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Wie der Untergang der Titanic

So ruhmreich wie sich die Sowjetunion sah, sollte die Mikhail Lermontov auf den Weltmeeren unterwegs sein. Doch schon nach 15 Jahren gingen Schiff und Ruhm durch menschliches Versagen unter.

In den Ländern des Sozialismus galt einst die Planwirtschaft, es gab Fünf-Jahres-Pläne und andere, denen strikt zu folgen war. Das hatte auch Konsequenzen für den Schiffbau, die Baureihen waren fast alle gleich. So auch bei der Mikhail Lermontov, die am 31. Dezember 1970 bei der VEB Mathias-Thesen-Werft (heute MV Werften) in Wismar vom Stapel lief. Als letzte Einheit einer Serie von fünf Schwesterschiffen, zu der auch die Alexandr Pushkin, Ivan Franko, Shota Rustaveli und Taras Shevchenko gehören.

Foto: Sammlung JSA

Die Baltic Shipping Company in Leningrad hatte den Wismarern den Auftrag gegeben, das Schiff zu erstellen, das wie die übrigen Schiffe der Serie, den Namen eines Schriftstellers erhielt. Die selbsternannte ruhmreiche Sowjetunion schickte ihre Geistesgrößen auf die Ozeane. Mikhail Jurjewitsch Lermontow war 1814 in Moskau geboren, er galt wie Alexandr Pushkin als einer der wichtigen Vertreter russisch-romantischer Literatur. Er verurteilte schon als junger Mann die Leibeigenschaft der Bauern auf den Gütern und als Husar lehnte er sich gegen den Krieg des russischen Zarenreiches mit dem Kaukasus auf, wohin er verbannt worden war. Er starb früh, 1841, bei einem Duell, aber seine Biografie machte ihn im sozialistischen Staat zu einem Helden. Die anderen Schiffe der „Poeten“-Klasse wurden alle auf Namen russischer, ukrainischer und georgischer Dichter benannt.

Die Mikhail Lermontov war ein großes Passagierschiff, in der DDR gebaut unter der Werftnummer 129, aber nach sowjetischen Vorgaben. Den Auftraggebern war es wichtig, dass das Schiff zu den Ozeankreuzern gezählt wurde, die in den 1970-er Jahren als riesig galten und unübersehbar sind. Das zur Ivan-Franko-Klasse gehörende Schiff war 175,77 Meter lang, 23,60 Meter breit und wies bei einer Seitenhöhe von 13,5 Metern einen Tiefgang von 7,8 m auf. Der Heimathafen war Leningrad, das Schiff fuhr bis zu seinem Ende unter der Flagge der Sowjetunion. Die Übernahme durch den Eigner hatte am 18. März 1972 stattgefunden, die Indienststellung am 21. April desselben Jahres.

Die Maschinenanlage bestand aus zwei Cegielski-Sulzer 7-Zylinder-Dieselmotoren des Typs RD76, die auf zwei Propellern arbeiteten. Die Maschinenleistung wurde mit 15.666 kW (21.300 PS), die Dienstgeschwindigkeit mit 20 kn (37 km/h) und der Aktionsradius mit 8000 sm angegeben. Die Vermessung wurde mit 19.872 BRT (10.613 NRT) und die Tragfähigkeit mit 6007 tdw angegeben. Die Besatzung bestand aus 347 Mitgliedern, 750 Passagiere waren an Bord zugelassen.

Foto: Jürgen Saupe

Nachdem die Lermontov im Dienst war, pendelte sie vom Herbst 1972 an bis zum Mai 1973 zunächst zwischen Bremerhaven und den Kanaren, danach auf der Transatlantiklinie Bremerhaven – Montreal. Erst im zweiten Halbjahr 1973 kam sie erstmals nach Leningrad, danach ging es nach London, Le Havre und New York. Bis 1980 war es ein Kreuzfahrtschiff auf mehreren Touren, dann auf Fahrten von Leningrad nach New York. Weil die frühen 1980er Jahre von den feindlichen Gegnern zum Höhepunkt des Kalten Krieges stilisiert worden waren, erlaubten die USA dem Schiff mit dem markanten Rumpf nicht mehr weitere Hafenanläufe. In der ersten Jahreshälfte 1982 kam es in die Bremerhavener Lloyd Werft, wo es umfangreich überholt wurde. Danach wurde es zu weltweiten Kreuzfahrten eingesetzt.

Man darf nicht glauben, dass auf einem Schiff wie diesem gewöhnliche Passagiere untergebracht wurden. Das Motorschiff war der sowjetischen Elite vorbehalten, es war kaum im Bereich des großen Landes von der Ostsee bis zum Pazifik unterwegs. Die Bevölkerung wusste zum allergrößten Teil nicht einmal, dass Passagier- und Kreuzfahrtschiffe unter dem Symbol ihres Staates Menschen im Kapitalismus über die Wellen der Ozeane trugen. Die Lermontov sollte, wie die anderen Schiffe der Serie, Devisen erwirtschaften, weshalb sie auch in den Charterdienst westlicher Kreuzfahrtveranstalter gestellt wurde.

Dennoch war das Schiff nicht luxuriös. Es hatte Standardkabinen von zehn bis zwölf Quadratmetern, weshalb die Betten nicht als Doppelbetten zusammengestellt werden konnten. Es gab einen Musiksaal, eine Bibliothek, zwei Restaurants der Mittelklasse mit vorwiegend russischer Küche, Lebensmittelgeschäft und Fitnessstudio. Für die künstlerischen Veranstaltungen wurden großteils Amateure aus der Schiffsmannschaft rekrutiert, Reinigungspersonal, Kellner etc. Später mussten westliche Profi-Entertainer engagiert werden, weil das vom anspruchsvollen Publikum erwartet wurde.

Das Auffälligste waren die Galauniformen von Kapitän, Offizieren und dem Personal. Experten vermuteten, dass die Lermontov sozusagen im diplomatischen Dienst war, mit dem Schiff sollte der sowjetische Lebensstil im Westen vorgeführt werden. Kreuzfahrt als Propaganda.

Mitte der 1980er Jahre war das Schiff nicht mehr in gutem Zustand. Der Eigner hatte es nicht sanieren lassen, Schlendrian tat das Übrige, um es den Passagieren schwer zu machen. Auch kam es zu Kursänderungen und anderen Unzulässigkeiten, wie sie in der modernen Schifffahrt unüblich waren. Erst recht, nachdem der 48jährige Ablösekapitän W. Worobjow im Winter 1986 das Kommando übernommen hatte. Unter seiner Führung kam es zu katastrophalen Zuständen, bis das Schiff in einem Strudel aus weißer Gischt im Südpazifik verschwand.

Foto: Sammlung JSA

Am 16. Februar befand sich die Lermontov auf einer elftägigen Kreuzfahrt für den Kreuzfahrtanbieter CTC in den Gewässern Neuseelands. Sie hatte 348 Besatzungsmitglieder und 372 vorwiegend australische Passagiere an Bord. Von Picton aus war der geplante Kurs aufgenommen worden, die 460 Meter breite Passage bei Cape Jackson sollte nach Entscheidung des Lotsen durchfahren werden, um den Gästen ein attraktives Panorama zu bieten. Aber es gab Ärger unter den Männern auf der Brücke. Der wachhabende Erste Offizier und der Lotse Donald Jamison – er war zugleich Hafenkapitän von Picton – konnten sich nicht über den Kurs einigen, also nahm Kapitän Worobjow, der zwischenzeitlich die Brücke des inzwischen außerhalb des lotspflichtigen Bereiches befindlichen Schiffes verlassen hatte, kurzerhand dem Lotsen das Ruder aus der Hand. Wenige Minuten später (um 17.37 Uhr bei einer Geschwindigkeit von ca. 15 kn), so berichtete der Schlagzeuger Bob Wadkin, kam „ein schreckliches Knirschen“ aus dem Schiffsrumpf – die Lermontov war auf einen Unterwasserfelsen gelaufen, der mit ihrer Backbordseite in 5,5 m unterhalb der Wasserlinie getroffen wurde.

Von Worobjow kamen nur wirre oder keine Anweisungen. 18.03 Uhr funkte er SOS, in der Nähe befand sich der Flüssiggas (LPG)-Tanker Tarihiko, der Nothilfe leisten wollte. Aber der Kapitän wehrte die Japaner ab, während sein Schiff schon starke Schlagseite hatte. Das Leck im Schiffsbauch ließ den Maschinenraum absaufen, die Maschinen fielen aus. 21.30 Uhr sah man die Lermontov steuerlos durch die See driften. Jetzt erst kam der Räumungsbefehl, viele der älteren Passagiere verstanden ihn allerdings nicht, weil die Sowjetmatrosen nicht des Englischen mächtig waren. Die Rettungsgeräte waren kaum zu gebrauchen, die Rettungsboote konnten nur mühsam zu Wasser gebracht werden. Sie sollen, hat man später festgestellt, vier Jahre lang nicht mehr inspiziert worden sein. Die Boote waren verrottet, die aufblasbaren Gummiflöße leck, die Signalpfeifen kaputt und die Notlicht-Glühbirnen in den Schwimmwesten glühten nicht.

Foto: Sammlung JSA

Das Glück der Passagiere war, dass die Tarahiko und das Fährschiff Arahura Passagiere und Besatzung aufnehmen konnten. Als die Mikhail Lermontov vier Stunden und 50 Minuten nach der Grundberührung und 20 Minuten nach Abbergung des letzten Passagiers um 22.45 Uhr sank, zog sie ein Besatzungsmitglied, den 33jährigen Schiffsingenieur Pavel Zagladimov, mit in die Tiefe, elf Personen wurden verletzt. Die Geretteten brachte man an den Tagen darauf mit Flugzeugen in ihre Heimatländer.

Bestraft von den sowjetischen Behörden nur der Erste Offizier Sergej Stepanischtschew: vier Jahre Haft auf Bewährung und 20.000 Rubel. Zwischen den Russen und den Neuseeländern wurde eine außergerichtliche Schadenseinigung getroffen.

Das Schiffswrack liegt seither auf der Steuerbordseite in 38 Meter Tiefe bei Gannet Point, es avancierte nach einiger Zeit zu einem beliebten Ort für Sporttaucher.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer