geht es darum, dass die Data Centers der Schiffe für eine Feuerzone aufgebaut werden. Die Endgeräte werden eingesetzt, dabei handelt es sich um Core ­Switches, Firewalls, Server und anderes. Mit deren Hilfe werden alle Aspekte der Schiffs-IT konfiguriert und ­getestet. Hierfür werden vier bis acht Wochen angesetzt.

4

Nachfolgende Logistik-Phase ist der Factory Acceptance Test (FAT), bei dem das „Freeze“ (das Festlegen) des ­Designs bestimmt wird. Dieses System hat der Kunde zu bestätigen. Ist das geschehen, wird die geplante Ver­kabelung des Schiffs dokumentiert. Anschließend wird die Hardware zum Einbau in das Schiff an die Werft ­geschickt. Der Projektleiter besichtigt und prüft in regelmäßigen Abständen den Bauzustand und die einzelnen Komponenten des Schiffes anhand einer genauen Checkliste. Diese zentrale Phase dauert, abhängig von Meetings auf der Werft, vier bis acht Wochen.

5

Die Rollout-Phase setzt ein, sobald die Hardware auf der Werft eingetroffen ist. Exakt nach dem Engineering der erstellten Pläne wird der Aufbau der Verkabelung vollzogen. Nach Einbau der Hardware beginnt die Inbetriebnahme. Systeme werden hochgefahren, sämtliche Endgeräte konfiguriert und inventarisiert. Dafür werden zwei bis fünf Wochen veranschlagt.

6

Am Ende des Projektablaufs steht die Abnahme des ­Kunden, der Site Acceptance Test (SAT). Mit der Ablie­ferung des Schiffes begleiten die Techniker alle Betriebsbereiche. Sie stehen für etwaige Probleme der Crew als Experten mit Rat und Tat zur Seite. Das kann in etwa vier Wochen geleistet werden.

Die Fakten

  • Seit 2005 wurden auf mehr als 100 Schiffen Projekte durchgeführt.
  • Mehr als 400000 Netzwerk-Ports wurden installiert und konfiguriert.
  • Mehr als 150 000 IP-Phones (Internet-Telefonie) wurden installiert und konfiguriert.
  • Mehr als 20000 Basisstationen für kabellose Kommunikationsgeräte wurden installiert und konfiguriert.
  • Mehr als 1800 „Cabin Controller“ wurden bereits verbaut.
  • Lieferung vom Design bis zum Betrieb
  • Das Portfolio beinhaltet: LAN (Netzwerk), WLAN, IP-Telefonie, CCTV (Überwachungskamerasysteme), Uhren (Netzwerkfähige Uhren), Server & Storage (Netzwerkspeicher), Firewalls (Netzwerkgrenzen zwischen internen und externen Netzwerken), Broadcast (Fernsehen, Video und Audio), iTV (interactive TV), Beaconing (drahtlose Signalisierung), Location Tracking (Standortverfolgung), Face Recognition (Gesichtserkennung), Digital Signage (Digitale Informationen in öffentlichen Bereichen), Applications (Mobile Applikationen für Gäste & Crew), Cabin Control (Steuerung & Überwachung der Kabine für den Operativen Betrieb) und Room Automation (Gäste App zur Steuerung der Kabine).
  • Standorte in Hamburg und Miami.

Das Team

  • Klaus Vollmer, 51, Geschäftsfeldleiter Maritime Solutions
    Der Wirtschaftsingenieur ist seit 1996 im Unternehmen. Erst als Projektleiter im Bereich Telekommunikation, dann der Wechsel zu Hospitality. Seit Januar 2019 leitet er den Bereich Maritime Solutions.
  • Sven Frantz, 37, Manager Cabin Control und Projektleite
    Der Betriebswirt und Informationselektroniker ist seit 2002 bei Lufthansa, seit 2005 im Bereich Hospitality der LHIND. Seit 2008 ist er an der Entwicklung des Cabin Control Systems beteiligt.
  • Frank Sandmann-Litfin, 48, Project Manager
    Der Fachinformatiker ist seit 2002 in der Kreuzfahrtbranche und verantwortete die IT auf den Schiffen von Hapag-Lloyd Cruises. 2012 kam er zur LHIND und leitet die IT Rollout-Projekte auf Schiffsneubauten.
  • Stefan Peters, 37, Manager operatives Projektmanagement / Ressourcenmanagement
    Der technische Betriebswirt und Fluggerätemechaniker kam 2016 zur LHIND, wo er alle Kreuzfahrtprojekte plant, steuert und umsetzt. Zuvor war er bei der Lufthansa Technik etwa für das Projekt „VIP Jet Solutions“ tätig.
  • Stefan Kottwitz, Senior IT-Berater für Netzwerk-Technologien
    Der Mathematiker arbeitet seit 2014 für LHIND und verantwortet den Netzwerkaufbau auf Kreuzfahrtschiffen. Zuvor war er IT Communications Officer auf der EUROPA, dann bei AIDA Cruises.

Informationen: https://www.Lufthansa-Industry-Solutions.com