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Luxus und Leviathan

Der Luxusliner „Vaterland“ der „Imperator“-Klasse, die spätere „Leviathan“, war lange das größte Passagierschiff der Welt

Das Schiff trug einen biblischen Namen, im Alten Testament erscheint Leviathan in Gestalt eines Drachens oder mythologischen Seeungeheuers. Es war der größte jemals unter deutscher Flagge gefahrene Passagierdampfer, zudem das größte mit Kohlefeuerung betriebene Schiff der Geschichte. Es wurde gebaut, um mit der Konkurrenz ebenbürtig sein zu können, dem Norddeutschen Lloyd, der britischen Cunard Line und der White Star Line, die auf der Nordatlantikroute dominant waren. Die HAPAG, die den Auftrag für den Riesendampfer gegeben hatte, wollte unbedingt aufholen. Das Projekt ging zurück auf Generaldirektor Albert Ballin, der mit großem Engagement und Ehrgeiz in der weltweiten Passagierschifffahrt mithalten wollte. Das noch kaiserliche Deutschland stand hinter dem Bau des Schiffes, die Marineelite zeigte sich beeindruckt und Kaiser Wilhelm II. begrüßte das Projekt.

Die Existenz des im September 1911 als Baunummer 212 auf Kiel gelegten Schiffes begann am 3. April 1913, als es gegenüber den Hamburger Landungsbrücken auf den Namen Vaterland getauft wurde. 15.000 geladene Gäste hatten sich zum Stapellauf auf das Gelände der Werft Blohm + Voss begeben, darunter die Ehefrauen der Werftarbeiter, die Ehrenkarten erhalten hatten. Im Umkreis drängten sich 40.000 Schaulustige, schließlich handelte es sich um das größte Passagierschiff aller Zeiten. Und es war etwas Seltsames geschehen an dem Tag: Die Eigner warteten bangend auf eine Wetteränderung, ein starker Ostwind peitschte Hamburg und trieb das Wasser aus dem Hafenbecken. Es bestand sogar Gefahr, dass die Vaterland auf Grund laufen könnte. Doch plötzlich flaute der Wind ab und das Hafenwasser stieg wieder an. Kronprinz Rupprecht aus Bayern vollzog die Taufe.

1914: Das Schiff am Pier Steubenhöft, Cuxhaven, 1914,
Foto: Hapag-Lloyd AG, Hamburg

Der rd. 62.000 Tonnen verdrängende Schnelldampfer war 289,5 Meter lang, 30,5 Meter breit und hatte 11 Meter Tiefgang. Vermessen wurde er mit 54.282 BRT, die Leistung der vier B+V-Dampfturbinen lag bei 100.000 PS (73.550 kW). Die vier Propeller hatten einen Durchmesser von je 5,80 Meter. Die durchschnittliche Drehzahl lag bei 180 Umdrehungen pro Minute, die Höchstgeschwindigkeit betrug 26,3 kn (49 km/h). Einmalig war, dass fast die Hälfte der Leistung bei Vorwärtsschub für die Rückwärtsfahrt erzeugt werden konnte, so dass die Vaterland trotz ihrer Größe manövrierbarer war als andere Schiffe auf den Weltmeeren in dieser Zeitperiode. Die Ableitung des Rauchs aus den Kesselräumen geschah über die zwei vorderen Schornsteine, der dritte Schornstein war eine Attrappe und diente zum Dunstabzug und zur Belüftung.

Ganz neu waren die Transportkapazitäten: die Gästezahl lag in der 1. Klasse bei 752, in der 2. bei 535, in der 3. bei 850 und im Zwischendeck bei 1.772, summa summarum konnten 3.909 Passagiere an Bord sein, dazu noch eine Besatzung von 1.234 Personen.

Vor dem Stapellauf wurden enorme Mengen an Material verarbeitet: 34.500 Tonnen Walzstahl, 2.000 Tonnen Gussstahl, 2.000 Tonnen Gusseisen und 6.500 Tonnen Holz. Bis Mitte April 1914 lag das Schiff am Kai der Werft und erhielt eine anspruchsvolle Ausrüstung. Am 25. April des Jahres wurde die Vaterland zur Probefahrt an die norwegische Küste geschickt, alles verlief gut.

Das Schiff hatte 46 neuartige Wasserrohrkessel, aufgeteilt in vier Kesselräume – rund um die Uhr bedient von 400 Heizern und Kohlentrimmern. Die Wasserrohrkessel waren zuvor nur für Kriegsschiffe gebaut worden, sie konnten die Geschwindigkeit rasch auf das Maximum bringen. Zugleich wurde das Gewicht des Schiffes reduziert, denn die modernen Kessel waren viel leichter als die bisher üblichen Zylinderkessel. Das Schiff brauchte auf See pro Tag etwa 1.150 Tonnen Kohle, für die Atlantiküberquerung wurden fast 9.000 Tonnen Kohle in den Lagerräumen gebunkert.

Am 10. Mai 1914 begann die Indienststellung, Hans Ruser führte als Kommodore das Schiff zur Jungfernfahrt über Southampton und Cherbourg nach New York. Die Vaterland ist das zweite Schiff der „Imperator“-Klasse, die Bismarck kam noch später dazu. Ballin stemmte sich gegen die mächtige britische Konkurrenz, sein Dreh war das Plus an Komfort. Ballins schwimmendes Luxushotel sollte in allem großartiger sein und Gäste anziehen. Es war noch bombastischer als die Titanic, die für 2400 Passagiere konzipiert war.

Blick in den Speisesaal der 1. Klasse, Foto: Hapag-Lloyd AG, Hamburg

Im Inneren wurde purer Luxus geboten. Die Mitte des zwei Decks hohen Gesellschaftsraums war edelholzvertäfelt, das Filigran des vergoldeten Schmiedeeisens funkelte und Buntglas reflektierte das Lampenlicht. Mehrere Speisesäle standen zur Verfügung, ein Raucherzimmer und ein Salon für Damen, Lese- und Schreibsalon, Kartenspielzimmer, Turn- und Gymnastikhalle, Wintergarten, Ladenzeile und ein großer Swimmingpool. Das Ritz-Carlton Restaurant durfte nur das gutbetuchte Publikum der 1. Klasse besuchen, es speiste unter vergoldeten Nussbaumpaneelen und einer bemalten Kuppel. Die Kabinen hatten zwei bis sechs Betten, die Räume waren großzügig angelegt. Abgasschächte der Kessel trieben den Rauch nicht in der Mitte des Schiffes aus Schornsteinen, sondern wurden an die Außenseiten gelegt. Auf den Oberdecks gab es größere Räume, vielfach nutzbar – die Vaterland hätte sogar Autos transportieren können.

Auf die Sicherheitseinrichtungen wurde höchster Wert gelegt, denn 1912 war die Titanic auf dem Weg nach Amerika versunken. Der Rumpf und die Schiffswände des Drei-Abteilungs-Schiffes waren doppelt gestaltet ausgeführt und der Doppel-Boden besonders verstärkt. Die Rettungsmitteltechnik war die beste ihrer Zeit, 84 Rettungsboote standen zur Verfügung, sie wurden in elektrischen Davits auf zwei Decks über die Länge des Schiffes verteilt, im Ernstfall sollte es keine Drängeleien geben. Bei etwaigem Feuerausbruch gab es luftdicht verschließbare Klappen und wasserdichte Räume mit Schotttüren. Alles wurde zentral von der Brücke gesteuert, zudem war im vorderen Bereich ein überdimensionaler Scheinwerfer angebracht worden, der den Nebel weithin durchbrach.

VATERLAND-Schimmbad, Foto: Hapag-Lloyd AG, Hamburg

Der berühmte „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch stieg in den Maschinenraum der Vaterland. Er schrieb eine sozialkritische Reportage unter dem Titel „Bei den Heizern des Riesendampfers“, die im Juni 1914 veröffentlicht wurde.

Der Erste Weltkrieg war das Ende für die Vaterland. Das am 10. Mai 1914 in Dienst gestellte und vier Tage später von Hamburg ausgelaufene Schiff ging im Juni 1914 mit mehr als 3000 Passagieren vor New York vor Anker. Die Rückfahrt im Juli wurde abgesagt, der Schnelldampfer im Hafen stillgelegt. Manche Gäste blieben daraufhin in den USA. 1917 beschlagnahmte die US-Navy das fast noch funkelnagelneue Schiff, Kommandant Ruser und 49 Offiziere werden bis Kriegsende interniert. Das Schiff wird unter dem Namen U.S.S. Leviathan zum Transportschiff, das Soldaten nach Europa bringt und Verwundete zurück in die Heimat. Nach 1918 bleibt es als Reparationsleistung in den USA, wird ab Februar 1922 von der Werft Newport News Shipbuilding &Dry Dock Co. für viele Millionen Dollar wieder zum Passagierschiff umgebaut und mit einer neuen Vermessung von 59.956 BRZ als „größtes Passagierschiff der Welt“ ab Juni 1923 von der United States Line eingesetzt. Bis 1934 ist es auf dem Nordatlantik unterwegs, dann wird es – weil neue und modernere Schiffe über den Atlantik kreuzen – außer Dienst gestellt. Zum Verschrotten wurde es im Februar 1938 nach Rosyth in Schottland gebracht.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer