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Wie ein Hollywood-Thriller

Als die Passagiere ihr Kreuzfahrtschiff vor Piraten gerettet haben. Die Melody hat 31 Jahre die Meere befahren.

„Es war wie im Krieg“, prahlte der italienische Kapitän der MSC Melody, Ciro Pinto. Das war 2009, der erfahrene Seemann hatte mit Hilfe einiger seiner aufmerksamen Passagiere einen Piratenangriff abwehren können. Gegenüber den Medien gab er sich cool, dabei waren es vor allem glückliche Umstände, die ihm zu Hilfe kamen.

Eine Passagierin hatte instinktiv über die Reling geschaut und im Halbdunkel ein kleines Schiff mit bewaffneten Männern entdeckt; einer von ihnen machte sich gerade daran, an einem Seil auf das Kreuzfahrtschiff zu klettern. Sie rief um Hilfe, Mitreisende, die sich auf dem Achterdeck befanden, stürmten daraufhin sofort ans Heck und warfen spontan Liegestühle und Tische auf die Eroberungswilligen.

Das, wurde später von Experten analysiert, war der wichtigste Vorgang, er hat das Kidnapping verhindert. Der Pirat am Seil wurde getroffen und stürzte in die Tiefe. Daraufhin eröffneten seine fünf Kumpane das Feuer. Drei Salven wurden abgefeuert, aber die Passagiere warfen weiter Mobiliar auf die Angreifer, ein Passagier wurde von einem Schuss ins Bein getroffen, Kugeln flogen an den Köpfen anderer vorüber. Mehrere Schüsse wurden auf Fenster eines Salons geballert, in dem Passagiere gerade einem Klassikkonzert lauschten. Das planlose Schießen der Piraten hätte mehrere Menschen töten können, Fensterglas zerbarst und es brach Panik aus.

Erst nach sechs bis acht Minuten zeigten sich bewaffnete Sicherheitsleute, die für die Passage der gefährdeten Region angeheuert worden waren. Da hatten die Piraten schon ihr Schnellboot abgedreht und verschwanden im Dunkel des Meeres.

Am Abend davor hatte Ciro Pinto an der Bar gehockt und mit Gästen aus Südafrika geplaudert. Das Schiff befand sich auf einer Positionierungsreise von Durban nach Genua ca. 300 km vor den Seychellen und etwa 1000 Seemeilen von der Küste Somalias entfernt im Indischen Ozean. Hier würde es keine Seeräuber mehr geben, meinte der Kapitän, als das Gespräch auf die Gangster kam. Noch während er in guter Laune beim Drink sprach, sprangen zwei Passagiere in die Bar und gaben an, Piraten befänden sich am Heck des Schiffes. Sie seien militärisch ausgerüstet und wollten ganz offenkundig das Kreuzfahrtschiff entern.

In diesem Moment knallten die ersten Schüsse. Pinto begab sich zwar wie ein Sprinter auf die Brücke, konnte aber nur unter Mühen die Crew mit einem Alarmcode in Stellung bringen. Er gab Anweisung, die 600 Passagiere sollten sich sofort unter Deck begeben. Der Kapitän öffnete umständlich einen Tresor und verteilte an seine Sicherheitsleute Pistolen. Nebenher befahl er dem Steuermann, das große Schiff auf Zickzack-Kurs zu bewegen, um die Angreifer durch die sich aufbauenden Wellen zu irritieren. Zugleich feuerten die Wachleute Warnschüsse in die Luft. Viel zu spät, wie danach festgestellt wurde. Hätten die Passagiere nicht das Bombardement mit allem, was sie in die Hände bekamen, begonnen, wären die Seeräuber sehr wahrscheinlich an Bord gelangt.

Atlantic, Foto: Jürgen Saupe

Die Crew sei von der Situation völlig überfordert gewesen und habe nicht angemessen reagiert, hieß es von Passagieren. Dennoch ließ sich Ciro Pinto von der Presse als Held feiern. Ihm wurde vorgeworfen, in dem gefährlichen Gewässer keine Nachtwachen aufgestellt zu haben. Dann wäre durch Radar-Meldung die Annäherung des Piratenboots frühzeitig erfasst worden. Pinto ließ sämtliche Vorwürfe an sich abprallen. Die Operation Atlanta verfolgte die Seeräuber, sie wurden am 27. April 2009 von der spanischen Fregatte Numancia gefasst und den Behörden auf den Seychellen überstellt.

Die MSC Melody trug diesen Namen erst seit 1997, zuvor hieß das für die italienischen Home Lines erbaute Schiff Atlantic. Bei späteren Eignerwechseln erhielt es noch verschiedene andere Namen.

Es war am 9. Januar 1981 bei der französischen Werft CNIM in La Seyne-sur-Mer als Baunummer 1432 vom Stapel gelaufen und am 14. April 1982 von den Home Lines als Atlantic in Dienst gestellt worden. Die Baukosten beliefen sich auf 100 Millionen US-Dollar.

