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Maritime Bestseller in Weiß und Türkis

Alle vier weißen Hochsee-Ladys der Bonner Phoenix Reisen beieinander, welch ein Anblick! Weiß, mit Akzenten in Türkis, wirken diese Kreuzfahrer nicht nur auf Schiffsbegeisterte faszinierend. Die Erfolgsgeschichte eines Bonner Vorzeige-Unternehmens, das stets mit mehr Pragmatismus als Pathos zum Erfolg kam, ist heutzutage nicht nur auf den TV-Bildschirmen präsent, sondern zeigt dem Markt die Maxime eines Unternehmens, das sich beim Einkauf stets nach den Vorgaben des Marktes richtete – und sie beim Vertrieb vollständig ignoriert. Jürgen Saupe blickte zurück auf das Fundament dieser Erfolgsgeschichte.

„Nein, das hätte ich wirklich nicht erwartet“, sagt Unternehmensgründer Johannes Zurnieden, wenn er mit seinen heute mehr als hundert Mitarbeitern auf die Anfänge zurückblickt, die mit einer Unterschrift beim Notar am 26. November 1973 für einen Flugreisenanbieter mit Zwei-Mann-Büro ihren Lauf nahmen. In Bonn hatte sich der Bus- und Flugreiseveranstalter Phoenix Reisen Ende der 80er Jahre ebenso etabliert wie Deutschlands einstiges Vorzeigeschiff unter dem Namen MAXIM GORKIY im Neckermann-Katalog. Deshalb hat wohl niemand das Gebot aus Bonn, das 1988 in den Verhandlungen um die Charter-Verlängerung auftauchte, so recht ernst genommen. Bis nicht Neckermann sondern Phoenix Reisen den Zuschlag erhielt. Nur ein halbes Jahr Schonfrist gab das Schicksal dem Newcomer am Rhein. Im Sommer 1989 schlug es zu: Der glücklosen TITANIC nicht unähnlich, lief die MAXIM GORKIY im Juni vor Spitzbergen auf Treibeis. Bilder, auf denen ihr Bug bereits bis zu den Ankerklüsen abgesunken ist und tief im Wasser hängt, sind vielen noch präsent; eine Rettung des Schiffes schien keineswegs sicher. Dennoch gelang die provisorische Lecksicherung, und nach einer 45tägigen Werftkur bei Lloyd in Bremerhaven konnte die „Maxim“ am 17. August 1989 wieder in ihren Fahrplan eintreten. Zurnieden und Phoenix Reisen drückten aus der Not ihrem damals kleinen Kreuzfahrtunternehmen einen publikumswirksamen, äußerst sympathischen Stempel auf – der Chef organisierte effizient und reibungslos die Rückreise der gestrandeten Gäste, begrüßte sie persönlich mit roten Rosen am Flughafen. Kreuzfahrtdirektor Winfried Prinz erhielt das Bundesverdienstkreuz für eine schnelle, wohlüberlegte Rettungsaktion ohne zu Schaden gekommene Passagiere.

Phoenix_4er_Treffen

Nach den ersten ebenso aufregenden wie erfolgreichen Jahren im Seereisen-Geschäft, u.a. auch mit zusätzlichen Saison-Charterschiffen wie der JASON, der AKDENIZ und später auch der Carina (ex AYVASOVSKIY), wagte Phoenix Reisen 1993 den Schritt zu einem zweiten Ganzjahresschiff. 1993 kam mit TS ALBATROS ein weiterer Klassiker zur Flotte. Der ehemalige Cunard-Liner (Baujahr 1957) war schon eher ein Veteran, eine liebenswerte alte Schiffslady, die aus allen Ritzen Patina atmete. Eigentlich begann die Geschichte der heutigen Phoenix-Philosophie auf der TS ALBATROS, die zudem im Mittelklasse-Bereich nach dem Rückzug der meisten Sowjet-Oldies ein Preisbrecher war. Die wachsende Fangemeinde schätzte die ungezwungene Atmosphäre, die das junge Phoenix-Team an Bord brachte, genossen die Pizzeria als Snack-Alternative (die es auch auf der heutigen MS ALBATROS noch gibt), die günstigen Angebote und nicht zuletzt die vielen Außendeckflächen eines klassischen Passagierliners. Ein zweites Hochsee-Ganzjahresschiff unter Phoenix-Flagge, das sich quasi von selbst füllte.

