Schlagwort: Schiffsportrait

Futuristischer Auftritt

Die britische Canberra war als Passagierschiff für den Linienverkehr nach Australien bestimmt, das größte seiner Art und das letzte der P&O-Orient Line. Aber es wurde auch anderswo gebraucht.

Broschüre zum Jungfernfahrt des Schiffes. Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Es sollte als „Schiff für Heute“ das „Schiff von morgen“ sein. Riesig waren seine Dimensionen, es stand für maritime Größe und Luxus noch dazu. Es beeindruckte durch technische Besonderheiten und pure Schönheit, nach dem Willen der Schöpfer sollte es perfekt, brillant und unübertroffen sein. Der Anblick dieses Großdampfers war wie ein gigantischer, glänzender Wal, der sich aus dem Wasser erhob und den zuvor noch niemand so majestätisch gesehen hatte. Später, als das Schiff von Soldaten gebraucht wurde, nannten sie es den „Großen Weißen Wal“.

Den Agenten 007 kennt jeder:
Die CANBERRA war neben Sean Connery (spielte James Bond) einer der Hauptdarsteller in „Diamonds are Forever“.
Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Das Design war radikal neu, geprägt von futuristischer Eleganz und mit dem größten vollständig geschweißten Aufbau aller bisher gebauten Schiffe. Ein Triumph des architektonischen Entwurfs und seiner Umsetzung durch grandiose Handwerkskunst. Nicht umsonst sprachen die P&O-Eigner nicht von ihrem Schiff, sondern vom Canberra-Projekt. So war es logisch, dass der Dampfer auch zum Filmstar wurde: 1971 kämpfte und siegte Sean Connery als James Bond im Film „Diamonds are Forever“, Millionen Zuschauer haben das Schiff kennen gelernt.

1962 hatte der Schiffsarchitekt John West im Alter von erst 35 Jahren als erster die Prince-Philip-Medaille für außergewöhnliche wissenschaftliche Leistungen erhalten. Mehr als vier Jahre lang war er Chef des ambitionierten Projektes, vom 20. Dezember 1956 an bis zum Stapellauf am 16. März 1960 und der Indienststellung am 2. Juni 1961. Es war der ultimative Schiffsneubau in dieser Zeit, mit großen Decksflächen und einem modernen Aussehen, auf das allergrößter Wert gelegt wurde.


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Der Newcomer der P&O-Orient Line wurde auf der irischen Werft Harland & Wolff in Belfast gebaut, der am 20. Dezember 1956 bestellte Neubau wurde am 23. September 1959 als Baunummer 1621 auf Kiel gelegt. Fast ein halbes Jahr später wurde über die Namensgebung entschieden, die Briten taten das auf sensible Art. Als die auf den Namen der australischen Hauptstadt zu taufende Canberra am 16. März vom Stapel lief, fungierte als Taufpatin Pattie Menzies, die Ehefrau des damaligen australischen Premierministers Robert Menzies, der seit 1949 das Land regierte und populär war. Nach seinem Stapellauf wurde der Kasko zur Thompson Wharf verschleppt, wo im finalen Arbeitsakt die noch fehlenden obersten Aufbauteile, Schornsteine und Masten, darunter auch der für das Unterfahren der Harbour Bridge in Sydney klappbare Signalmast, aufgesetzt wurden und die Ausstattung erfolgte; das dauerte bis April 1961.

Nap time an Deck Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Auf den Probefahrten im Hafen von Belfast kam es zu einer unangenehmen Überraschung: Das Schiff war hecklastig, die Maschinenanlage im Heck war zu schwer. Deshalb mussten mehrere Tonnen Ballast im Vorschiff der Canberra installiert werden, kein erfreuliches Omen.

Die Baukosten für das Schiff mit dem kühn geschwungenen Außenkostüm wurden mit 17 Millionen britischen Pfund beziffert, es fuhr unter der Flagge des Vereinigten Königreichs, sein Heimathafen war London. Der Riesenkreuzer war 249,48 Meter lang und 31,25 Meter breit, der Tiefgang lag bei 9,97 Metern. Vermessen wurde die Canberra mit 45.270 BRT bzw. 23.968 NRT, die Tragfähigkeit wurde mit 9910 tdw angegeben. Der Antrieb erfolgte turboelektrisch über zwei Dampfturbinen. Das war sehr fortschrittlich, denn die Turbinen trieben zwei Wechselstromgeneratoren mit einer Leistung von je 32200 kW an. Die erzeugte elektrische Energie leitete man an die beiden luftgekühlten AEI-Elektromotoren weiter, die mit je 31700 kW über zwei Wellen auf die daran montierten vierflügeligen Festpropeller arbeiteten. Damit war die Canberra der erste britische Passagierliner, der Wechselstrom für den Antrieb nutzte. Die Probefahrtsgeschwindigkeit des mit Wulstbug und Bugstrahlruder ausgestatteten Schiffes lag bei 29,27 kn (54,2 km/h) und die Dienstgeschwindigkeit bei 27,5 kn (51 km/h), sie wurde 1973 auf 23,5 kn reduziert.

Die Besatzung wurde mit 500 Mitarbeitern angegeben, die Passagierzahl mit 1735 für die Touristenklasse und 556 Personen in der 1. Klasse. Die P&O-Orient Line reklamierte den Einsatz der Canberra als Großbritannien-Australien-Dienst, deshalb wurden durch sie zwei ältere und kleinere Vorkriegs-Schiffe ersetzt. Sie trugen die Namen Strathnaver (Baujahr: 1931) und Strathaird (1932) und wurden nach der Indienststellung der Canberra zum Abbruch verkauft.

Blick in den „Pacific Dining Room“ der 1. Klasse. Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Das größte Schiff, das nicht auf der Nordatlantik-Route eingesetzt wurde, war komfortabel ausgestattet. Alle Kabinen der Ersten Klasse waren klimatisiert, es gab auf den oberen Decks vier Suiten mit privater Veranda. In den öffentlichen Räumen der Oberklasse waren der Speisesaal mit 320 Sitzplätzen und eine Lounge namens „Meridian Room“ integriert. Die Lounge befand sich im Mittelpunkt des Schiffes, von dort aus war die klassische Bibliothek und die „Century Bar“ zu erreichen. Eine weiße Wendeltreppe führte über drei Decks hinauf in die Panoramalounge, die „Crow’s Nest“ (Krähennest) genannt wurde. Am Fuß des Schornsteins befand sich das Pooldeck, nahebei der „Bonito Club“ mit einer Tanzfläche, die gläsern überdacht war.

Die Touristenklasse besaß eine Showlounge mit 600 Sitzplätzen, sie konnte als Theater genutzt werden. Im bordeigenen Kino, das beiden Klassen zugänglich war, standen 340 Sitzplätze parat. Der „William Fawcett Room“ war die Lounge, zu der eine Bibliothek und ein Schreibzimmer gehörten. Das Game Deck bestand aus zwei kleineren Pools auf dem Lidodeck im Heckbereich der Canberra. Nach dem Umbau des Dampfers 1973 zum Kreuzfahrtschiff, bei dem sich die Vermessung auf zuletzt 49073 BRT erhöhte, wurde zeitgeistmäßig eine Disco mit dem Namen „Island Room“ und ein großes Spielzimmer mit Kinderbetreuung eingeklinkt. Der Speisesaal der Ersten Klasse wurde in „Pacific Restaurant“ umbenannt. Gleichzeitig wurde 1973 die Trennung der Klassen auf dem Schiff aufgehoben.

Delxue-Kabine der 1. Klasse.
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Mit Katze und Pirat illustriert: Das Sportangebot für die Kinder.
Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Als sich die Luftfahrt als Transportgeschäft in den 1970er Jahren massiv verstärkte, wollten immer weniger Passagiere über Wochen mit dem Schiff reisen, man konnte in etwas mehr als 20 Stunden per Flug sein Ziel erreichen. Die Canberra konnte mit dem Konkurrenz in den Lüften auf dem Meer nicht mithalten. Dazu kam, dass die Zahl der Auswanderer nach Australien schrumpfte und der Suez-Kanal geschlossen war, so dass der Weg über das Kap der Guten Hoffnung noch zeitintensiver war.

Ab 1972 kämpfte P&O gegen Verluste, die sich immer weiter anhäuften, so dass die Reederei den Dienstbetrieb aufgeben wollte und das Schiff für 600.000 Pfund zum Abwracken anbot. Erstaunlich für ein erst elf Jahre altes Schiff, das dann 1974 doch noch modernisiert und zum Kreuzfahrtschiff umfunktioniert wurde.

Reinigungsarbeiten am Schiffsschornstein.
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Die „Rettung“ war schließlich der Beginn des absurden Falklandkrieges. Die britische Regierung beschlagnahmte am 9. April 1982 das Schiff und erklärte es zum Truppentransporter, um Kampftruppen in den Südatlantik zu bringen. Fernsehbilder zeigten immer wieder begeisterte Wehrertüchtigte. Erstmals gab es Bilder der BBC in ihren Nachrichten, auf denen Frauen am Kai ihre Brüste entblößten, um ihren Partnern zu zeigen, sie mögen gesund zurückkommen. Die Canberra wurde kein einziges Mal von den argentinischen Flugpiloten angegriffen, während britische Fregatten unter Beschuss gerieten. Nach Kriegsende wurden argentinische Soldaten von der Canberra aufs Festland ihrer Heimat zurückgebracht.

Ingenieur im Kesselraum.
Reproduced by kind permission of P&O Heritage www.poheritage.com

Die CANBERRA auf dem Strand der Abwracker. Foto: Sammlung JSA

Das nun äußerst populäre Schiff sollte nach der Sanierung wieder ins Kreuzfahrtgeschäft zurückkehren, was zunächst funktionierte. Doch ein Störfaktor waren die hohen Unterhaltskosten, die Canberra war nicht mehr rentabel. Im Oktober 1997 wurde sie ausgemustert und nach Gadani in Pakistan gebracht. Nicht zuletzt durch die stabile Bauweise des Schiffes dauerte das Abwracken mehr als ein Jahr. P&O hatte zuvor zwei Wochen lang Kunsthändler aufs Schiff gebracht, Möblierung, Bilder und sogar Hinterlassenschaften des „Manhiki War Canoe“ konnten gerettet werden.

P&O Heritage widmet der CANBERRA eine eigene Foto-Kollektion. Die Aufnahmen können hier eingesehen werden.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer


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INFORMATIONEN ZU P&O HERITAGE

P&O Heritage exists to preserve and celebrate the maritime history and archive collections of P&O, once the largest shipping company in the world. P&O was founded in 1837 and our collections – of paintings, photographs, ship models, ephemera, and vast company archive of over 35,000 items – chart the company’s innovations in steam navigation, passenger comfort and global trade over two centuries. CANBERRA ranks as one of our most famous liners. So it’s not so surprising that we have over 2,000 CANBERRA items in our collections. Find out more in our online exhibition CANBERRA – A Design Classic or order your perfect CANBERRA print here from a selection of 200. Shop now and enjoy our XMAS20 discount. Keep up to date with all our P&O Heritage activities by following @poheritage on facebook, twitter and instagram.

MS Astor, wieder ein trauriger Abschied – oder vielleicht doch nicht?

Die Corona-Krise hat auch bei dem beliebten Klassiker Astor nicht halt gemacht. Im Strudel der Insolvenz vom britischen Reiseveranstalter CMV zusammen mit seiner deutschen Tochter Transocean wurde der Kreuzfahrer nach der abrupten Rücküberführung vom australischen „Winterquartier“ in Tilbury/England aufgelegt und man hoffte auf bessere Zeiten. Doch es kam anders: am 15. Oktober 2020 wurde das Schiff zum Abwracken zwangsversteigert.

Ein Grund, sich des oft spannenden Werdeganges dieses Kreuzfahrtschiffes, einem Nachbau der 1980 in Dienst gestellten ersten Astor zu widmen.