Nach der Auflösung der von der Holland Amerika Line übernommenen Reederei 1988 kam das Schiff auf den Verkaufsmarkt. Im selben Jahr übernahm die US-amerikanische Reederei Premier Cruises die Atlantic, benannte sie um in StarShip Atlantic und nutzte sie für Kreuzfahrten in der Karibik. Das Schiff mit dem Heimathafen Nassau auf den Bahamas war viele Jahre zu erkennen auf den Meeren, weil ein Teil des Rumpfes in einem auffallenden Rot gestrichen worden war.

Foto: enapress.com

Im Mai 1997 verkauften die Amerikaner die StarShip Atlantic an die Schweizer Westria Holding, die es in ihre Tochtergesellschaft MSC Crociere eingliederte. Die neuen Eigner ließen das Schiff in Dublin überarbeiten, nach der Modernisierung erhielt es den Namen Melody und fuhr unter der Flagge Panamas. Das Schiff wurde zumeist im Mittelmeer eingesetzt, es gab auch Seereisen ins Schwarze Meer, nach Südafrika und Mauritius. Zwar wurde es ab 2004 als MSC Melody vermarktet, doch blieb der offiziell im Schiffsregister eingetragene Name Melody bis zum Ausscheiden aus der MSC Cruises–Flotte unverändert erhalten.

Das seinerzeit größte Schiff von MSC Crociere war knapp 205 Meter lang, 27,36 Meter breit, seine Seitenhöhe betrug 29 Meter. Der Tiefgang lag bei 7,8 Metern, vermessen wurde der 4514 t tragende Ozeanriese mit 35.143 BRZ. Angetrieben wurde die Melody von zwei 10-Zylinder-GMT-Fiat-Schiffsdieselmotoren über zwei Verstellpropeller. Die Maschinenleistung lag bei 22.380 kW (30.428 PS), die Höchstgeschwindigkeit bei 23 kn (43 km/h) und die Dienstgeschwindigkeit bei 19 kn (35 km/h). 1076 Passagiere waren zugelassen, zudem befanden sich um die 535 Besatzungsmitglieder an Bord.

Foto: Archiv Udo Horn

Die Ausstattung war klassisch, exklusiv und großzügig, zugleich familiär und gemütlich. Etwas Besonderes war der Magrodome, das Glasschiebedach über dem Pool, der den Wetterbedingungen angepasst werden konnte. Die Kabinen waren auf 2-Bett-Belegung eingestellt und komfortabel ausgestattet, neben sechs exklusiven Suiten gab es auch 72 Minisuiten, insgesamt 303 Außen- und 151 Innenkabinen. Drei Restaurants warteten auf ihre Besucher, für Freizeit und Unterhaltung standen Theater, Kino und die Starlight Disco zur Verfügung. Es war Platz für Aktivitäten des schiffseigenen Fitness- und Wellness-Centers, wie Yoga, Massagen, Sauna und Beauty. Zudem eine klassische Bibliothek mit Lesezimmer. Für Kinder gab es den Club „Plutos Play House“. Das Schiff hatte zahlreiche Stammgäste, die mit ihm häufig in See stechen wollten.

Qing, Foto: Sammlung JSA

Nach 31 Jahren wurde die MSC Melody außer Dienst gestellt, das geschah im Januar 2013, man legte sie in Neapel auf. Es schien so, als hätte das Schiff ausgedient, aber im November desselben Jahres kam es zu einem weiteren Verkauf und Überführung nach Indien. Dort wollte es der neue Eigner, die multinationale Gruppe Sahara India Pariwar, unter indischer Flagge und dem neuen Namen Quing in Dienst stellen, geplant waren Kurzkreuzfahrten als schwimmendes Casino. Die Behörden genehmigten allerdings nicht die Planung, indem sie keine Lizenz für das Casino erteilten. Nach der Absage lag das Schiff an der West India Shipyard in Mormugao auf. Ende Juni 2017 kam es möglicherweise durch starken Monsunregen zu einem Wassereinbruch und nachfolgender Teilabsenkung auf den achteinhalb Meter tiefen Hafengrund. Wenig später konnte es zunächst stabilisiert und im Juni 2018 von einer Bergungsfirma gehoben werden. Da die Eigner offensichtlich jegliches Interesse verloren hatten und sich nicht um das Schiff kümmerten, wurde versucht, es zu versteigern. Da sich keine Reederei fand, die das Schiff kaufen wollte, beantragte die Hafenbehörde von Mormugao, es zum Wrack zu erklären, um es entfernen und verschrotten zu können. Nachdem der Verkauf zum Abbruch schließlich gelang, konnte das Schiff Mitte 2019 nach Alang verschleppt und dort zur Verschrottung auf den Strand gesetzt werden.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer