Die George Washington war ein deutsches Schiff, kam aber nach fünf Jahren in US-amerikanischen Besitz. In ihrer Zeit war sie ein Riesendampfer.
Die in den 1920er Jahren eingeführte Kurzkreuzfahrt war die Rettung für alle Fans der harten Getränke in den USA, auf den Schiffen knallten die Korken und der Alkohol floss in Strömen. Bier- und Whiskyfreunde, die es sich leisten konnten, gingen an Bord und genossen es, sich betrinken zu dürfen. Die Vergnügungsreisen unter dem Titel Booze cruises (Zechtouren) brachten Schwung in das seinerzeit lahmende Kreuzfahrtgewerbe.
1919 waren in den USA die Gesetze über die Prohibition in Kraft gesetzt worden, Herstellung und Konsum alkoholischer Getränke war verboten. Wer das nicht befolgte, musste mit scharfen Strafen rechnen. Also suchte man Alternativen, das unterstützte die US-Regierung unfreiwillig. Die Bosse der Reedereien nutzten eine Lücke: auf dem Atlantik drei Seemeilen vom Ufer war der „Service“ erlaubt. War man auf einem Schiff in internationale Gewässer gelangt, blieb keine Flasche voll. Das Ziel dieser Fahrten – ein Wochenende, drei, vier Tage, maximal eine Woche –, cruises-to-nowhere (Kreuzfahrten nach nirgendwo) genannt, war nicht Meeresromantik. Sondern volle Gläser. Und das bis 1933, dem Ende der Prohibition.
Cunard, White Star, Red Star Line und United States Lines nutzten die Marktlücke und reaktivierten sogar altgediente Passagierschiffe. Im Laufe der 14 Jahre Alkohol-Prohibition wurde das Ganze immer mehr ausgebaut. Berühmte Künstler tauchten auf den Schiffen auf, Charlie Chaplin, die Marx Brothers und andere. Es gab Revuen, Konzerte, Zauberkunststücke und andere Freuden außerhalb der Hoheitsgewässer. Auf der Leviathan zum Beispiel, lange alkoholfreies, erst Ende der 1920er wieder mit Alkohol, wurden Bars und sogar Bordbrauereien installiert und die Passagiere benannten den Rauchsalon um in „Trinksalon“.
Die George Washington war ein Salonpostdampfer des Norddeutschen Lloyd. Man war international ausgerichtet, Amerika galt als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und George Washington (1732-1799) war als erster Präsident der Vereinigten Staaten ein Ehrenmann. Deshalb erhielt der Dampfer seinen Namen und als Taufpate fungierte der amerikanische Deutschland-Botschafter Dr. David Jayne Hill.
Der Bau des Schiffes wurde am 20. Februar 1907 beschlossen, dem Tag des 50. Jubiläums des Norddeutschen Lloyd. Bauort war die AG Vulcan-Werft in Stettin, dort lief das Schiff mit der Baunummer 286 am 1. November 1908 – wegen des niedrigen Wasserstandes der Oder einen Tag später als ursprünglich geplant – vom Stapel. Zur Indienststellung und Jungfernfahrt am 12. Juni 1909 ging es mit 1169 Passagieren von Bremerhaven nach New York. Das seinerzeit größte in Deutschland gebaute Dampfschiff gehörte zur „Bremen-Klasse“ und wurde offiziell als „Doppelschrauben-Salonpostdampfer“ bezeichnet. Mit dem Schiff begann bei der Lloyd das Zeitalter der Vierschornsteindampfer. Das bedeutete eine größere Reisegeschwindigkeit und mehr Ladekapazität, zudem Platz für mehr Service der Feldherren-Klasse, also eines anspruchsvollen Transatlantikschiffes.
Indes: Fünf Jahre später, nach Beginn des Ersten Weltkriegs 1914, wurde das Schiff am 3. August des Jahres im Hafen von New York interniert. 1917 beschlagnahmte es die US-Regierung. Der Dampfer des Kriegsgegners wurde umgebaut zum Truppentransporter, am Heck flatterte die Flagge der Vereinigten Staaten. Am 28.Januar 1920 wurde das Schiff an das United States Shipping Board (USSB) übergeben, das es 1921 wieder für den Transatlantik-Dienst herrichten ließ und an die U.S. Mail Steamship Company vercharterte. Die Reederei, für die das Schiff im März 1921 eine Reise nach Europa absolviert hat, wurde im August des gleichen Jahres von der US-Regierung übernommen und in United States Lines umbenannt. Sie beschäftigte die George Washington noch bis 1931 auf der Transatlantik-Route und legte sie anschließend im Patuxent River, Maryland, auf.
Das Schiff war 220,19 Meter über Alles bzw. 213,07 Meter zwischen den Loten lang, 23,83 Meter breit und wies einen Tiefgang von 10 m auf. Die Vermessung lag bei 25.570 BRT, der Antrieb erfolgte durch zwei Vierfach-Expansions-Dampfmaschinen mit einer Leistung von 20000 PS, die auf zwei Propeller arbeiteten und für eine Geschwindigkeit bis zu 19 kn (35 km/h) sorgten. Es wurden vier Klassen eingeführt: Für die Erste Klasse waren 568 Gäste zugelassen, für die zweite 433, die dritte 452 und die vierte Klasse 1226. Insgesamt 2679 Passagiere.
Der voll elektrifizierte Dampfer besaß ein beleuchtetes Promenadendeck, auf dem Reisende flanierten. Die von der Norddeutschen Lloyd ausgeklügelten Windschutzvorrichtungen wurden sehr geschätzt. Die Räume waren von schlichter, aber nobler Eleganz, nicht mehr am Neobarock orientiert. Die Salons waren mit Gemälden seinerzeit berühmter Künstler aus geschmückt, zur Ausstattung gehörten auch wertvolle Konzertflügel. Die Schiffsbibliotheken waren reichhaltig gefüllt, es gab Gesellschaftszimmer und einen Rauchsalon.
Der Ingenieur für Schiffsmaschinenbau Harald Nehbel erklärte 1910 in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Deutscher Hausschatz“, was in dem Riesenschiff verarbeitet worden war. Zur Fülle des Materials gehörten 14.500 Tonnen Stahl, 460 Tonnen Eisen, 750 Tonnen Nieten und Schrauben, wertvolle Holzverarbeitungen auf einer Fläche von über 3000 Quadratmetern, vor allem Oregon- und Pitchpineholz. Zur Sonderausstattung gehörten „elektrische Lichtbäder“, 4200 elektrische Lampen und „Dunkelkammern für Amateurphotographen“. Es gab auch zwei Destillieranlagen, die pro Tag aus Meerwasser 20.000 Liter Süßwasser herstellten.
Aufgeführt wurde auch die Besatzung. Das Küchenpersonal bestand aus „1 Oberkoch, 9 zweiten und 8 dritten Köchen, 4 Dampfköchen, 4 Konditoren, 6 Bäckern, 20 Aufwäschern, 4 Schlächtern und 2 israelischen Köchen“.
Der Stolz des Experten führte ihn zu Vergleichen: Würde man das Schiff senkrecht aufstellen, wäre es fast doppelt so hoch wie das 33-stöckige Park Row-Hochhaus am Broadway in New York, den Kölner Dom würde es um 63 Meter überragen.
Luxuriös waren die Kaiserzimmer ausgestattet, damals schon mit Wohn-, Frühstücks-, Schlaf- und Badezimmer. Dazu gehörten Schlafsofas, eiserne Bettgestelle, Kleiderschränke, Kommoden und Waschtische. Die Kaiserzimmer verfügten über elektrische Anlagen und Ventilatoren. Einige Luxuskabinen waren große Räume mit Schlaf- und Badezimmer. Die Kabinen der Zweiten Klasse hatten einen beachtlichen Schlafraum, die Passagiere teilten sich dort separat die Badezimmer. Die Buchung der Klassen bestimmte auch, welche Aufenthalts- und Speisesäle für die Passagiere zugänglich waren, das System war streng. Auch die Zahl des Personals und der Standard waren davon abhängig.
Die günstigste Art nach Amerika zu kommen, waren die Massenunterkünfte mit Schafsälen im Unterdeck, die vorwiegend von Auswanderern genutzt wurden. An Bord befand sich ein Arzt, der Patienten entgeltlos behandelte.
Zu den Berühmtheiten unter den Passagieren gehörte Sigmund Freud, der „Vater der Psychoanalyse“, der im August 1909 zu seiner einzigen Fahrt nach Amerika auf dem Schiff den Atlantik überquerte. Freud schrieb in einem Brief an seine Frau: „Das Schiff ist herrlich. Unterbringung, Verpflegung übersteigen alle Erwartungen. Von der Überfüllung, die wir bei 2400 Personen gefürchtet merkt man nichts … Die Kajüte ist klein, aber ungemein elegant und komplett.“ Weitere prominente Gäste waren Prinz Tsai Tao von China, der sich im Mai 1910 nach einem viertägigen Besuch in New York einschiffte, oder der Komponist Engelbert Humperdinck, der sich nach dem Debüt seiner Oper Königskinder an der Metropolitan Opera Anfang Januar 1911 an Bord ging, um an der Berliner Uraufführung der Oper teilzunehmen sowie der britische Dramatiker W. Somerset Maugham der im Januar 1914 in New York an Bord ging. Unter US-amerikanischer Regie reiste Präsident Woodrow Wilson im Dezember 1918 nach Brest und zur Pariser Friedenskonferenz.
Zur Geschichte der George Washington gehört die Fahrt unter deutscher Leitung auf der gleichen Route nach New York wie die Titanic, auf der man am Morgen des 14. April 1912 südlich der Grand Banks von Neufundland in einer halben Meile Abstand einen großen Eisberg sichtete und alle Schiffe in der Region, auch die 460 km östlich der George Washington fahrende Titanic warnte. Rd. 12 Stunden später erhielt man eine verstümmelte Meldung, wonach die Titanic auf fast der gleichen Position mit einem Eisberg kollidiert und gesunken sei.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die George Washington am 28. Januar 1941 von der United States Marine Commission für den Marine-Einsatz reakquiriert und am 13.März 1941 als USS Catlin (SAP-19) in Dienst gestellt. Da die Kohlefeuerung für die Dampfkessel nicht die für den Schutz vor U-Booten nötige Geschwindigkeit gewährleisteten, wurde das Schiff bereits am 26 September 1941 aus dem Dienst genommen. Nur drei Tage später wurde es wieder unter seinem Namen George Washington auf Basis eines Lend-Lease-Vertrages von dem unter Schiffsraummangel leidenden Großbritannien übernommen. Doch nach nur einer Reise nach Neufundland zeigte sich, dass die angejahrten Boiler nicht zuverlässig genügend Dampfdruck für den Betrieb der ansonsten brauchbaren Maschinenanlage liefern konnten und auch qualifiziertes Heizerpersonal kaum zur Verfügung stand. Das damit für den militärischen Einsatz unbrauchbare Schiff wurde deshalb am 17. April 1942 von den Briten an die War Shipping Administration (WSA) zurückgegeben Nach der Rückkehr von einer Zwischenreise für die Waterman Steamship Co., Mobile, Alabama, nach Panama am 5. September 1942 entschied sich die WSA, das Schiff bei der Todd Shipbuilding in Brooklyn auf Ölbefeuerung umstellen zulassen. Nach Abschluss der Arbeiten wurde es am 17. April 1943 von der US-Army eingechartert und weltweit zu Truppentransporten eingesetzt.
Die Außerdienstellung der George Washington und Rücklieferung an die Maritime Commission erfolgte am 21. April 1947. Sie blieb danach an einer Pier in Baltimore, bis ein Brand am 16.Januar 1951 größere Schäden verursachte. Das führte dann am 13. Februar des gleichen Jahres zum Abbruch-Verkauf des einstigen Salonpostdampfers an die Boston Metals Corporation in Baltimore.
Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer