Mit einem Gottesdienst wird am Donnerstag in der kleinen Kirche auf der Insel Giglio der Opfer des bislang größten Schiffsunglücks in der Geschichte der modernen Kreuzfahrt erinnert. Der zehnte Jahrestag der Havarie die Costa Concordia soll ein Tag des Gedenkens an die Opfer sein. Angehörige der Opfer sowie Vertreter der Reederei, Mitglieder Bergungsteams und Vertreter der Politik werden auf der kleinen Insel der Ereignisse von vor zehn Jahren gedenken.

Am 13. Januar 2012 um 19.45 Uhr hatte sich in Sichtweite der Kirche genau das ereignet, was bis dahin als unmöglich galt. Ein mit modernster Technik ausgerüstetes Kreuzfahrtschiff war mit voller Wucht gegen einen in den Seekarten verzeichneten Felsen der Insel Giglio gefahren.
In knapp 100 Minuten wird das Schiff zu einem Wrack. Nur der Wind und das felsige Ufer der Küste Giglios verhindern eine noch größere Katastrophe mit weitaus höheren Opferzahlen.
32 Menschen kamen dennoch in dem mit Schlagseite halb versunkenen Wrack ums Leben. Zwölf der Opfer waren deutsche Passagiere. Damit stellt Deutschland den größten Teil der Opfer, was auch ein Grund für die Einbindung der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung aus Hamburg war.
Ein Taucher starb später 2013 bei den Bergungsarbeiten. Damit ist die Costa Concordia das Schiff mit der größte Zahl an Todesopfern bei einem Unglück mit einem modernen Kreuzfahrtschiff.
Die Aufarbeitung des Unglücks dauert aber bis heute. Noch immer gibt es Klagen von einzelnen Überlebenden gegen die Reederei. Noch immer wird bei den Reedereien an der Optimierung der Sicherheit gefeilt.
„Eine ganz wichtige Erkenntnis ist, dass die Rettungsübung heute vor dem Ablegen nach der Einschiffung für alle Passagiere verbindet erfolgt“, sagt Ulf Kaspera, Leiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in Deutschland.
Die Bundesstelle aus Hamburg hatte sich damals zwar eingeschaltet, war jedoch von den italienischen Behörden nur oberflächlich eingebunden worden. „Die Bedingungen für die Suche nach den Ursachen des Unglücks war für die BSU nicht so möglich, wie wir es gewohnt sind“, bilanziert Kaspera.


Am 8. Dezember 2015 beendete die BSU die Untersuchung. Die italienische Seeunfalluntersuchungsbehörde veröffentliche aber bereits im Mai 2013 ihren Untersuchungsbericht. Dieser enthielt aus Sicht der BSU jedoch keinerlei eigene Erkenntnisse der Unfalluntersucher Italiens, sondern basierte weitgehend auf Feststellungen der Staatsanwaltschaft bei der strafrechtlichen Beurteilung.
Die deutsche BSU hatte jedoch erheblichen weiteren Untersuchungsbedarf angemeldet. Allerdings führte die Tatsache, dass bei derart schweren Seeunfällen in Italien zunächst die Staatsanwaltschaft und Gerichte die alleinige Hoheit über das gesamte Verfahren haben, zum Ausschluss der Seeunfallermittler.
Eine Unfalluntersuchung, wie sie europarechtlich verlangt wird, wurde in Italien nicht einmal im Ansatz gemacht, kritisierte die BSU in ihrem Bericht zur Einstellung der Ermittlungen 2015. „Hatte schon die italienische Seeunfalluntersuchungsbehörde praktisch keine eigenen Kompetenzen, galt dies in verstärktem Maße für die Seeunfalluntersuchungsstellen der Staaten, die wegen Todesopfern ein begründetes Interesse an der Untersuchung hatten“, so der damalige Leiter der BSU, Volker Schellhammer.
Die Sicherheitsbestimmungen auf den Schiffen wurden aber auch ohne Sicherheitsempfehlung angepasst. Vor dem 11. Januar 2012 konnte die Rettungsübung auf einem Kreuzfahrer auch noch am Tag nach dem Ablegen erfolgen. Diese Regel haben alle großen Reedereien wieder abgeschafft. Vor dem Ablegen muss jeder Passagier den Weg zur Sammelstation gehen und auch den Umgang mit der Schwimmweste trainieren. „Das ist von großer Bedeutung. Ein Unglück kann immer passieren, auch direkt nach dem Ablegen. Das ist eine Lehre aus dieser Havarie“, so Kaspera.

