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„Taufe auf den Kanaren“

Zur Verspätung der Sea Cloud Spirit und neuen Destinationen sprach Michael Wolf mit dem Geschäftsführer von Sea Cloud Cruises, Daniel Schäfer.

MW: Warum hat sich die Ablieferung der Sea Cloud Spirit verzögert?

DS: In der spanischen Werft war wegen der Ausgangssperre mehrere Wochen lang kompletter Arbeitsstopp. Unser vorab eingebauter zeitlicher Puffer ist jetzt aufgebraucht. Wir wissen noch nicht genau, wann das Schiff fertig wird. Auch die Werft kann das nicht endgültig sagen, weil sie derzeit nicht weiß, wie sich die Einreisebeschränkungen der europäischen Zulieferer entwickeln werden.

MW: Gibt es ein grobes Zeitfenster?

DS: Wir werden im Sommer nähere Informationen bekommen, planen aber den Start auf Ende des Jahres.

MW: Was muss jetzt noch am Schiff gemacht werden?

DS: Das sind die gesamten Rigg-Arbeiten. Die Masten konnten noch angeliefert werden, nur die hierfür spezialisierten Arbeiter konnten nicht mehr anreisen. Mit der Maststellung wird dann sobald wie möglich begonnen, die Arbeiten werden etwa drei Monate dauern. Parallel wird der Innenausbau finalisiert. Wenn die Masten gestellt sind, können die Maschinen angeworfen werden – der hintere Mast dient auch als Auspuffteil. Dann wird noch die Technik optimiert. Natürlich ist es schwierig, nicht sagen zu können, wann es definitiv losgeht, wir wollen aber mit offenen Karten spielen.

SEA CLOUD SPIRIT, Foto: Sea Cloud Cruises

MW: Die ersten Reisen sollen aber dann zu den Kanaren gehen, und nicht in die Karibik wie ursprünglich geplant?

DS: Das ist richtig. Wir haben mit der Werft besprochen, dass das Schiff auf den Kanaren getauft wird, hier soll auch die Einführungs- und Jungfernfahrt stattfinden. Dort bleiben wir bis April, können danach in unser bereits veröffentlichtes Programm direkt einsteigen.

MW: Wie sehen die Buchungen für 2021 aus?

DS: Wir haben diverse Umbuchungen bekommen, es stehen aber immer noch eine ganze Reihe Buchungen für 2020 im System. Da warten die Gäste auf die weitere Entwicklung. Wir erleben ganz aktuell einen Anstieg der Nachfrage für 2021, es geht also langsam wieder los. Für 2021 gibt es aber dennoch genügend Platz – das wird bei anderen nicht anders sein.

MW: Wann kommt der neue Katalog?

DS: Wahrscheinlich schon Anfang Juni. Bis dahin hoffe ich auch, das konkrete Programm für die Kanaren zu haben. Wir sondieren jetzt auch im Vertrieb, wer diese Reisen am besten anbieten kann, wer die Kapazität, Lust und Möglichkeiten hat, diese zu vermarkten. Reisen zu den Kanaren in diesem Winter sind wahrscheinlich sehr gut, weil sicherlich einige Gäste jetzt nicht so lang fliegen wollen. Und für diejenigen, die Fernweh verspüren, sind die beiden anderen Schiffe ja weiterhin in der Karibik. So haben wir die Bandbreite unseres Winterprogramms erweitert.

MW: In diesen Tagen berichten etliche Medien über die Schattenseiten der Kreuzfahrt. Haben Segler bessere Chancen…

DS: Auf jeden Fall. Ich glaube auch, dass es die klassischen Kreuzfahrer in nächster Zeit sehr schwer haben werden allein aufgrund der Größe der Schiffe. Die Bilder, die von den Schiffen in Quarantäne um die Welt gingen, haben sich in den Köpfen der Menschen eingebrannt. Da haben wir es mit unseren kleinen Schiffen wesentlich einfacher. Das Gesetz der großen Zahl erschlägt da etliches. Und wenn das Thema Corona wieder abflaut und die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit wieder akut werden, da stehen wir natürlich wieder ganz weit vorn. Auch Krisen sind auf kleinen Schiffen leichter zu handeln: Unsere Gäste sind nach dem Ausbruch innerhalb von drei Tagen wieder zu Hause gewesen, ein großer Teil der Crew etwas später. Wir haben zu fünft innerhalb eines Tages sämtliche Flüge und Transfers organisiert, das wäre für ein Schiff mit mehreren hundert Personen technisch gar nicht möglich gewesen.

MW: Wo liegen die beiden Schiffe jetzt?

DS: Auf den Kanaren, Santa Catalina.

MW: Wird es nach der Krise konkrete Änderungen auf den Schiffen geben?

DS: Wir haben uns natürliches einiges überlegt, schon auch um etwaigen Auflagen entsprechen zu können. Wenn es um die Änderungen von Buffets geht, ist dies sicher am einfachsten durch Service am Tisch zu realisieren oder mit klassischen Dinners. Bei uns findet auch vieles open-air statt, das ist sicherlich hilfreich. Konkret haben wir aber derzeit noch nichts beschlossen.

MW: Ihre persönliche Prognose: Wann wird sich die Kreuzfahrt wieder öffnen?

DS: Wir können grds. mit 2 – 4 Wochen Vorlauf starten und beobachten die weitere Entwicklung. Für das Neugeschäft konzentrieren wir uns derzeit auf das 4. Quartal. Es gibt aber auch Szenarien, die von April 2021 ausgehen.

MW: Die Highlights aus dem nächsten Katalog?

DS: Kanaren im Winter, das haben wir noch nie zuvor gemacht. Das wird gut funktionieren. Es kommt wieder die Zeit, wo man sich wieder besinnt, auf das, was zählt im Leben. Das können auch einfache Dinge sein. Wir haben uns immer auf gute Qualität konzentriert und sind dem Modernitätswahnsinn und dem Streben nach immer mehr und immer größer nicht verfallen. Deswegen ist unser Produkt so zeitlos und modern wie nie zuvor. Viele Leute kommen jetzt wieder auf den Boden und erkennen, dass man so nicht weitermachen kann. Wie lange das anhält, weiß ich nicht. Dieser Wahnsinn muss schon aus klimatischen Gründen aufhören.

Katalog: www.seacloud.com

Stapellauf der SEA CLOUD SPIRIT

Video: Sea Cloud Cruises, Fotos: Sea Cloud Cruises (2), enapress.com (2)

Eleganz unter Segeln

2021 wird die SEA CLOUD 90 Jahre alt, Michael Wolf über eine Legende.

Der Redeschwall des römischen Taxifahrers ebbt allmählich ab, und seine großen Augen blicken immer ratloser in den Rückspiegel. Ausgerechnet hier, im alten Industriehafen von Civitavecchia, in diesem Chaos von Kränen, Gabelstaplern und verrosteten Bootswracks soll eines der schönsten Schiffe der Welt liegen?! „Madonna mia, impossibile!“ Doch dann ragen auf einmal die vier Holzmasten hinter dem Dach einer Lagerhalle hervor – Wegweiser zu einer längst vergessenen Welt.
Ein Windjammer wie aus alten Piratenfilmen mit Errol Flynn, ein Segelschiff, groß und elegant wie in einem Kindertraum, eine Königin der sieben Meere: die SEA CLOUD. Ein vergoldeter Adler schmiegt sich als Galionsfigur an ihren schneeweißen Bug.
Über die schaukelnde Gangway geht es an Bord, Besatzungsmitglieder in weißer Uniform empfangen die Gäste mit Champagner vom Silbertablett. Einige machen sich gleich auf Erkundungstour: Über blank geschrubbte Planken und sorgfältig aufgerollte Taue, vorbei an Messing und Mahagoni. Wie gut, dass sie noch ein paar Tage Zeit haben, die prachtvolle Bark und ihre ungewöhnliche Geschichte genauer kennenzulernen.
Die SEA CLOUD ist die größte private Segelyacht, die je gebaut wurde: 110 Meter lang und mittschiffs 15 Meter breit. 54 Meter ragt der Großmast in den Himmel. 30 Segel, insgesamt 3000 Quadratmeter, verschaffen der alten Lady auf jedem Schifffahrtsweg der Welt höchste Aufmerksamkeit.
Genau das hatte der Auftraggeber im Sinn gehabt, als er sein Spielzeug bestellte. Für 900 000 Dollar, was heute vielleicht 25 Millionen Euro entspricht, gab der amerikanische Konservenmillionär Edward Hutton 1930 bei der Germania-Werft in Kiel eine Yacht der Superlative in Auftrag – als kleines Geschenk für seine nicht minder reiche Frau Marjorie. Die ließ es sich nicht nehmen, die Innenausstattung des Traumschiffs nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten: stuckverzierte Decken, vergoldete Wasserhähne und den besten Marmor aus Carrara für die Bäder und die Kamine. Für die raumhohen Spiegel wählte sie venezianisches Glas, und in das Eignerschlafgemach kam ein französisches Himmelbett mit Blattgoldverzierungen. Alle Kabinen wurden auf ihren Wunsch hin mit Stilmöbeln und Orientteppichen ausgestattet. Es gab ein Bordkino, einen Frisiersalon und ein Rauchzimmer. Die Uniformen der 72köpfigen Besatzung waren denen der US-Navy nachempfunden.
Derart pompös ausgestattet stach die HUSSAR, wie sie damals hieß, im April 1931 mit den beiden stolzen Besitzern das erste Mal in See. Doch die Zeit der glücklichen Törns währte nicht lang: Mister Huttons Leidenschaft galt nicht nur dem Schiff und seiner Frau, sondern vor allem dem ausschweifenden gesellschaftlichen Leben. Über dem Eheglück standen dunkle Wolken. Schließlich kam Marjorie hinter die Eskapaden ihres Gatten und reichte die Scheidung ein. Zum Trost behielt sie die Yacht, die nun in SEA CLOUD umgetauft wurde.
Marjories neuer Ehemann war Joseph E. Davis, Rechtsanwalt und später US-Botschafter in Moskau. Er ließ das Schiff an den Wochenenden nach Leningrad überführen, um dort mit Freunden fröhliche Bordpartys zu feiern: Paradebeispiele kapitalistischer Dekadenz für die staunenden Russen.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, vercharterte Marjorie die SEA CLOUD für einen symbolischen Dollar an die amerikanische Küstenwache. Fortan kreuzte die Yacht als Wetterschiff über den Atlantik. Ohne Masten, grau gestrichen und mit 200 Matrosen an Bord hatte das Traumschiff nun deutliche an Glanz verloren. Nach Kriegsende wurde aber wieder richtig dick aufgetragen: Drei Millionen Dollar ließ sich die Eignerin die Renovierung kosten – und die rauschenden Feste begannen von neuem.

Unter vollen Segeln, die SEA CLOUD als HUSSAR
Sea Cloud, Galionsfigur, Foto: enapress.com

Könige und Wirtschaftsmagnaten reisten mit der SEA CLOUD, die Windsors, Vanderbilts und Astors, der Prinz von Luxemburg, Gustaf V. von Schweden, die belgischen Royals. „Mein Gott, Marjorie, Sie leben hier so, wie man es Königen und Königinnen erwarte“, rief völlig überrascht von dem Luxus, mit dem man an Bord empfangen wurde, die norwegische Königin Maud. Die extravagante Millionärin freute sich an der Bewunderung für ihr Juwel – und für ihre Capricen: Als Haustier hielt sie sich eine Riesenschildkröte, die ihr an Deck auf Schritt und Tritt folgte.
68jährig verlor Marjorie die Lust am Segeln und an den gigantischen Unterhaltungskosten: 1955 verkaufte sie die SEA CLOUD an den dominikanischen Diktator Rafael Trujillo, der das Schiff in ANGELITA umtaufte und seinem Sohn Ramfils schenkte. Der Junior besuchte damals ein amerikanisches College. Mehr Spaß als das Lernen machten ihm die wilden Feten an Bord seiner Yacht, die nun ständig vor Hollywood kreuzte und immer neue Stars aufnahm. Von Kim Novak bis Zsa Zsa Gabor reichte die illustre Gästeliste, und nicht selten fanden Filmsternchen, die besonders entgegenkommend gewesen waren, nach einer heißen Nacht den Schlüssel zu einem Luxuswagen unter ihrem Kopfkissen.
Als Vater Trujillo einem Attentat zum Opfer fiel, gelang es dem cleveren Filius, sich mit dessen Sarg und dem halben Staatsvermögen segelnd nach Martinique abzusetzen. Nach mehreren Besitzerwechseln rottete die ANGELITA dann jahrelang in Panama vor sich hin, bis sie 1978 von dem Hamburger Kapitän Hartmut Paschburg entdeckt wurde. Der motivierte eine Gruppe hanseatischer Geschäftsleute, die SEA CLOUD für einen Spottpreis zu kaufen und für ein Vermögen instandzusetzen. Der Viermaster wurde in der Kieler Howaldt-Werft von Grund auf renoviert, eine Suite nach der anderen originalgetreu wiederhergestellt. 28 zusätzliche Kabinen entstanden auf dem Oberdeck.

Historische Aufnahme der Kabine 1 der HUSSAR

Die SEA CLOUD segelt heute unter maltesischer Flagge, im Winter in der Karibik, im Sommer im Mittelmeer. Aber noch immer kommen auf maximal 64 Gäste 60 Besatzungsmitglieder – eine wahrlich luxuriöse Quote. Luxus dürfen die Gäste, die bis zu 5 000 Euro für eine Reisewoche zahlen, aber auch erwarten, wenn sie den „Orient Express der Meere“ buchen. Das Essen im mahagonigetäfelten Speisesaal ist leicht und kreativ, der Wein exquisit und die Atmosphäre trotz Abendkleidung ungezwungener als auf einer konventionellen Kreuzfahrt. Deutsche und amerikanische Geschäftsleute gönnen sich das elegante Vergnügen, wohlhabende Kurzurlauber mit ausgeprägtem Sinn für die Romantik des Segelns.
Das Gefühl dafür stellt sich spätestens dann ein, wenn man das erste Mal nachts, während die Dünung des Mittelmeer die Bark sanft auf und ab bewegt, auf dem ausgepolsterten Promenadendeck liegt und zusieht, wie der Mond zwischen den Masten wandert. Doch für ein echtes Seglerherz ist ein anderes Schauspiel wohl viel beeindruckender: die Matrosen, die in den schwindelerregenden Höhen turnen und die Segel setzen.
Die SEA CLOUD neigt sich leicht zur Seite, nimmt Fahrt auf, und die weißen Segel wölben sich träge im Wind. Ein Steward kommt mit Cocktails vorbei, vom Piano erklingt sanfte Jazzmusik. Das Meer glitzert in der Sonne.
„So ein Schiff habe ich noch nie gesehen“, sagt ein paar Tage später der Taxifahrer in Nizza, „aber man kann sich sicher schnell daran gewöhnen.“

Fotos: enapress.com