Kaum jemand der heutigen Flusskreuzfahrtpassagiere dürfte bekannt sein, dass es in den 60er Jahren nicht nur die Europa der KD auf dem Rhein, sondern auch in der DDR bereits ein solches Schiff gab. Die Spree war von 1962 bis 1982 das erste und einzige Kabinenfahrgastschiff der DDR.
Zuvor wurde das bereits 1882 für Ausflugsfahrten gebaute Schiff unter verschiedenen Namen und zuletzt als Wintermärchen II für Ausflüge in Berlin eingesetzt. Gebaut wurde das Schiff als Handel auf der Werft der Gebr. Suyver in Amsterdam und als Personen-Frachtdampfer bezeichnet. Das Schiff war bei Ablieferung 32,48 Meter lang und 5,28 Meter breit. Als Antrieb diente eine Dreizylinder-Dampfmaschine,die auf einen Festpropeller wirkte. Der Dampfer war als Fahrgastschiff zunächst für 350 Passagiere zugelassen, 1937 dann für 309 Personen und 1959 für 297 Personen.
Umbau zum Kabinenschiff
Von 1962 bis 1964 wurde das Schiff auf der Schiffswerft Georg Placke in Aken an Elbe verlängert und zum Kabinenschiff umgebaut: Die Abmessungen betrugen jetzt 67,26 Meter Länge bei einer Breite von 8,22 Metern und einem Tiefgang von 1,42 Metern. Als Antrieb erhielt das Schiff jetzt einen Dieselmotor des VEB Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht“ aus Magdeburg vom Typ SKL 8 NVD 36A, der 420 PS leistete und eine Geschwindigkeit von 16,5 km/h ermöglichte. Das Schiff konnte 86 Passagiere befördern, die auf den beiden Decks in Zwei-, Drei- und Vierbettkabinen untergebracht waren. Neben dem Einsatz auf den ostdeutschen Binnengewässern erhielt das Schiff auch die Zulassung zum Befahren des Greifswalder Boddens und der Binnengewässer um die Insel Rügen.
Werdegang
1906 von der Berliner Reederei Heinrich Nobiling als Leopold Wilhelm angekauft, wurde das Schiff 1912 in Wintermärchen umbenannt, der 1925 in Wintermärchen II und ab 1937 wieder in Wintermärchen geändert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schiff 1949 von den ostdeutschen Behörden der DSU Personenschifffahrt in Berlin zugewiesen, die es an die VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe weitergab und dort 1959 den Namen Spree erhielt.
Nach dem Umbau von 1962 bis 1964 schrieb die Spree Schifffahrtsgeschichte, da sie das einzige Flusskreuzfahrtschiff der DDR wurde. In den ersten Monaten war die Spree zunächst in Berlin im Einsatz, bevor sie ab 1965 Flusskreuzfahrten unter der Flagge des FDGB zwischen Dresden und Prag durchführte. Ab 1970 war sie dann zwischen Potsdam und Magdeburg unterwegs und wechselte 1971 auf die Route zwischen Berlin und Stettin. Die Kreuzfahrten erfreuten sich großer Beliebtheit und das Schiff war durchgehend ausgebucht.
1982 wurde das Schiff ohne Begründung und ersatzlos von den Behörden außer Dienst gestellt. Nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 und Schließung der Grenzen war das Befahren der Gewässer an der polnischen Grenze nicht mehr möglich. Das Schiff wurde noch zwölf Jahre als Hotelschiff genutzt und sollte zu einem Binnenschifffahrtsmuseum umgebaut werden. Mit der Deutschen Wiedervereinigung zerschlugen sich diese Pläne, die Spree diente noch als Büro- und Lagerschiff in Fürstenwalde und wurde dort 1994 verschrottet.
Jürgen Saupe
Fotos: Sammlung JSA