Die „Servia“ war von 1881 an als Passagierschiff auf der Route zwischen Europa und Nordamerika im Dienst der britischen Reederei Cunard Line. Für einige Jahre war sie das einzige aus Stahl statt Eisen gebaute und zudem größte Schiff weltweit, ihre Existenz währte nach einer schweren Zeit nicht lange.
Jane Laura Addams, 1860 in Illinois geboren, wohnhaft in Chicago, war eine der frühen Frauen der US-amerikanischen Feministinnenbewegung. Sie studierte Soziologie und war eine engagierte Sozialistin. Sie kämpfte erbittert gegen die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen für Hungerlöhne und gegen den Kapitalismus. Männer, Frauen und sogar Kinder mussten damals unter schlimmen sozialen Bedingungen in Fabriken schuften, Addams brandmarkte das. Sie setzte sich auch für das Frauenwahlrecht, Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, Jugendschutz und Armenpflege ein.
Und sie nutzte die Servia, um ihre fortschrittlichen Themen auch nach Europa zu bringen. Dort lernte Addams auch den seinerzeit populären amerikanisch-britischen Schriftsteller Henry James kennen. Sie starb 1935.
Es war die Zeit der Geschwindigkeits-Konkurrenz zwischen den Reedereien. Einige Cunard-Schiffe hatten das blaue Band als schnellstes Schiff erlangt, aber die Servia schaffte das nie. Dafür verzeichnete sie einen anderen Triumpf: Sie war das erste Schiff der Welt, das vom Start an mit elektrischem Licht ausgestattet war. Zwar hatte die City of Berlin, ein Schiff der Imman Line, bereits 1879 Elektrizität an Bord – Baujahr 1874 –, aber es war eben kein Schiff, das von Anfang elektrisch ausgestattet worden war.
Die Servia mit ihren drei markanten Masten und leicht nach hinten geneigten Schornsteinen wurde als Baunummer 179 auf der Bauwerft J. & G. Thomson im schottischen Clydebank erstellt. Sie fuhr unter der Flagge des Vereinigten Königsreichs, der Heimathafen war Liverpool. Am 1. März 1881 lief sie vom Stapel, am 26. November begann die Jungfernreise.
Ihre Länge betrug 156,9 Meter, die Breite 15,9 Meter. Ihr Tiefgang lag maximal bei 6,25 m, die Vermessung wurde mit 7392 BRT angegeben. Im Maschinenbereich stand eine dreizylindrige Verbunddampfmaschine, die auf einen vierflügeligen Propeller arbeitete. Die Leistung der Maschinenanlage lag bei 10.300 PS (7576 kW), die Höchstgeschwindigkeit bei17,85 Knoten (33 km/h). Das Schiff konnte pro Tag bis zu 6500 Tonnen Kohle und anderen Ballast aufnehmen. Sechs stählerne Doppelend- und ein Einend-Kessel der Marke Scotch waren installiert worden, insgesamt standen 39 Feuerungen zur Verfügung.
In der Ersten Klasse befanden sich 400, in der Zweiten 200 und in der Dritten 500 Passagiere (ab 1889). Die Besatzung bestand aus 298 Personen.
Die Servia hatte fünf Decks und verfügte über eine Bark-Takelage. Das Promenadendeck war mit Gelbkiefern, das Hauptdeck mit Teakholz ausgelegt worden. Der verwendete Blaustahl kam von Siemens, es war zugleich ein Test, man wollte wissen, welches Material für ein Dampfschiff geeignet war.
Vom Haupttreppenzugang ging es zum direkten Weg zum Speisesaal und zum Musiksalon auf dem Oberdeck, dahinter befand sich der Damensalon. Erstaunlich groß war der Rauchsalon, neun Meter hoch, das war ungewöhnlich, und 6,7 Meter breit. Der Speisesaal war 22,5 Meter lang und 14,9 Meter breit, dort konnten 350 Gäste ihr Essen einnehmen. Der Raum war mit Saffianleder bespannt worden, alles war nobel und die elektrischen Leuchten wurden als außerordentlich angenehm empfunden.
1889 wurde die Kabinenkonfiguration etwas geändert, von da an konnten nur 1100 Reisende auf dem Schiff sein. Den mit einem Zellen-Doppelboden ausgestatteten Schiffsrumpf hatte man durch Schotten aufgeteilt, wasserdichte Abteilungen. Eine Besonderheit war, dass die Schotten von der Brücke aus mittels eines Pleuels gelenkt und geschlossen wurden. Die technische Innovation bestand darin, dass wasserdichte Türen auf Schiffen bis dahin mit der Hand heruntergekurbelt werden konnten. Das war ein Teil der Sicherheitsausrüstung, zu der dann auch noch zwölf Rettungsboote gehörten.
In jener Zeit war man auf dem Wasser kampfbereit, es gab Probleme zwischen den Ländern. An Bord des nach Admiralitäts-Spezifikationen erstellten Schiffes befanden sich insgesamt zehn Kanonenstellungen, sie waren fest verankert und hätten im Ernstfall den Einsatz als Hilfskreuzer ermöglichen können.
Der Start auf den Meeren begann unter dem Kommando von Kapitän Theodore Cook, die Jungfernfahrt begann am 16. November 1881. Cook war ein erfahrener Fahrensmann, zuvor hatte er die Gallia und den ersten Schraubendampfer von Cunard, die Russia, geführt, sowie die Umbria, die ein Blauband-Rekordbrecher geworden war. Am ersten Tag der Jungfernfahrt geriet die Servia aber in einen starken Sturm, so dass das Schiff erst am 8. November, einen Tag später als geplant, Queenstown erreichen konnte. An Bord waren 171 Passagiere in der Ersten Klasse, neben Honoratioren und Standespersönlichkeiten darunter der Vize-Admiral der Royal Navy, Sir William Nathan Wright Hewett, ein Bischof und US-Bankier. Wegen des großen Interesses erlaubte man Zuschauern im Dezember 1881 in New York, das Schiff zu inspizieren. Unter ihnen der spätere Bürgermeister der Großstadt, Seth Low. Insgesamt sollen sich bis zu 10.000 neugierige Besucher an diesem Tag an Bord befunden haben.
Am 6. Februar 1885 gelangte das Schiff nach einer Schlechtwetterfahrt in den Hafen von New York. Man vermutete sichtbare Schäden, was aber kaum der Fall war. Am 13. Juni 1885 lief die Servia im Gedney Channel auf eine Sandbank. Am 30. Januar 1886 kollidierte das Schiff unter Kapitän Horatio McKay bei dichtem Schneetreiben im North River mit einem entgegenkommenden Schiff. Es war der Dampfer Noordland, der zur Reederei Red Star gehörte. Es gab Schäden an der Steuerbordseite, so dass die Servia bei Liberty Island vor Anker ging. Aber es konnte schnell festgestellt werden, dass es sich nur um leichte Beschädigungen handelte.
Am 18. Mai 1889 gab es wieder im Gedney Channel extrem dichten Nebel, das Schiff trieb auf Sand. Am 30. Januar 1891 war die Servia in östlicher Richtung unterwegs, als ein erheblicher Maschinenschaden registriert wurde. Der Dampfer wurde zurück nach New York geschleppt. Zu den Passagieren gehörten Prinz Georg von Griechenland und der Kongressabgeordnete John. T. Cutting sowie Professor William Graham Summer mit seiner Ehefrau Jeannie. Am 6. September 1892 war die Servia unter dem Kommando von Kapitän Dutton auf dem Nordatlantik, als sie nachts gegen 3 Uhr nur noch in Nebel und Dunkelheit feststeckte. Am Morgen danach kam das Segelschiff Undaunted, das mit der Servia zusammenstieß. Ein glücklicher Umstand im Unglück war, dass beide Schiffe mit geringer Geschwindigkeit unterwegs waren. Die Servia wurde wegen des Nebels an Geschwindigkeit gedrosselt, beide Schiffe waren nur leicht beschädigt worden, mussten aber nicht um Hilfe rufen und konnten ihre Fahrten fortsetzen.
Zum größten Unglück kam es am 7. Juni 1883, als die Servia in einen folgenschweren Unfall verstrickt wurde. Beim Auslaufen aus dem New Yorker Hafen kollidierte sie mit dem US-amerikanischen Schiff A. McCallum. Das Schiff sank daraufhin, einer der 15 Männer auf der A. McCallum verlor dabei sein Leben. Im November 1899 wurde die Servia mit anderen Schiffen von Cunard zu einem Truppentransporter. Sie wurde in Richtung Burenkrieg in Afrika eingesetzt. Danach muss die Servia nicht mehr besonders gut ausgesehen haben, ihr Ruhm war dahin.
Am 17. September 1901 fuhr die Servia in Richtung New York, es sollte ihre letzte Fahrt werden. Als sie am 25. September ankam, wurde sie außer Dienst gestellt. Im April 1902 landete sie bei Thomas W. Ward Shipbreakers Ltd. in Preston, hier wurde das Schiff nach 20 Jahren abgewrackt.
Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer