Die »Albert Ballin« war ein deutsches Passagierschiff, fand aber auch zu anderen Zwecken Verwendung und musste dabei einige Turbulenzen überstehen
Es gibt Menschen, deren Leben lange von glücklichen Umständen gelenkt wird, bis sich – auf dem Höhepunkt eines erfolgreichen Berufslebens etwa – das Glück auf einmal drastisch ändert. Der junge Albert Ballin war ein Überflieger, als 13. Kind einer jüdischen Familie, die aus Dänemark nach Hamburg ausgewandert war, und unter katastrophal ärmlichen Bedingungen aufgewachsen. Er arbeitete sich konsequent nach oben, ging auf die Volksschule, nahm aber auch Privatunterricht in Englisch und Mathematik, das war entscheidend. Er arbeitete in der Agentur seines Vaters, der Auswanderer auf Schiffspassagen vermittelte, er konnte kommunizieren – und er führte billige Massentransporte von Hamburg nach New York ein, die ein Erfolg waren.
Mit 29 Jahren übernahm er die Hapag, brachte das Geschäft zum Florieren und erfand nebenher noch die Kreuzfahrt, weil er nicht einsehen wollte, dass die Schiffe im Winter im Hafen vor sich hindämmerten. Ballin hatte eine lange Glückssträhne, bis sie plötzlich abriss. Er war überarbeitet, wurde krank, ging häufig auf Kuren, war deutlich angeschlagen. Als meuternde Matrosen im November 1918 sein Kontor stürmten, kam es zu einer Kurzschlussreaktion, er nahm sich das Leben.
Er hinterließ ein großes Werk, so verwunderte es nicht, dass bereits wenige Jahre nach seinem Tod ein Passagierschiff der Hapag im Dienst auf der Hamburg-Amerika Route seinen Namen erhielt.
1922 wurde entschieden, ein großes, modernes Schiff, ein Typschiff, wie man es in der Schifffahrtsindustrie bezeichnet, zu bauen. Andere Neubauten der Hapag orientierten sich an diesem Dampfer. In der Zeit des Nationalsozialismus pochte man allerdings im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, die Albert Ballin umzubenennen, weil der Hapag-Chef Jude war. Lange streubte sich die Hapag, musste sich dann aber beugen, das Schiff bekam den Namen Hansa.
Am 16. Dezember 1922 wurde in der Hamburger Werft Blohm & Voss das Schiff mit der Baunummer 403 vom Stapel gelassen, im Sommer 1923 in den Dienst gestellt. Es fuhr unter der Flagge des Deutschen Reiches auf der Jungfernfahrt nach New York am 5. Juli des Jahres.
Der Dampfer war 191,2 Meter lang und wurde später mehrfach verlängert: ab 1934 auf 196,77 m und im selben Jahr auf 202,5 m, ab 1965 auf 205,2 m. Auch die Breite veränderte sich: ursprünglich 22,18 Meter, ab 1934 auf 24,08, ab 1955 auf 24 m. Ebenso gab es unterschiedliche Vermessungsangaben: anfangs 20.815 BRT, ab 1934 22.117 BRT, ab 1955 23.001 BRT und ab 1965 23.009 BRT.
Zwei Getriebeturbinen wirkten auf zwei Propeller, die Maschinenleistung lag bei 13.500 PS (9929 kW), die Höchstgeschwindigkeit 16 Knoten (30 km/h). 1930 wurde die Maschinenanlage optimiert: die Maschinenleistung stieg auf 29.000 PS (21.329 kW), die Höchstgeschwindigkeit auf 19 Knoten (35 km/h). Die Tragfähigkeit lag zuerst bei 14.000 tdw., ab 1934 13.470 tdw. Die zugelassene Zahl an Passagieren war anfänglich 1022: 183 Personen in der Ersten Klasse, 216 in der Zweiten und 623 in der Dritten Klasse. Nach den Umbauten durften bis zu 1650 Passagiere an Bord. Die Besatzung bestand erst aus 415 Mitarbeitern, wurde später aufgestockt auf 423. Es war der erste deutsche Nachkriegsbau nach dem Ersten Weltkrieg für den Passagierverkehr.
1934 passierte ein Unglück, als die Albert Ballin aus dem Hafen lief. Die Havarie mit dem Schlepper Merkur des Norddeutschen Lloyd war heftig, beim Untergang der Merkur wurden sieben Menschen mit in die Tiefe gerissen. Die Albert Ballin hatte das kleinere Schiff überrannt, es war überraschend vor seinem Bug aufgetaucht.
Die Albert Ballin war nicht luxuriös, sondern praktisch eingerichtet und abgestimmt auf den Ansturm der Auswanderer. Eine Innovation waren die Frahm’schen Schlingertanks, die das Schiff stabilisierten. Die Erste Klasse war komfortabel, aber nicht luxuriös. Der große Vorteil der First Class waren die sanitären Einrichtungen – Bad und WC in den Kabinen. Der große Teil der Passagiere musste mit einer kargen Ausstattung zurechtkommen, die Bäder und Toiletten auf den Gängen standen allen zur Verfügung. Der Speisesaal der Ersten Klasse und andere Aufenthaltsräume im besten Deck zeigten den Klassenunterschied, der seinerzeit herrschte. Das Essen in den Speisesälen der beiden einfachen Klassen war bescheiden.
Die Albert Ballin hatte ein Schwesterschiff, das nach der großen Inflation ab 1924 eingesetzt wurde. Weil aber beide Schiffe überaus erfolgreich waren, wurden im Dezember 1924 zwei weitere Schiffe dieses Typs bestellt, die Hamburg kam 1926, die New York 1927. Die Schiffe wurden aber bald darauf teilweise aus der Fahrt genommen, nachdem in den USA die Einwanderungsbestimmungen geändert und verschärft worden waren.
Im Winter 1928 erlebte die Albert Ballin einen Umbau, danach gab es eine vierte Klasse, die so genannte Touristenklasse. Im Winter 1929 wurde der Dampfer rundum erneuert – wie die anderen drei Schiffe auch – sie erhielten bessere Hauptmaschinen. Die alten Turbinen wurden ausgebaut und an andere Schiffe gegeben. Zudem installierte man in der Albert Ballin Hochdruck-Kesselanlagen und neue Turbinen, die das Tempo erhöhten. Die Schornsteine wurden in der Höhe reduziert, sie sahen jetzt gedrungen aus. Auch die Ausstattung für die Passagiere wurde verbessert.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die in Hansa umbenannte Albert Ballin als Wohnschiff der Kriegsmarine genutzt. Als ab 1945 die Sowjets den Osten Deutschlands überrollten, wurden auch viele Flüchtlinge aufgenommen. Ein glücklicher Umstand: am 30. Januar 1945 verließ die Hansa mit weit über 1000 Evakuierten an Bord kurz nach der Ausfahrt aus Gotenhafen zusammen mit der Wilhelm Gustloff, erlitt die Hansa einen Maschinenschaden, auch die Ruderanlage funktionierte nicht mehr. Das Schiff ging vor Hela auf Reede, während die Gustloff weiter fuhr und von den Sowjets in der Nacht beschossen und versenkt wurde. Am 6. März 1945 geriet die Hansa nahe Gedser auf eine Mine, die Menschen an Bord mussten das Schiff verlassen, der Rumpf war schwer getroffen worden. Das Schiff wurde in den Hafen von Warnemünde geschleppt, fast bis Ende des Jahres dauerten die Reparaturen.
1953 übergab man die einstige Albert Ballin als Reparationsleistung an die Russen, die das Schiff nach einer umfangreichen Instandsetzung in Sovetskiy Soyuz umbenannten und unter sowjetische Flagge brachten. Nach längerer Aufliegezeit wurde das Schiff 1957 ins Schwarze Meer beordert, um von Odessa aus Gemüsekonserven bis nach Kamtschatka und Wladiwostok zu transportieren. Später wurde der Dampfer in der Passagierschifffahrt eingesetzt. Weiterhin wurden an Bord auch Seefahrtsschüler ausgebildet. Im Dezember 1980 benannte man das Schiff in Tobolsk um. Kurz darauf wurde es außer Dienst genommen. Am 5. März 1982 lief das Schiff in Richtung Hongkong aus, dort kam es am 17. März an, bald darauf begann die Verschrottung.
Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jürgen Saupe