Foto: Jens Meyer

ASTOR (2)

1985 gab die südafrikanische Reederei SAFMARINE mit dem Verkauf ihres Kreuzfahrtschiffes ASTOR (1) an die damalige DDR als Ersatz bei HDW Kiel am 12.April 1985 für 65 Mio.US$ einen Nachbau in Auftrag, der zur Jahreswende 1986/87 als ASTOR (2) in Fahrt kommen sollte. Durch das Einfügen einer 11 Meter langen Mittschiffssektion wirkte die zweite ASTOR in ihrer äußeren Form gefälliger, die Proportionen stimmten einfach besser. Die Schiffsgröße stieg mit dem verlängerten Rumpf auf BRZ 20.606. Politische Einflüsse ließen seinerzeit einen Betrieb unter der Flagge Südafrikas, wie anfangs bei der ersten ASTOR nicht mehr zu. Viele Staaten sperrten sich der damaligen Apartheid-Flagge. Durch eine verschachtelte Eigentums-Konfiguration wurde dem Interessierten „vorgegaukelt“, kein südafrikanisches Schiff vor sich zu haben, zumal auch die gewählte Flagge Mauritius unverfänglich erschien. Offiziell wurde der Neubau noch während der Bauphase an die Marlan Corporation mit Sitz in Panama übertragen. Die Vermarktung erfolgte über die Reiseveranstalter Morgan Leisure in Colchester/England sowie durch Globus Kreuzfahrten in Hamburg.

Foto: Jürgen Saupe

Doch die ASTOR Nummer 2 fuhr, wie schon ihre Vorgängerin, mit Verlusten. Das Management operierte wenig glücklich. Neben vielen Fehlentscheidungen im Schiffsbetrieb traf hier der Slogan zu „Das richtige Schiff zur falschen Zeit“. Im Hinblick auf damalige kritische Stimmen bezüglich der Verweildauer der neuen ASTOR auf dem deutschen Markt (man erinnerte sich an das kurze „Gastspiel“ der ersten ASTOR) sprach der damalige deutsche Repräsentant der ASTOR (2) in seinen Verlautbarungen von einer mindestens achtjährigen Charter, deren Verträge unkündbar sein sollten. Ergebnis: nach nur knapp 2jährigem Schiffsbetrieb stand auch die ASTOR Nummer Zwei zum Verkauf und die Sowjets ließen sich dieses Schnäppchen nicht entgehen. Hatte der Bau des Schiffes 65 Mio. US$ gekostet, wurden nach knapp 2 Jahren als Verkaufserlös lediglich 50 Mio. US$ erzielt. Nicht wenige Branchenkenner nahmen damals einen solchen niedrigen Verkaufspreis nur kopfschüttelnd zur Kenntnis. Am 2. Oktober 1988 wechselte das Schiff in Genua die Flagge.

Am Heck wurde die rote Werkzeugflagge gesetzt und der Schiffsname in FEDOR DOSTOEVSKIY geändert. Mit der damals überraschenden Ankündigung des Bremer Seereisenveranstalters Transocean Tours, die „Fedor“ unter Vollcharter zu nehmen, kam dieses schon damals bei deutschen Fahrgästen beliebte Schiff wieder auf den heimischen Markt. Doch die ASTOR Nummer Zwei brachte (zumindest damals) auch den Bremern nicht das erhoffte Glück. Das Schiff hatte sich unter der Bremer Charterflagge gerade freigeschwommen und die Buchungszahlen verhießen Gutes, da kam der „Knaller“: In einer wohl beispiellosen Aktion wurde die „Fedor“ den Bremern so quasi über Nacht entrissen und an Neckermann-Seereisen weitergegeben. Angeblich, so hörte man, soll es in dem seinerzeitigen Chartervertrag eine „Lücke“ gegeben haben, die der russischen Reederei einen einseitigen Sofortausstieg aus dem Vertrag ermöglichte. Neckermann kam so gewissermaßen über Nacht zu seinem (damals dringend benötigtem) Traumschiff. Doch auch dieses Glück währte nur kurze Zeit. Die Buchungszahlen ließen zu wünschen übrig. Außerdem konnten durch hohe Charterraten die Fahrpreise für die Neckermann Klientel nicht attraktiv genug kalkuliert werden. Am 1. Dezember 1995 erhielt das Schiff in Bremen wieder seinen ursprünglichen Namen Astor und wurde vom damaligen Veranstalter Aquamarin vermarktet. Transocean Tours entschloss sich am 25.10.1996, die ASTOR (2)in Langzeitcharter zu übernehmen. Am 21.04.1998 dann die erste Kreuzfahrt unter der Bremer Charterflagge.

Fedor Dostoevskiy, Foto: Sammlung JSA

Am 5.01.2006 kauft der Münchener Finanzdienstleister Premicon die ASTOR vom Eigner Sovcomflot. Es folgte ein weiterer Einsatz bei den Bremern bis zur Insolvenz von Transocean Tours im Herbst 2009. Eine schon vor der Insolvenz geplante Totalrenovierung im Umfang von mehr als 16 Mio. Euro wurde im Frühjahr 2010 durch den neuen Eigner Premicon AG veranlasst, der auch die insolvente Transocean Tours unter dem neuen Namen Transocean Kreuzfahrten wiederbelebte und dem Schiff unter der Bereederung von der KD einen erfolgreichen Start in die weitere Zukunft ermöglichte.

Nord-Ostsee-Kanal am 19.4.2013 in Kiel, Foto: Frank Behling

Die Standard-Kabinen, wenn auch in ihrem Grundriss unverändert, bekamen eine neue Möblierung, neue Teppichbelege in Königsblau mit heller Musterung wurden nicht nur hier, sondern im gesamten Schiff verlegt. So strahlte das „neue“ Schiff eine vornehme Harmonie aus, die auch die alten Stammkunden des Schiffes überzeugte. Die Ausstrahlung der, wenn auch nach heutigen Maßstäben eher kleinen Kabinen (ca. 14 qm) war durchaus dazu angetan, dem bunten Treiben an Deck auch einmal zu entfliehen. Alles ist im Prinzip an seinem Platz geblieben, nur eben neu gestaltet. Die Werft „weigerte“ sich, die vorhandenen Klappsofas, tagsüber bequeme Sitzgelegenheit und zur Nacht ein richtiges Bett, auszutauschen. Sie seien so stabil konstruiert und quasi für die Ewigkeit gebaut, dass man sie an Bord belassen sollte. Sie blieben und wurden lediglich neu bezogen.

ASTOR im NOK, Mai 2013, Video: Oceanliner-Pictures.com

Stammgäste, die eine Suite bewohnen, werden größere Änderungen bemerkt haben. Die bisherigen Suiten erhielten bodentiefe Fenster, für geplante, so genannte French-Balkonies gab die Klassifikationsgesellschaft kein grünes Licht. Auf dem Bootsdeck wurde der Aufbau nach vorn verlängert und so Platz für neue, großzügig ausgelegte Suiten (26-48 qm) geschaffen. Die größten haben ihre Veranda mit Blick nach vorn. Ein eigenes Erster Klasse-Guckdeck also.

Anders bei den zahlreichen Innenkabinen. Es wurde immer schwieriger, Kabinen ohne Tageslicht zu vermarkten. Diese sind zwar preisgünstiger, aber der Zeitgeist verlangte nach Außenkabinen. Ausweg bei der ASTOR: Bei einigen Innenkabinen hat man zwei Innenkabinen zu einer großen, gut ausgestatteten Innen-Suite zusammengelegt.

Foto: enapress.com

Im November 2014 geriet die Betreibergesellschaft (des Schiffseigners) in Finanznöte und musste Insolvenz anmelden. Danach per 15.12.2014 Übernahme der ASTOR durch die Global Cruise Group des griechischen Reeders Tragakis. Als Eigentümer ist eingetragen: Passion Shipping Investment, Athen. Den Winter verbrachte dieASTOR fortan in Australien und wurde dort durch CMV vermarktet. Im europäischen Sommer kehrte das Schiff dann in heimische Gewässer zurück und wurde hier unter Transocean (jetzt eine CMV-Tochter) vermarktet. Am 20.07.2020 meldete CMV/Transocean Insolvenz an und alle Reisen abgesagt.

Als Jules Verne, Foto: Sammlung JSA

Die ASTOR kam am 15.10.2020 unter den Hammer und wurde für schlappe 1,7 Mio.US$ versteigert. Bis Ende Oktober 2020 sickerte lediglich durch, dass der Käufer das Schiff zum Verschrotten erworben haben soll. Die Fangemeinde der Astor hofft immer noch, dass sich jemand findet, der das Schiff den Abwrackern in letzter Minute entreißt und weiter als Kreuzfahrtschiff einsetzt.

Daten ASTOR (2)

Reederei: South African Marine Corp. Ltd., Kapstadt (Safmarine), Bauwerft: Howaldtswerke-Deutsche Werft AG, Kiel, Bau-Nr. 218, Vermessung: 20.159 BRT, Abmessungen (LxBxT): 176,3 x 22,6 x 5,8 Meter, Höhe Wasserspiegel – Mast: 35 Meter, Antrieb: Zwei 8-Zyl. + zwei 6-Zyl. Sulzer-Wärtsilä Diesel, Typ ZA40 über Getriebe (580/215 RPM) auf 2 Verstellpropeller, Gesamtleistung 15.400 kW., Hilfsmaschinen: Drei Diesel, Gesamtleistung 3.300 kW, Geschwindigkeit: 18 Knoten (max. 20 Kn), Verbrauch: 36 Tonnen pro Tag bei 18 Kn, Bunkerkapazität: 1.400 Tonnen, Aktionsradius: 12.900 Seemeilen bei 18 Knoten; Bugstrahler: 880 kW in 3 Stufen, Stabilisatoren: HDW, Typ Simplex-Compact (je Flosse 8 qm), Passagierkapazität: Max. 656 Fahrgäste in 295 Kabinen und Suiten, Besatzung: 250 in 156 Kabinen, Baukosten: 210 Millionen DM (65 Mio. US$)

Werdegang:

12.04.1985: Auftragsvergabe an die Werft. 21.01.1986: Baubeginn (Kiellegung). 1986: De facto Verkauf des Schiffes an Marlan Corporation, Port Louis/Mauritius, mit Zweitsitz in Panama. Hinter dem Unternehmen steht als größter Anteileigner die Hotel- und Finanzierungs-Gesellschaft Jardines Madison in Hongkong. Die Safmarine erkannte, dass ein Betrieb des Schiffes unter Südafrika-Flagge und Management aus politischen Gründen nicht am Markt ankommen würde. An Hongkong konnte das Schiff aber nicht übertragen werden, da es weitgehend von deutschen Schifffahrtsbanken finanziert ist. Das Hypothekenrecht von Hongkong wurde von diesen nicht anerkannt, wohl aber das in Panama. Da man aber das Schiff nicht unter der Bequemlichkeitsflagge Panamas fahren lassen wollte, wurde die ASTOR für acht Jahre bareboat an die Ireland Blythe Ltd. in Port Louis/Mauritius verchartert, die sie – nun unter unverfänglicher Flagge – an die britische Morgan Leisure Ltd. weiterverchartern kann.

30.05.1986: Aufschwimmen im Baudock., 24.06.1986: Taufe, Taufpatin: Frau Inta Elisabeth Gleich, Frau des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie., 00.12.1986: Technische Probefahrt., 14.01.1987: Ablieferung, 31.01.1987: Jungfernfahrt ab Hamburg

24.01.1988: Preissenkung der Kreuzfahrttarife für den deutschen Markt um bis zu 35 Prozent. Grund: Der Versuch der Reederei, die zum Teil völlig unzureichende Auslastung auf dem britischen Markt durch Sonderpreisaktionen zu verbessern, führte zu erheblichen Spannungen zwischen deutschen und englischen Passagieren.

01.02.1988: Ein Telex der Globus Kreuzfahrten GmbH, Hamburg, dem Generalagent für den hiesigen Markt, widerspricht Pressemeldungen über einen Verkauf der ASTOR. Globus garantiert seinen Kunden die Durchführung aller Astor-Reisen 1988., 09.02.1988: Der Verkauf des Schiffes an die Sowjetunion wird beschlossen., 11.02.1988: Die Presse berichtet weltweit über den geplanten Verkauf des Schiffes an die Sowjetunion., 10.05.1988: Transocean Tours, Bremen gibt den Abschluss eines mehrjährigen Chartervertrages für das Schiff bekannt. Beginn der Charter: Nach Übergabe der ASTOR an die neuen Eigner Anfang Oktober., 16.06.1988: Globus Kreuzfahrten bestätigt den Verkaufsabschluss., 03.10.1988: Übergabe des Schiffes in Genua an den neuen Eigner Sovcomflot, Moskau. Bereederung durch Black Sea Shipping Co., Odessa. Neuer Name FEDOR DOSTOEVSKIY. Neuvermessung 20.606 BRZ. Kaufpreis: 110 Millionen DM, 23.12.1988: Erste Kreuzfahrt unter Transocean Tours ab Genua als FEDOR DOSTOEVSKIY, 06.01.1989: Erste Ankunft in Bremerhaven als FEDOR DOSTOEVSKIY.

08.02.1990: Sovcomflot kündigt vorzeitig den Chartervertrag mit Transocean Tours zum 30.11.1990., 12.03.1990: (NUR) Neckermann Seereisen gibt den Abschluss eines Chartervertrages über fünf Jahre mit Schiffseigner Sovcomflot bekannt., 22.12.1990: Erste Kreuzfahrt unter Neckermann Charter., 20.12.1991: Übertragung an Fedor Dostoevskiy Shipping Co., Nassau, Flagge: Bahamas. Das Management liegt bei der auf Zypern ansässigen Sovcomflot-Tochter Unicom Management Services.

01.11.1994: Neckermann Seereisen informiert, den Chartervertrag der „Fedor“ nicht mehr zu verlängern., 06.11.1995: Schiffseigner Sovcomflot will das Schiff über Tochterunternehmen Aquamarin vermarkten., 00.11.1995: Bei einem Werftaufenthalt erfolgt Anpassung an aktuelle Sicherheitsauflagen., 30.11.1994: Rückgabe des Schiffes aus der Neckermann-Charter an Sovcomflot., 01.12.1995: Umbenannt in ASTOR und gleichzeitig Übergabe in die Hände von Aquamarin. Als Taufpatin fungiert Marie-Luise Marjan, bekannt als Mutter Beimer aus der TV-Serie „Lindenstraße“., 00.08.1996: Den Vertriebsbemühungen von Aquamarin, auch über die DER-Part-Schiene ist kein Erfolg beschieden., 25.10.1996: Transocean Tours, Bremen gibt den Abschluss einer Zehn-Jahres-Charter für die ASTOR bekannt., 04.11.1996: Notarielle Bestätigung des Vertragsabschlusses., 21.04.1997: Erste Kreuzfahrt unter Transocean Tours Charter, 05.01.2006: Die Münchener Reederei Premicon AG kauft die ASTOR von der Sovcomflot. Finanziert wird der Kauf durch einen geschlossenen Fond. Vermarktung weiterhin durch Transocean Tours., 05.09.2009: Transocean Tours wird insolvent, die Astor aufgelegt. In der Folgezeit wird Transocean Tours durch Premicon übernommen, als Transocean Kreuzfahrten neu aufgestellt und der Umbau bei der Bremerhavener Lloydwerft endgültig in Auftrag gegeben., 01.06.2010: Erste Reise der „neuen“ Astor nach fast 6-monatiger Werftzeit., 05.11.2013: Charterbeginn durch Cruise & Maritime Voyages (CMV)., 06.11.2014: Insolvenz des deutschen Schiffseigners.

15.12.2014: Übernahme des Schiffes durch Global Cruise Lines. Wintercharter wird unter CMV, die Sommercharter unter Transocean vermarktet., 14.11.2019: CMV/Transocean meldet die Abgabe des Schiffes an seine französische Tochter CMV-France per 1. Mai 2021. Geplanter neuer Name: Jules Verne., 20.07.2020: CMV/Transocean meldet Insolvenz an. Alle Reisen werden abgesagt., 15.10.2020: Versteigerung der Astor für rund 1,7 Mio. US$, angeblich zum Abwracken.

Text: Jürgen Saupe