Bei der Costa Concordia trat das Unglück exakt 105 Minuten nach dem Ablegen ein. Als sich das Schiff um 20.45 Uhr mit voller Wucht in den Felsen an der Südostseite der Insel Giglio rammte. Nur dem Wind ist es zu verdanken, dass die Zahl der Opfer nicht ganz andere Dimensionen annahm. Der Wind drückte das manövrierunfähige Wrack nämlich nach der Kollision wieder zurück gegen die Küste. So sank es nicht um 22 Uhr auf mehrere hundert Meter Wassertiefe. Die Rettung der letzten Überlebenden von Bord war erst am nächsten Morgen gegen 6 Uhr beendet.
Wie konnte es aber soweit kommen? Der Verantwortliche dafür sitzt seit Mai 2017 in einem Gefängnis in Rom. Es ist Kapitän Francesco Schettino (61). 16 Jahre Haft hat er bekommen. Vier weitere Crewmitglieder der Brückenbesatzung und ein Manager der Reederei Costa bekamen wegen Führungsversagens und mangelnde Aufsicht Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, die aber alle auf Bewährung ausgesetzt wurden.
Die Anweisungen des Kapitäns waren es, die kurz nach dem Abendessen um 20 Uhr an dem Januarabend das Desaster einläuteten. Mit der Kursanweisung zur möglichst nahen Passage von Giglio wollte Schettino Menschen beeindrucken. Die Rolle einer blonden Tänzerin aus Moldawien ist dabei bis heute nicht restlos geklärt. Geklärt ist nur, dass auf der Brücke Stimmen und Geräusche aufgezeichnet wurden, die dort nicht hingehörten.
Selbst nach der Havarie setzte sich das Drama fort. Mit einem beispiellosen Führungsversagen wurde Schettino zu keinem Zeitpunkt Herr der Lage. Das ging bis zu dem Moment, als sich der Kapitän der Anweisung der Küstenwache widersetzte und sich weigerte aus einem Rettungsboot zurück an Bord seines sinkenden Schiffes zu gehen, wo sich zu diesem Zeitpunkt noch immer Passagiere in Not befanden.
Dieses Führungsversagen ist auch ein Grund, weshalb die Lehren aus der Havarie nicht bei noch besserer Technik und mehr Digitalisierung gesucht wurden. Der Rumpf der Costa Concordia lässt sich nicht verbessern.
Wenn drei oder vier Abteilungen eines modernen Schiffes volllaufen, geht es in jedem Fall unter. Das sehen die Gesetze der Physik so vor. Zwei bis drei Kammern eines modernen Schiffes dürfen heute höchstens voll Wasser laufen. Bei der Costa Concordia waren es fünf.
Das prominenteste Mitglied der Reederei, dem der Vorfall zuerst zum Verhängnis wurde, war der damalige Costa-Präsident Pier Luigi Foschi. Am 23. April 2012 kam vom Costa-Mutterkonzern Carnival Corporation die Mitteilung über den Rücktritt von Foschi als CEO der Costa-Gruppe. Nachfolger wird Michael Thamm von AIDA Cruises. Er lässt die Strukturen in der Reederei schnell und mit Akribie durchleuchten.
„Wir werden alles tun, dass sich so eine Tragödie nie wiederholt“, kündigt Thamm an. Er reiste selbst nach Giglio und setzte auf Transparenz. Neben der Entschädigung der Opfer ging es dann vor allen Dingen um die Bergung. Der ramponierte Stahlkoloss lag direkt vor dem Hauptort der vom Tourismus lebenden Insel Giglio. „Wir werden den Bürgern von Giglio ihre Insel zurückgeben“, verspricht Thamm vor Ort.

Bewusst werden die Mechanismen der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Eine Verschrottung vor Ort, wie von den Versicherungen wegen der niedrigeren Kosten favorisiert, kommt nicht in Frage. Die Costa Concordia wurde in einem Parbuckling-Verfahren im Stück wieder aufgerichtet.
In einem zweiten Akt bekommt das Schiff gewaltigen Sponsons angeschweißt, Tanks wie übergroße Schwimmflügel. Mit 1,5 Milliarden Euro wird die Costa Concordia schließlich die teuerste Bergung in der Geschichte der Seefahrt.
Der südafrikanische Bergungsexperte Nick Sloane rückt mit einem multinationalen Team von Experten der Firmen Titan Salvage (USA), Smit Salvage (Niederlande) und Micoperi (Italien) an. Zwei Jahre lang gleicht Giglio einem Heerlager für Helmträger mit beeindruckenden Tattoos und Overalls und Stiefeln, wie sie sonst nur auf Bohrinseln zur Haute Couture gehören.
Dieser weltweit zusammengetrommelte Haufen von Bergungsexperten schafft es, dass die Scheinwerfer der italienischen Medien sich von dem Versagen der Reedereiführung bei der Personalaufsicht für die Kapitäne zum Bergungsprojekt verlagern. Plötzlich sind italienische Taucher die neuen Helden.
Das von Sloane gewählte Bergungsverfahren, Parbuckling genannt, wurde 1943 bekannt. Damals drehten Navy-Taucher in Pearl Harbour das gekenterte US-Schlachtschiff Oaklahoma wieder aufrecht.

