Auf nichts wartet die seit März stillstehende Kreuzfahrtbranche so dringend wie auf gute Nachrichten. Und nichts fürchtet sie so sehr wie neue Hiobsbotschaften. Ein Grund unter vielen, weshalb die weltweite Flotte nur äußerst zögerlich wieder in die Gänge kommt. Doch Hurtigruten wagte sich mutig voran mit dem Neubeginn – und einem Hygienekonzept, das nach Angaben des Unternehmens die staatlichen Vorschriften sogar übererfüllte.
Für Letztere sorgt nun ausgerechnet Hurtigruten, jenes Unternehmen, das so optimistisch und wagemutig voranging beim Neustart: Das norwegische Traditionsunternehmen hatte bereits Mitte Juni den Betrieb wieder aufgenommen; nach eigenen Angaben mit einem Hygienekonzept, das die Vorgaben der norwegischen Behörden sogar mehr als erfüllte. Erst starteten die Postschiffe auf der Route zwischen Bergen und Kirkenes, dann folgten Kreuzfahrten auf drei Expeditionsschiffen nach Norwegen und Spitzbergen. Seit der Öffnung der norwegischen Grenzen für Reisende aus Nicht-Risikogebieten waren auch wieder Landgänge Teil des Programms.
Doch was die Reedereien am meisten fürchten, ist nun eingetroffen. Auf dem Expeditionsschiff Roald Amundsen, das vergangenen Freitag von Spitzbergen kommend in Tromsø einlief, wurden mittlerweile 41 der insgesamt 158 Crewmitglieder sowie 21 Passagiere positiv auf Covid-19 getestet. Wer das Virus an Bord gebracht hat, ist noch nicht endgültig geklärt, vermutlich war es ein Crewmitglied.
Am Freitag waren vier Bordmitarbeiter mit unspezifischen Krankheitssymptomen in die Universitätsklinik von Tromsø gebracht worden, wo sie positiv auf Corona getestet wurden. Daraufhin wurde die restliche Crew getestet und an Bord isoliert. Norwegische Medien werfen dem Unternehmen nun mangelnde Transparenz und Vertuschung vor: Hurtigruten habe bereits vergangenen Mittwoch, also deutlich vor der Ankunft der Roald Amundsen in Tromsø, von der Infektion eines Passagiers der vorangegangenen Spitzbergen-Reise auf der Roald Amundsen Kenntnis gehabt, soll diese Information aber zurückgehalten haben. So habe Hurtigruten die amtliche Mitteilung des Arztes Martin Larsen Drageset an die Einwohner der Gemeinde Hadsel in der Provinz Nordland verhindern wollen. Man wollte das Schiff nicht mit dem Fall in Verbindung bringen. „Hurtigruten will nicht, dass das rauskommt“, schreibt der Mediziner in einer E-Mail an die Zeitung Nordlys und den Fernsehsender NRK. Das Unternehmen habe die Kontrolle über den Informationsfluss behalten wollen.
Wie Hurtigruten mitteilt, wurden mittlerweile alle der insgesamt 387 Passagiere der beiden Spitzbergen-Reisen vom 17. und 24. Juli informiert. Zu spät, kritisieren Ärzte und Medien, man hätte die Passagiere vor der Ausschiffung informieren müssen, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern. Während die meisten bereits die Heimreise angetreten hatten, wurde 47 Passagieren im Flughafen von Tromsø das Boarding verweigert: Das Personal von SAS wurde auf die Hurtigruten-Kofferanhänger aufmerksam und daraufhin aktiv. Die gestrandeten Passagiere sind nun in Tromsø in Quarantäne. Eine der isolierten Personen wurde mittlerweile ebenfalls positiv auf Corona getestet.
Der norwegische Gesundheitsminister Bent Høie zeigte sich auf einer Pressekonferenz seiner Behörde am Montag in Oslo sehr verärgert über das Vorgehen von Hurtigruten. Die norwegische Gesundheitsbehörde FHI hatte konkrete Regelungen mit Hurtigruten für den Neustart vereinbart. Hurtigruten-Chef Daniel Skjeldam gibt sich zerknirscht und räumt eigene Fehler ein, die bei etlichen Infektionsschutzverfahren an Bord gemacht wurden. Er spricht von „eigenem Routineversagen“, für das er die Verantwortung übernehme.
Entwarnung kam zumindest vorerst von der Fridtjof Nansen, die mit 171 deutschen Passagieren von Norwegen wieder in Hamburg angekommen ist: Wie die norwegische Zeitung VG berichtet, haben sich vier Corona-Verdachtsfälle in der Crew nicht erhärtet. Alle 162 Bordmitarbeiter wurden getestet. Die Passagiere haben nach Tests mittlerweile das Schiff verlassen können, so Presseberichte. Drei Testverweigerer sollen sich in Isolation begeben. Auch Heiko Jensen, der Deutschland-Chef von Hurtigruten, war ebenfalls an Bord. Vermutlich keine angenehme Situation für Jensen. Aber vor allem ein Desaster für die sonst für ihre Transparenz gerühmten Nordeuropäer.
Der Ausbruch auf dem Hurtigruten-Schiff ist ein herber Rückschlag für die gesamte Branche. Auch in der Südsee misslang ein Neustart: Dort musste die zur Reederei Ponant gehörende Paul Gauguin ihre erste Kreuzfahrt nach dem Lockdown abbrechen, nachdem ein amerikanischer Passagier positiv getestet worden war.
Von einem weiteren Kreuzfahrtschiff, der Seadream 1, wurde die Infektion eines Passagiers bekannt, der bereits von Bord gegangen ist. Als Konsequenz aus dieser Entwicklung sperrt Norwegen seine Häfen zwei Wochen lang für Kreuzfahrtschiffe. Doch bereits am Mittwochabend konnte das Unternehmen SeaDream Yacht Club Entwarnung geben: Es teilte mit, alle Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der Seadream 1 seien negativ auf das Virus getestet worden.
Mitbewerber werden nun noch gründlicher überlegen, wann sie wieder gefahrlos in See stechen können. So hat Aida seinen Neustart bereits mehrmals verschoben – unter anderem wegen Corona-Infektionen in der Crew. Als Grund wird aktuell die noch fehlende Freigabe durch den italienischen Staat angegeben, unter dessen Flagge die Aida-Schiffe fahren. Ein Problem, mit dem auch die Schwestergesellschaft Costa Crociere gerade zu tun hat. Auch MSC ist nun bereit für den Neustart. „We are ready“, sagte CEO Gianni Onorato in einer Online-Pressekonferenz – noch für diesen Sommer sind einwöchige Touren geplant. Die MSC Grandiosa fährt ab Genua ins westliche Mittelmeer, die MSC Magnifica kreuzt ab Triest und Bari im östlichen Mittelmeer. TUI Cruises wagte den Neustart trotz aller Turbulenzen: Seit Ende Juli machte die Reederei viertägige Touren ab Hamburg (mit Mein Schiff 2) in den Oslofjord – ohne Landgänge und mit verminderter Passagierzahl. Seit 3. August fuhr zudem die Mein Schiff 1 ab Kiel auf der gleichen Route. Ab 7. August sollten beide Schiffe erstmals auf einwöchige Panoramafahrten in vier norwegische Fjorde.
(Update, 7.8.20) Aufgrund von neuen norwegischen Regularien wurden die Schiffe umgeroutet und absolvieren nun Reisen mit Stopps in Stockholm, Turku und Helsinki. FB
Hapag-Lloyd Cruises hat mit Europa 2 und Hanseatic inspiration ebenfalls wieder begonnen.
Hurtigruten-Schiffen werden sie dort vorerst nicht begegnen, das Unternehmen sagte alle weiteren Touren auf Expeditionsschiffen ab. Betroffen sind neben der Roald Amundsen die Spitsbergen und die Fridtjof Nansen. Das heißt, auch die bei deutschen Gästen beliebten Norwegen-Touren auf der Fridtjof Nansen ab/bis Hamburg sind ausgesetzt. Die Fahrten auf der Postschifflinie werden aber fortgesetzt. Ingrid Brunner
TUI Cruises verlängert „Blaue Reisen“
Was als leichter Neustart gedacht war, wird jetzt eine Fortsetzung bekommen. TUI Cruises wird die „Blauen Reisen“ auch in den September verlängern. Das betrifft weitere Abfahrten der Mein Schiff 2 ab Hamburg und der Mein Schiff 1 ab Kiel. Ausschlaggebend sollen für TUI Cruises die Rückmeldungen der Passagiere gewesen sein, heißt es. Die Seetage an Bord und das entspannte Reisen mit reduzierter Passagierzahl ist bei den Gästen gut angekommen. Die Reederei bestätigte am Freitag in Hamburg die Planungen weiterer Reisen ab Hamburg und Kiel. Details zu den Routen werden später folgen. Auch die Begegnungen der TUI-Schiffe auf hoher See waren gut angekommen. Am 5. August gab es im Oslofjord erstmals ein Treffen der Mein Schiff 1 und der Mein Schiff 2. Es war auch das erste Treffen von zwei großen Kreuzfahrtschiffen mit rund 2000 Passagieren in norwegischen Gewässern. FB