Parallel dazu unternahm Phoenix Reisen einen Schritt, der heute naheliegend erscheint: Ein erstes Flussschiff kam zur Flotte. Die boomartige Entwicklung der Kabinenschifffahrt auf Flüssen war noch nicht angebrochen; Deilmanns legendäre DONAUPRINZESSIN traf auf ihren Reisen von Passau nach Budapest nicht auf allzu viele Mitbewerber. Wie schon im Hochseebereich rechnete in Bonn wohl niemand damit, dass dieses Segment im Unternehmensportfolio derart anwachsen würde. Heute zählt man zu den Marktführern bei Flusskreuzfahrten. Demzufolge ist besonders auf den europäischen Flüssen das Phoenix-Logo allgegenwärtig. In Bonn liebäugelte man 2004 mit einer „neuen“ ALBATROS, der ehemaligen Royal Viking Sea, die 1973 zu einem Trio baugleicher Luxusschiffe gehörte. Etwas mehr Tonnage, etwas weniger Passagiere, das versprach ein Plus an Reisekomfort. Das Stammpublikum hat die „neue“ ALBATROS vom ersten Tag an akzeptiert. 2006 hat eine schöne Japanerin es Phoenix Reisen angetan: ASUKA hieß sie und reihte sich passend in die Erfolge ein, die das Bonner Unternehmen mit der soliden Hardware ehemaliger 5-Sterne-Liner feiern konnte. Unter dem Namen AMADEA wurde sie zum neuen Flaggschiff der Flotte.


In Bonn dachte man aber auch über eine neue Schiffsklasse nach. Die Balkone der AMADEA waren auch unter den Phoenix-Gästen nicht ohne Wirkung geblieben, und die bei aller Leidenschaft kühl kalkulierende Phoenix Chefetage sehnte sich durchaus nach den lukrativen Fahrpreisen, die man damit erzielen konnte. Und so hieß der neue Flirt ARTEMIS. Im Mai 2011 gab es zwischen all den bunten Volksfesten auf der Elbe eine bescheiden-traditionelle „Familientaufe“ am Hamburger Grasbrook: ARTANIA hieß die Neue, damals 26 Lenze zählende Lady und fuhr bereits eine Stunde nach Ende des Taufaktes mit zahlendem Publikum von dannen und wurde schnell ein echtes Phoenix-Schiff. Phoenix Reisen’s Erfolge vollzogen sich stets auf leisen Sohlen. Dass man mit den heute vier aktuellen Hochseeschiffen (ebenso wie mit der nicht wegzudenkende MAXIM GORKIY) durchweg Gebrauchttonnage genutzt hat, um Publikumslieblinge zu schaffen, ist erstaunlich, aber kein Grund für große Pressemeldungen oder fulminante Tauffeiern. Und auch die Auszeichnung der gut gemachten Phoenix-Webseite, die mit einer „Buchungsampel“ stets den Füllstandspegel einer Reise anzeigt, freute die Mitarbeiter eher intern, als Anlass zu sichtbarer Euphorie zu geben.

Dabei ist ausgerechnet der Flotten-Oldie (oder besser: flotte Oldie) ALBATROS unerwartet zum TV-Star geworden. Für den Bayerischen Rundfunk produziert „Bewegte Zeiten“ die Serie „Verrückt nach Meer“, von der seit Januar 2010 nunmehr weit über 200 Folgen gesendet worden sind – inzwischen quer durch alle ARD-Programme. Weitere Episoden der Doku-Soap werden auch auf der ARTANIA produziert. Zum Erfolg der Serie dürfte neben Sonne, Wind und blauem Meer vor allem die auch hier ungebrochene Phoenix-Maxime beitragen, die da heißt: Wir haben nichts zu verbergen. Pannen im Tagesablauf, Hafenausfälle und notwendige Reparaturen, alles das wird genauso gezeigt wie Liebe, Lust und Galabuffet. Kapitän Morten Hansen und Kreuzfahrt-Direktor Thomas Gleiß wurden quasi über Nacht zu Fernsehstars. Ganz zu schweigen von der zweiten TV-Erfolgsschiene, mit der das Phoenix-Flaggschiff AMADEA nach dem Ausfall der DEUTSCHLAND so quasi über Nacht auch zum ZDF-Traumschiff avancierte. Apropos TV-Traumschiff: Nicht nur die AMADEA fährt fortan über die TV-Bildschirme, auch die DEUTSCHLAND, über Jahre das ZDF-Traumschiff bereicherte die Phoenix-Flotte nach der Insolvenz des ehemaligen Eigners als viertes Hochseeschiff (jetzt mit Schornstein-Logo in Türkis). Über diese Erfolge hinaus blieb man in Bonn aber nicht untätig. Seit Jahren schon liebäugelte man neben Neubauplänen auch noch mit einem schicken Kreuzfahrer, um diesen passend in die Flotte einzugliedern zu können. Passend zum 30-jährigen Jubiläum konnte Phoenix Reisen den Neuerwerb eines weiteren 5-Sterne-Schiffes verkünden. 2019 wird MS Prinsendam, dann unter dem Namen MS Amera, als 5. Hochseeschiff für Phoenix Reisen in See stechen. Die Übernahme dieses formschönen Schiffes mit Platz für rund 800 Passagiere erfolgt im Juli nächsten Jahres, so dass nach einer mehrwöchigen Werftzeit der Neuzugang noch im August 2019 auf Reisen gehen kann. Das heute mit BRZ 39051 vermessene Hochsee-Kreuzfahrtschiff, 1988 als Royal Viking Sun bei Wärtsilä in Turku unter der Baunummer 1296 als eines der weltbesten Kreuzfahrtschiffe für die damalige Royal Viking Line in Fahrt gekommen, ging 1994 an Cunard (ohne Namensänderung, aber mit Cunard-Schornstein). Ab 1999 Einsatz als Seabourn Sun für die Carnival-Tochter Seabourn. Im April 2002 erfolgte dann die Umbenennung in Prinsendam unter Holland America Line. Das 2009 im Heckbereich noch einmal umgebaute Schiff passt mit klassischem Promenadendeck, großzügigen Außen- und Innenbereichen sowie vielen Balkonkabinen perfekt in die bestehende Phoenix Reisen Hochseeflotte.

Jeder Wirtschaftsweise mit universitätstauglichem Marketingwissen müsste an dieser Firma verzweifeln. Mit stets gut gefüllten Schiffen ist das Unternehmen ein Vorzeigestück und einer der letzten deutschen Kreuzfahrt-Veranstalter in Privathand. Nicht zu vergessen die Flussreisen und landgestützten Urlaubsformen, die nach wie vor im Angebot sind. Das Geheimnis ist das grundsolide Fundament, das Johannes Zurnieden und sein Team um die heutigen Geschäftsführer Benjamin Krumpen, Jörg Kramer sowie Direktor Schiffsreisen Michael Schulze gebaut haben. Eines aber wird man vielleicht schon in absehbarer Zeit erfahren: Wie sähe eigentlich ein Phoenix-Neubau aus? Wie wären die Strukturen, wenn die Phoenix-Experten ein Wunschschiff kreieren könnten? Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass sie damit wieder voll ins Schwarze treffen, denn ihre Stärken liegen in der Software und einer gewissen Flexibilität, sie in fast jedes Schiff zu integrieren, das zu Phoenix Reisen passt. Warum denn nicht mit einem selbst konzipierten Neubau?


Fotos: Jürgen Saupe, Phoenix Reisen