Eine schneeweiße Decke bis zum Horizont, an den Küsten zerfetzt, das ist Grönland. Die größte Insel der Welt – zwei Millionen Quadratkilometer Fläche, so groß wie Westeuropa. Grönland mit einer kleinen Fähre entdecken macht Sinn, stellten Kiki Baron (Text) und Paul Spierenburg (Fotos) fest.
Die erste Begegnung mit arktischer Kultur verblüfft. Denn beim Blättern im Bordbuch von Air Greenland stechen Bandnudeln aus Buchstaben ins Auge. Worte so lang, dass nur zwei in die Zeile passen. Reiht man murmelnd die hundert Silben eines dreizeiligen Satzes aneinander, ergibt das Schnappatmung. Atemberaubend auch der Blick aus dem Flugzeugfenster. Weiß und noch mal weiß, ein paar knallblaue Rinnsale darin und schwarze Aschestreifen. Wieso eigentlich Grönland? Kein Grün zu sehen. Kalaallitnunaat, „Land der Menschen“ heißt die Insel in der Landessprache. Grønland auf Dänisch. Namensgeber war um das Jahr 982 Wikinger Erik der Rote. Er landete am südlichen Zipfel, wo offensichtlich Gras wuchs. Seit 1. Mai 1979 autarke „Nation innerhalb Dänemarks“, erhielt Grönland 2009 eine Selbstverwaltungsordnung. Ein Schritt zur Unabhängigkeit vom Königreich. Auf diese Weise wurde die Übernahme von Eigentumsrechten an immensen Bodenschätzen gewährleistet. So könnte sich in Zukunft aus dem finanzschwachen Staat eine der reichsten Regionen auf unserem Planeten entwickeln. Denn unter dem schmelzenden Eis schlummern Öl, Gas und Uran sowie Seltene Erden. Wird Grönland also ein Gewinner des Klimawandels sein?
Eine Reise in diese Polarregion ist schon etwas ganz Besonderes. Immerhin begibt man sich, wenn daheim endlich die Grillsaison läuft, freiwillig in Eiseskälte. Zudem sind die Möglichkeiten der Fortbewegung mehr als spärlich. Außerhalb der wenigen Dörfer gibt es so gut wie keine Straßen. Auch Unterkünfte sind rar gesät. Auf bequeme Art und Weise lässt sich Grönland eigentlich nur auf einer Kreuzfahrt erleben. Wir haben allerdings noch eine weitere Lösung gefunden, bei der man freilich auf internationalen Luxus verzichten muss: Ein 6-tägige Kombination von Flug-, Schiffs – und Landprogramm. Für Passagen entlang der Westküste ist MS Sarfaq Ittuk die ideale Fähre. Sie verkehrt im siebentägigen Takt zwischen Hauptstadt Nuuk und Illullissat an der Disko Bay. Auf der knapp 400 Meilenstrecke läuft das Küstenschiff kleine Häfen wie Katuaq und Sisimut an. Es macht lange genug an der Pier fest, um die Dörflein per pedes zu erkunden und hautnah am Leben der Grönland-Inuits zu schnuppern.
Das Flugzeug aus Kopenhagen landet in Kangerlussuaq, nicht viel mehr als ein zusammengewürfeltes Konglomerat von rostbraunen Barracken. Kurz vorm Aufsetzen entdecken wir, warum die Wikinger von grünem Land sprachen. Jetzt, am Ende des kurzen Sommers, leuchtet es sogar in roten und gelben Herbstfarben. Wollgras, Heide und arktische Weidenröschen blühen. Kangerlussuaq ist die einzige Siedlung an der Westküste, von der aus man im Geländewagen zum Eispanzer holpern kann. Überlandstraßen gibt es in dieser Region sonst keine. Die 60 Kilometer-Tour ist zudem einzige Gelegenheit Tiere auf freier Wildbahn zu beobachten. Man könnte sogar meinen, die Viecher stellen sich extra in stolze Pose. Jedenfalls solange sie unser Vehikel noch nicht gewittert haben. Kaum die Auspuffgase in der Nase und Motorblubbern im Ohr ergreift die achtköpfige Herde kolossaler Moschusochsen (warum eigentlich Ochsen?) unter wallenden Zotteln die Flucht. Und auch Rentiere stieben mit merkwürdig gespreizten Hinterbeinen hinter bunt bemoosten Felsen. Kein Wunder, beide Arten stehen neben Meeresgetier auf dem Speisezettel der Einheimischen.
Nun denkt man bei Grönland erst mal an kalbende Gletscher, Eisberge und Eisbären. Wem käme schon kreative Gourmetkost in den Sinn wie man sie vielleicht aus Kopenhagens Spitzenküchen kennt. Umso erstaunlicher, wenn genau das auf den Tisch kommt. Im „Sarfalik“ nämlich, Toprestaurant in der Hauptstadt Nuuk. Das 7-Gänge Menü ist sternwürdig. Nicht nur des Hummers wegen, der vor wenigen Stunden noch in eiskalten Polargewässern herumkrebste. Happen von Seesaibling, Heilbutt oder Makrele, alles frisch aus dem Fjord, gruppieren sich mit heimischen Wildkräutern und Blüten penibel arrangiert auf den Tellern. Anschließend eine Scheibe auf den Punkt gegartes Filet. So delikat schmeckt also Moschusochse. Die Abfahrt der Sarfaq Ittuk sollten wir allerdings nicht verpassen, sie legt nur einmal pro Woche um 21.00 Uhr ab….
Fotos: Paul Spierenburg