Wir befragten Klaus Vollmer, Business Director Maritime Solutions von Lufthansa Industry Solutions, zur Hilfe der IT bei der Steuerung der Passagierwege an Bord in Pandemiezeiten, der Logistik und dem elektronischen Gesundheitspass.
Wie arbeiten Sie in diesen Tagen, wenn man in bestimmten Ländern nicht präsent sein kann?
Über die Kollegen vor Ort und auch mit den Kunden komplett virtuell. Wir nennen das Check-in Sessions. Gemeinsam mit unseren Kunden schauen wir regelmäßig, wo sie stehen, was sie brauchen, wie sie die Re-Start Phase aufmachen möchten, wie sie mit COVID umgehen und wo wir sie unterstützen können.
Viel läuft auch über die CLIA, die eine führende Rolle übernommen hat. Dort arbeiten sogar im Wettbewerb befindliche Kreuzfahrtgesellschaften zusammen an Konzepten mit uns.
Arbeiten Sie im Moment an neuen Lösungen für die Kreuzfahrtbranche?
Ja, zum Beispiel im Bereich der Passagierstromsteuerung an Bord, um „Massenaufläufe“ zu vermeiden. Dazu haben wir eine Lösung bereits landseitig in St. Peter Ording und Scharbeutz eingeführt. Dabei geht es um die Steuerung der Anzahl von Personen an beliebten Stränden von Nord- und Ostsee. Wir waren als technischer Partner mit dabei, dort eine Ampelsignalisierung einzurichten. Es geht darum zu erfassen, – wie viele Leute zeitgleich am Strand sind und automatisch zu signalisieren ob noch weitere Gäste zum Strand kommen können oder auch nicht, weil sonst die Abstände nicht mehr gewährleisten werden können.
Wie funktioniert so etwas explizit am Strand und wie dann auf einem Kreuzfahrtschiff?
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen über Kamerasteuerung: Die Kamera erfasst qualitativ, wie viele Menschen auf einer Grundfläche unterwegs sind. Dazu kann auch ein Annäherungsalarm eingerichtet werden, der dynamisch eingestellt ist. Sobald sich Personen mit weniger als 2 Meter Abstand näher kommen, ertönt ein Piepton.
Die andere Möglichkeit bieten Akustiksensoren: So ist beispielsweise die Voraussetzung für die Arbeit in den Bordküchen der Kreuzfahrschiffe, dass die Mitarbeiter Abstandsregeln einhalten. Diese lassen sich relativ einfach mit akustischer Signalisierung kontrollieren.
Die Sensoren sind an eine Zentrale angebunden und die Signale laufen hier zusammen. Wenn sich zwei oder mehrere dieser Sensoren zu nahe kommen, wird eine akustische oder visuelle Signalisierung ausgelöst.
Und diese Signale werden nur ausgelöst von dem, was die Leute sagen, oder von deren Bewegungsstrukturen her?
Von den Bewegungsstrukturen her. Jeder ist mit einen solchen Sensor ausgestattet und die Sensoren werden in Echtzeit getrackt.
Es funktioniert also nicht über stationäre Sensoren, sondern nur, wenn man diese mit sich trägt. Bei einigen Cruiselines wie Royal bekommt man neben der Bordkarte auch einen Chip mit einem Armband.
Das geschieht aus anderen Gründen und nicht wegen der Abstandseinhaltung. Man könnte dieses System aber auch genau dafür nutzen. Denn es gibt Lösungen, die mit festen Sensoren arbeiten. Dazu werden Kameras oder einfach Lokatoren fest installiert, die dann die Bewegungen und Abstände zu beweglichen Standpunkten messen. Mit der Kamera ist es am einfachsten, da die sowieso überall vorhanden ist. Die Kameras kann man einfach mit spezieller KI ausstatten die analysiert, wie viele Personen sich sind auf einem Fleck befinden und wo sichere Abstände nicht mehr gewährleistet werden können.
Haben Sie solche Kameras selbst entwickelt?
Wir sind zwar nicht der Hersteller der Hardware, wir entwickeln aber die Lösungen.
Und bei wem ist das bereits schon zum Einsatz gekommen?
Wir arbeiten zurzeit mit mehreren Reedereien an solchen Lösungen. Außerhalb der Kreuzfahrt haben wir die bereits erwähnten Strandlösungen mitentwickelt oder Labore ausgestattet. Darüber hinaus arbeiten wir auch in einem Verbund mit mehreren Partnern an Lösungen für einen fälschungssicheren digitalen Nachweis von Corona-Testergebnissen oder Impfungen.
Wie viele Schiffe sind von Ihnen bereits ausgestattet?
Das geht jetzt gerade los, noch fahren die Schiffe ja nicht.
Für wie viele gilt das Programm?
Das ist jeweils für die gesamte Flotte der Cruiseline vorgesehen. Wir arbeiten zurzeit mit zwei größeren zusammen. Sie werden aber nicht alle Schiffe gleichzeitig in Betrieb nehmen, sondern vielleicht erstmal drei.
Wie können Sie positive Fälle an Bord „behandeln“?
Wenn jemand infiziert ist, ist es wichtig, verfolgen zu können, wie die Wege an Bord waren. Man muss zum Beispiel wissen, was die Personen angefasst und was sie getragen haben, denn das könnte ebenfalls infiziert sein. Diese Gegenstände müssen dann desinfiziert oder gesondert entsorgt werden. Es wird definitiv auch so etwas wie ein Gesundheitszertifikat für Kreuzfahrer geben, einen Notfall- oder Impfpass oder wie man es auch nennen möchte.
Dazu arbeiten wir auch mit Behörden zusammen, um ein Gesundheitszertifikat oder Gesundheitspass aufzusetzen. Dadurch können die Passagiere nachweisen, dass sie negativ getestet oder geimpft sind. Dabei berücksichtigen wir auch den gesamten Komplex des IT-Hintergrundes und der Security.
Das wäre ein virtueller Gesundheitspass?
Genau. Es könnte zum Beispiel ein QR Code und die dazu gehörende mobile App für das Smartphone sein.
Wird IT mit einbezogen bei Kontrollen von Kabinen oder anderen Bereichen, die oft berührt werden von Crew und Passagieren?
Es gibt keine visuelle Aufarbeitung, ob ein Coronavirus in der Kabine ist. Da helfen nur die klassischen Maßnahmen, wie eine gründliche Kabinenreinigung. Das, was wir aber machen können, ist, mit einer entsprechenden IT-Lösung automatisiert zu dokumentieren, ob, durch wen und wann die Reinigung durchgeführt wurde. Dazu kann ein durchgängiges, nicht verfälschbares Protokoll erstellen werden, das auch als Nachweis für die gebotene Sorgfalt dienen kann. Insgesamt reden wir von vielen Einzelmaßnahmen, die zu einer Gesamtlösung zusammengeführt werden und den Gesamtprozess unterstützen.
Was sind denn die weiteren hauptsächlichen Einsatzgebiete von Technik, die jetzt gerade in Pandemiezeiten wichtig sind?
Ganz wichtig ist heute bei der Einschiffung, dass gewisse Checks automatisch funktionieren – etwa Fiebercheck, automatische Passkontrolle usw. Automatische Barcode-Checks, die zum Beispiel das Authentifizieren des Gesundheitspasses darstellen, können dann noch hinzugefügt werden. An Bord sind es dann insbesondere die Menschenstromführung, aber auch die Protokollierung von Reinigungsmaßnahmen. Das fast wichtigste Thema dabei ist, die Abstandsregeln einzuhalten. Man könnte auch so weit gehen, ein automatisches Warning einzurichten, wenn jemand keinen Mundschutz trägt.
Wie sieht es an Bord mit den high-touch areas, also den Orten mit den meisten Berührungen aus?
Das sind ja oft Restaurants. Hier kann man einen Schichtbetrieb einrichten, in der das Restaurant für eine gewisse Zeit mit genau bekannten Passagieren geöffnet ist, um eine Kontaktverfolgung sicherstellen zu können. Dann gibt es wieder Zeiten, in denen die Gastronomie geschlossen ist, um eine Grundreinigung durchzuführen. Auf Buffets sollte darüber hinaus komplett verzichtet werden.
Ist die Technik bereits schon soweit gedrungen, dass sie bestimmte Erreger bereits schneller erkennen kann?
Das würde die Automatisierung von PCR oder Schnelltests voraussetzen. Es gibt bereits Bestrebungen, zumindest Schnelltests zu automatisieren, damit das Ergebnis innerhalb weniger Minuten vorliegen kann, aber man ist noch nicht soweit.
Hat sich Ihre Arbeit während der Pandemie jetzt wesentlich geändert?
Die klassische Arbeit hat sich definitiv nach hinten verschoben. Wenn keine Schiffe fahren, müssen sie nicht ins Drydock und wenn ich keine Auslastung habe, brauche ich keine Neubauten. Die verzögern sich natürlich.
Grundsätzlich gibt es bei uns aber kaum Stornierung. Die Branche geht definitiv wieder von einem boomenden Kreuzfahrtgeschäft aus. Diese Einschätzung sehen wir auch durch unsere Social Media Analysen bestätigt, die wir für die Kreuzfahrtindustrie durchführen. Dabei werden die Social Media Kanäle anonym durchforstet und analysiert, um zu wissen, wie die Grundstimmung bei den typischen Kreuzfahrtgästen ist, wieder auf ein Schiff zu gehen.
Ein Stimmungsmesser sozusagen?
Genau, eine Evaluierung. Das machen wir über Data Analytics und auch Künstliche Intelligenz.
Mit IT können sich viele Prozesse an Bord weiterentwickeln. Ist da noch Luft nach oben?
Das IT-System ist de facto das Nervensystem des Kreuzfahrtschiffes. Die Applikationslandschaft hat sich deutlich erweitert, wie zum Beispiel beim digital ordering. Wir sind gerade gemeinsam mit den Kunden unterwegs, um KI dort einzubauen, wo der erste Schritt der Datensammlung und Datenanalyse schon gemacht ist und wir die Daten jetzt für weitere Anwendungen nutzen können. Mit Hilfe einer KI kann beispielsweise die optimale Crew-Auslastung ermittelt werden: wo muss ich die Crew jetzt schnell einsetzen, wie ist mein erwartetes Aufkommen im Restaurant in den nächsten 10 Minuten.
Es gibt auch immer mehr Bedarf für Anwendungen im kaufmännischen Bereich: Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird welcher Gast, der bereits fest gebucht hat, seine Reise noch stornieren. Oder mit welcher Wahrscheinlichkeit wird welcher Gast ein Upgrade auf dem Schiff kaufen.
Luft ist auch noch in der ganzen Logistikkette, für alles was man an Bord so braucht. Da könnte man sehr viel mehr mit IT und Prozessmodellierung verbessern.
Die IT ist sicherlich eingebunden in das elektronische System des gesamten Schiffes. Wir hatten gerade die ganzen Hackerprobleme bei AIDA und Costa. Inwieweit betrifft es auch den Anteil, der von Ihnen betreut wird?
Ich kann nur sagen, dass das, was wir gemacht haben, nicht betroffen war. Ja, es gab IT-Probleme, aber diese Probleme waren shoreside, also nicht auf den Schiffen selbst.
Gibt es ein Lieblingsthema, was noch nicht realisiert worden ist?
Ein Lieblingsprozess von mir ist das automatic boarding. Das heißt, ich habe meinen Pass und gehe einfach an Bord. Ich muss mich nirgendwo anstellen, an Bord bin ich bekannt. Ich brauche meine Bordkarte nicht mehr für irgendwas, sondern ich kaufe, buche und reserviere mit meinem Gesicht. Das ist ein Thema, woran ich arbeite und was unbedingt eins meiner Lieblingsthemen ist. Convenience par excellence.
Gibt es Erkenntnisse darüber, was Reedereien oder anderen Gesellschaften die so etwas einsetzen ökonomisieren können?
Das beginnt schon damit, dass ich beim Check-in weniger Personal benötige. Zudem verkürze den den Check-in-Prozess. Ein normaler Check-in-Prozess dauert Minimum 21 Minuten für 1 Person. Halb-automatisiert kommt man schon auf 2-3 Minuten. Wenn dies vollautomatisiert abläuft, habe ich den Gast in 8 Sekunden an Bord.
Man hat Einsparungspotenziale auch an anderen Stellen, beispielsweise bei der Crew-Einsatzplanung an Bord. Wenn ich diese effizient gestalte, kann ich sparen. Heißt, jedes Crew-Mitglied, was nicht mitfahren muss, spart nicht nur Geld, sondern ich habe auch noch mehr Platz für eine Passagierkabine.
Ein weiteres Thema ist Predicted Maintenance, das heißt Schäden und Wartungsbedarf zu erkennen, bevor etwas kaputt geht oder ausfällt.
Automatisierung des Check-in-Prozesses, effiziente Crew-Einsatzplanung und Predictive Maintenance – das sind die drei großen Themen neben des Pandemie-Handlings.