Die Costa Concordia wird in der Nacht vom 16. auf den 17. September 2013 um fast 60 Grad geparbuckelt. Tanks und hydraulische Zugvorrichtungen drehten den über 80000 Tonnen schweren Koloss aufrecht. Im Juli 2014 dann der Moment, als nach 30 Monaten Schlepper die an ihren Schwimmtanks hängende Costa Concordia abholen und zur Verschrottung nach Genua ziehen.
Die Unglücksstelle in Giglio wurde dann wieder hergerichtet. Mit großem Aufwand wurde der vom Schiffsrumpf planierte Unterwasserhang der Küste renaturiert. Außerdem gründete Costa eine Stiftung, die den Meeresschutz fördert.
Und die Aufarbeitung?
„Auf jeden Fall kann man feststellen, dass es an Bord der Kreuzfahrtschiffe unter den Besatzungen einen Wandel bei der Arbeitskultur hin zu mehr Teamarbeit gegeben hat“, sagt Ulf Kaspera. Die Zeiten, in denen ein Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes eine gottähnliche Gestalt war, sind vorbei.
Von Passagieren kaum wahrnehmbar ist die Veränderung auf der Kommandobrücke. Hier reagierte Costa zusammen mit den Reedereien im Carnival-Verbund und stellte die Auswahl und auch das Training der Brückenbesatzungen auf ein völlig neues Fundament.
Im niederländischen Almere wurde bereits 2009 ein Zentrum aufgebaut, bei dem jeder Offizier und jeder Kapitän der Carnival-Schiffe einmal im Jahr zum Training muss. Nach der Costa Concordia war das kleine Zentrum in Almere der Weg in eine neue Kultur. Das „Bridge Ressource Management“ wurde zum Schlüssel. Auf den Kommandobrücken wurde eine neue Kultur der Zusammenarbeit eingeführt. Die Situation wie auf der Costa Concordia, wo drei Menschen mit nautischer Ausbildung auf der Brücke es nicht wagen, den Kapitän energisch auf das Risiko bei Wahl des Kurses hinweisen, soll es nie wieder geben.
„Es geht beim Bridge Ressource Management darum, alle Mitglieder des Brückenteams zu animieren laut zu denken“, sagt Hans Hederström, der Vater des Zentrums in Almere am Ijsselmeer. 2015 wird Csmart in Almere mit einem doppelt so großem Zentrum erweitert. Jeder Offizier eines Carnival-Schiffes muss einmal im Jahr dort zum Lehrgang seine „Teamfähigkeit“ unter Beweis stellen.
Hederström hat dabei den Führungsstil aus der Fährschifffahrt zwischen Stockholm und Turku sowie der Luftfahrt implementiert. „Wer im Winter bei Eis durch die Schären von Stockholm navigiert, der kann das nur in einem Team machen“, so Hederström.
„Die Zeit, in der der Kapitän wie ein Patriarch an Bord herrschte, sind heute auf Kreuzfahrtschiffen Vergangenheit angehören“, sagt Kaspari. Die modernen Kommandobrücken wurden außerdem umgestaltet. Sitzplätze so angeordnet, dass jeder Nautiker seinen Kollegen im Blick hat und das Dialoge erleichtert wurden.
Als zusätzliche Sicherheit installierten die großen Reedereien nautische Zentralen an Land. Bei Costa und AIDA heißt diese Einrichtung Carnival Maritime. In der HafenCity in Hamburg befindet sich seit 2015 ein sogenanntes Fleet Operation Center (FOC).
Rund um die Uhr sitzen in dem Center Kapitäne und schauen ihren Kollegen auf den Schiffen virtuell über die Schulter. Die Technik erlaubt aus dem FOC den direkten Dialog über Kurse, Geschwindigkeit und Risiken mit den Brückenbesatzungen.
Für jede Reise macht das FOC der Besatzung vor Ort eine Routenempfehlung. Zwar hat der Kapitän an Bord immer noch die Verantwortung und auch das letzte Wort, er muss aber stets mit Fragen aus Hamburg rechnen. „Unser festes Bestreben ist es, dass sich so etwas nie vor Giglio nie wiederholen darf“, so Thamm bei der Einweihung im Oktober 2015 in Hamburg. Und bislang sind schwere Havarien durch menschliches Versagen bei den Schiffen der Carnival-Gruppe auch ausgeblieben. FB