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Ein fataler Fehler

Die „Andrea Doria“ war zu ihrer Zeit das größte und schnellste Passagierschiff der italienischen Handelsflotte. Im Juli 1956 versank sie im Nordatlantik.

Piero Calamai, ein erfahrener Kapitän im 58. Lebensjahr, hatte eine düstere Ahnung. Die Andrea Doria, die Mitte 1956 bereits 100 Atlantik-Überquerungen erfolgreich absolviert hatte, war nach dem am 17. Juli 1956 von ihrem Heimathafen Genua erfolgten Start nach acht Tagen in Amerika angekommen, vor Nantucket Island, Massachusetts, doch am neunten Tag, 25. Juli 1956, geriet sie in dichten Nebel. Das 1948 in Dienst gestellte schwedische Passagierschiff Stockholm kam auf Parallelkurs entgegen, sein Nebelhorn war nicht zu hören. Calamai hoffte, dass die Schweden das Nebelhorn der Italiener hörten, aber das 11500-BRT-Schiff, kleiner und wendiger, drehte plötzlich ab und kam auf sein Schiff zu. Das geschah 60 Seemeilen vor New York.

Die Stockholm, auf der Reise von New York heimwärts nach Göteborg, hatte einen viel stärkeren Eisbrecherbug. Damit rammte sie die Andrea Doria und riss deren Schiffskörper über 20 m Länge auf. Innerhalb weniger Minuten schossen 500 Tonnen Seewasser in das Schiff hinein – damit war das Schicksal des berühmten Ozeandampfers, der als eines der sichersten Schiffe der Welt galt, besiegelt. Über die Schuldfrage wurde viele Jahre vor Gerichten verhandelt, sie blieb ungeklärt. Klar war nur, dass neben der schlechten Witterung auch Leichtsinn und Technikgläubigkeit zum Untergang des Schiffes führten.

Der nach dem genuesischen Admiral Andrea Doria benannte Luxusliner war im Juni 1951 vom Stapel gelaufen, am 9.12.1952 abgeliefert worden und im Januar 1953 zur Jungfernfahrt gestartet. Das Schiff verfügte über opulenten Platz, es war bei 213,4 Metern Länge, 27,5 Metern Breite und 10,84 m Tiefgang mit 29.083 BRT vermessen. Sein Antriebssystem, zwei ölbefeuerte Kessel und zwei 50714 PS leistende Dampfturbinen, galt in der ersten Hälfte der 1950er Jahre als hochmodern, das Schiff erreichte damit über zwei Festpropeller eine Maximalgeschwindigkeit von 26 Knoten. Mit doppelwandigen Schotten und einem in elf Abteilungen unterteilten Rumpf galt es als eines der sichersten Schiffe auf den Weltmeeren, zudem war es bereits mit dem noch jungen Radarsystem ausgestattet, das aber auch störanfällig war.

Foto: Sammlung JSA

Erstellt wurde es von der Ansaldo-Werft in Sestri Ponente bei Genua als Baunummer 918. Zur Schiffstaufe erhielt es den Segen des Erzbischofs Giuseppe Siri, die Gattin des damaligen Ministers der Handelsmarine Italiens warf die obligatorische Flasche an den Rumpf. Schon auf der Jungfernfahrt geriet das Schiff vor Nordamerika in schwerste Stürme, meisterte aber bravourös die Lage und wurde daraufhin vom New Yorker Bürgermeister persönlich beglückwünscht.

Weil damals die Luftfahrt an Bedeutung gewann, wollte das Schiff mit einem nie dagewesenen Luxus Menschen anlocken. Das gelang, es war fast immer ausgebucht und warb mit mondäner Geselligkeit auf den Meereswogen. Für 1134 Passagiere und 572 Besatzungsmitglieder standen zehn Decks zur Verfügung. Die Gäste verwöhnte man in 31 Gesellschaftsräumen, einem Ballsaal und einem Wintergarten. Für die drei Klassen – Erste und Zweite Klasse sowie Touristenklasse – gab es je einen Swimmingpool, die Waschräume wurden prunkvoll eingerichtet, wie man es noch nie auf einem Schiff gesehen hatte; sie erinnerten an die Bäder im Rom der Cäsaren. Ganz modern waren dagegen die Information der Gäste durch die bordeigene Zeitung, die ihnen zum Frühstück druckfrisch auf die Tische gelegt wurde.

Allein für die Ausstattung und Kunstwerke des Schiffes, darunter eine lebensgroße Bronze-Statue seines Namensgebers, waren mehr als eine Million US-Dollar ausgegeben worden. Es versprach Vergnügungsreisen, wie sie seinerzeit einzigartig waren. Kellner servierten Cocktails in den Lounges, die Bordkapelle spielte auf, an Bord konnte man Tontaubenschießen oder in Liegestühlen dösen, im Schiffsinneren liefen Filme und es gab eine Bibliothek. Immer wieder hieß es, die Andrea Doria sei das schönste Schiff, das je auf die Meere geschickt wurde. Erst später wurden Mängel benannt, so neigte das Schiff insbesondere bei fast leeren Treibstofftanks zu Krängungen, Schräglagen die ein gravierendes Problem für die Stabilität und damit für Seetüchtigkeit und Sicherheit werden konnten.

Foto: Sammlung JSA

Am letzten Tag der Andrea Doria waren die Reisenden schon gespannt, einige machten sich bereits fertig, um durch Ferngläser die Fackel der Freiheitsstatue vor New York zu sichten. 22.45 Uhr sieht der in Italien als bester Kapitän geehrte Piero Calamai, aus altem Seeadel, auf dem Radar das 17 Meilen entfernte Schwedenschiff. Er unternimmt nichts, es gibt keine Kommunikation über Funk und auch die Offiziere halten offenbar eine Überprüfung für unwichtig. Die exakt geplante Annäherung der Schiffe war damals noch nicht möglich, es gab keine „true motion“-Geräte, die Geschwindigkeit und Kurs anderer Schiffe genau erfassten. Calamai verlässt sich auf seine Erfahrung, reduziert die Geschwindigkeit nur leicht von 23 auf 21,8 Knoten und lässt das Nebelhorn einschalten sowie den Kurs nur wenig Grad nach Süden ändern.

Foto: Sammlung JSA

Zugleich begehen die Schweden offensichtlich einen Fehler, als sie vermuten, dass die Andrea Doria, inzwischen auf zwölf Meilen nahe, an Backbord aufkommt und sie deshalb ihren Kurs um ca. 20 Grad nach Steuerbord ändern, um den Passierabstand an Backbord zu vergrößern. Gegen 23 Uhr sind es nur noch vier Meilen, der Rechtsverkehr auf See muss eingehalten werden – und jetzt hätte Calamai sicherheitshalber ein paar Grad in Richtung der offenen See gehen können. Das ordnet er nicht an, die Kollision war nach dem Insichtkommen der Gegner aus dem Nebel auch durch die eingeleiteten Manöver letzten Augenblicks nicht mehr zu stoppen. In der späteren Analyse hieß es, beide Schiffe seien zu schnell gefahren und beide Seiten hätten die Radarbilder falsch gedeutet.

Die Andrea Doria erlitt starke Schlagseite, wodurch nur die Hälfte der Rettungsboote auf das Wasser gebracht werden konnte. 1660 Passagiere überlebten, weil außer der Stockholm vor allem auch andere in der Nähe befindliche Schiffe zahlreiche von ihnen aufnehmen konnten. 46 Menschen von Bord der Andrea Doria starben. Am Morgen des nächsten Tages konnten einige der Überlebenden aus der Ferne noch sehen, wie das Schiff im Meer versank.

Piero Calamai hat das Unglück nie verkraften können, seine Reederei ließ ihn fallen, er verfiel in Depressionen. Der Kapitän starb 1972 im Gram. Die Stockholm, auf der es 5 Todesopfer gab, lief vom Kollisionsort zurück nach New York, wo der zerstörte Bug repariert wurde. 1960 wurde sie an die DDR verkauft, dort fuhr sie bis 1985 unter dem Namen Völkerfreundschaft. Nach zahlreichen weiteren Eigner- und insgesamt 11 Namenwechseln ist sie seit 2016 als Astoria nach wie vor ein beliebtes Kreuzfahrtschiff.

Roland Mischke