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Nicht nur Bananen sind krumm…

Zu meckern hatte er immer etwas, der „master next god“: Zum Beispiel wenn er morgens längs Deck stolzierte, in flatterndem seidenen Morgenmantel, der feine Herr, und mit dampfender Pfeife zwischen den Zähnen. Erspähten seine unerbittlichen Adleraugen ein Streichholz im Wassergraben, packte mich seine gepflegte Rechte am Genick und drückte „Moses“ Peer Schmidt-Walther zum Aufsammeln in die Knie: „Herr“, so war seine Anrede, weil er die Namen von uns Decksknechten nicht lernen wollte, „hebbt se dat Striekholt nich sehn?!“

Bevor wir auf Kurs Panama-Kanal gingen, wurde Curaçao angelaufen, manchmal auch erst auf der Heimreise. Die steppenähnlich karge Insel der Niederländischen Antillen war regelmäßig Bunkerstation – nicht nur des preiswerten Schweröls wegen, wie wir später heraus bekamen.
Manchmal ging ‘s hier Schlag auf Schlag, so wie auf dieser Reise anno ‘62. Einer vergaß doch einfach, ein Ventil zuzudrehen, so dass unser schöner weißer Bananendampfer mit klebrig-schwarzem Öl „geduscht“ wurde. Das Überlaufrohr zog sich am Vormast hoch, und von oben herab rieselte der Overflower erbarmungslos an Deck. Eine „schöne Bescherung“! Nichts da mit Landgang in Willemstad, dem verlockenden Kolonialstädtchen im Holland-Stil. Statt dessen Sägemehl streuen wie in einer Zirkusmanege, um das Öl zu binden, anschließend stundenlanges Großreinschiff. Oder in sengender Hitze außenbords Malen mit Rollen an meterlangen Stangen. Das ging in die Arme, das blendende Weiß in die Augen: schneeblind in der Karibik – Sachen gab ‘s!

Fiete-Quark-Line
Auch das: Beim Verholen rutschte die tight gespannte Leine über den ölglatten Spillkopf, der Mann dahinter wurde regelrecht in die Luft geschleudert. An Deck dann eine harte Landung mit Knochenbrüchen und anschließendem Inselkrankenhausaufenthalt. Glück gehabt!
Und der Alte meckerte weiter. Bis ein paar Matrosen den Kanal voll hatten und statt nur weißer auch schwarze Farbe mit auf die Pier nahmen. Bald konnte es jeder an der Bordwand ablesen, welcher LINE wir angehörten: nämlich der FIETE-QUARK-LINE, benannt nach unserem „tollen“ Kapitän. Zur Gitarre wurde ein Song improvisiert und alle fielen ein: „Fiete Quark, Quark, Quark – das macht uns alle stark, stark, stark …“ Der Alte tobte, und er heuerte eine Malergang von Land an, die die Spuren seiner Schande überpinseln mussten; wir weigerten uns. „Meuterei!!!“ war denn auch seine wutentbrannte „quarkige“ Rede.
Ankern vor Cristóbal, Panama, denn der Kanal war dicht. Chance für ein Rettungsbootmanöver – nach langer Zeit mal wieder. Also zu Wasser damit! Doch wer dachte schon daran, dass sich das Holz in Folge Dauertrockenheit zusammen gezogen hatte. Die Boote liefen denn auch langsam voll, und wir auf den Duchten bekamen nasse Füße. Also wieder aus dem Wasser. Per Riemen ließen sie sich nicht mehr bewegen, so schwer waren die Boote geworden. „Hiev op!“ Wir waren gerettet, und „Fiete Quark“ als sauberer Kapitän hatte wieder mal das Nachsehen.

Kapitäns Rache
Er sann auf Rache, und die war in Gestalt der Taufe am Äquator fällig. Aber wer hatte schon, um dem gefürchteten Akt zu entgehen, seine Taufurkunde von irgend einer früheren Reise dabei? Ein paar von Fietes „Getreuen“ – wir sagten „Abtrünnige“ und Schlimmeres – nahmen uns „Meuterer“ hart ran. Er amüsierte sich Pfeife schmauchend vom Bootsdeck aus, was mit uns auf und vor Luke 2 veranstaltet wurde. Nebel und nur +18 Grad Lufttemperatur ließen uns klappern, denn der kalte Humboldtstrom vor der kolumbianischen Küste hatte kein Erbarmen mit uns. Ein Ekel erregendes Gemisch aus Herings-Rizinusöl und Tabasco-Cognac-Sauce im Magen, Menninge in den Haaren und Schmieröl auf der Haut passierten wir die „Linie“. Am nächsten Tag sollte Einlaufen in Guayaquil, unserem Bananen-Ladehafen in Ecuador, sein – aber in dem Aufzug? Das hartnäckige Zeug ließ sich nur in stundenlanger und schmerzhafter Reinigungsprozedur von der Haut und aus den Haaren schrubben. Fietes Rache, die war ihm süß und gelungen! ….

Fotos: Peer Schmidt-Walther

Die „Gräfin“ beim König von Tonga

Als Reiseleiterin hat Renate Höhne in den 1970er Jahren die Anfänge und goldenen Zeiten der sowjetischen Schiffe TARAS SHEVCHENKO, IVAN FRANKO und MAXIM GORKIY miterlebt und auch auf den italienischen Kreuzern ITALIA und IRPINIA angeheuert. Im Gespräch mit Christofer Knaak erzählt die heute 73-Jährige von der Arbeit auf See, der ersten Weltreise und einem Besuch beim König von Tonga.

Als sie im März 1972 einen Anruf mit dem geänderten Einsatzort ihres ersten Reiseleiter-Jobs erhält ist Renate Graf, heute Höhne, verdutzt. Nicht, wie angekündigt, Teneriffa – für das sie extra ihre Spanisch-Sprachkenntnisse verfeinert hatte – sondern TARAS SHEVCHENKO teilte ihr Neckermann und Reisen (NUR) als Ziel mit. „Mein erster Gedanke war: Wo liegt das denn“, erinnert sich Höhne. In Las Palmas – und es sei ein Kreuzfahrtschiff, klärte der Reiseveranstalter sie auf.
Also flog die damals 26-Jährige, die bis dato ein Hotel im Schwarzwald geleitet hatte, auf die Kanareninsel und ging an Bord des Kreuzfahrtschiffes der sowjetischen Black Sea Shipping Company mit Sitz in Odessa. Heute ist die Region aufgrund des geopolitischen Klimas weitestgehend tabu für Touristen.

An Bord herrschte zunächst ein raues Klima. Die angestammten Reiseleiter-Kollegen sahen durch die Neue ihren anteiligen Lohn aus dem Verkauf von Landausflügen schwinden. Und bei Graf, die wie die Jungfrau zum Kinde zur Kreuzfahrt gekommen war, schwand die erste Euphorie. Das Heimweh und die Panik vor Seekrankheit hingegen nahmen zu. „Ich habe lange prophylaktisch Reisetabletten eingenommen. Später konnte der Seegang sein wie er wollte, es machte mir nichts aus.“
Das Arbeiten in einem schwimmenden Hotel fiel Graf dennoch schwer, denn die Bedingungen waren anders als an Land: „Das Tagesprogramm mussten wir noch mit Schreibmaschine tippen und die Matrize abziehen. Das war bei Seegang nicht immer einfach.“ Mit dem Journalisten, der die Bordzeitung verfasste, lernte Renate Graf nach Dienstschluss Russisch. Ihre Fremdsprachenkenntnisse waren unverzichtbar und sollten ihren Aufgaben- und Verantwortungsbereich schnell erweitern. Die Deutsche übersetzte unter anderem die Speisekarten, stellte mit dem Küchenchef die Menüs und Galadinner zusammen, arrangierte Geburtstagspartys für Passagiere, betreute die VIPs und Bewohner der wenigen so genannten Luxuskabinen.

„Wir haben damals viel improvisiert“
Graf – von ihren Kollegen „Gräfin“ genannt – profitierte überdies von ihrer Serviceerfahrung aus der Hotellerie an Land. Anders als die meisten Crewmitglieder. „Viele hatten nie zuvor im Service gearbeitet“, sagt Höhne. „Die Reederei hatte zum Teil sogar Akademiker angeheuert und junge Frauen, die in Russland Familie hatten und deshalb keinen Gedanken an einen Fluchtversuch verschwenden würden.“ Das Resultat war „russischer Schleuderservice“, wie Renate Höhne es formuliert. „Wir haben damals viel improvisiert. Die Gäste waren aber sehr tolerant.“ Sie hat dann das Service-Personal geschult.
Die Arbeit an Bord der Sowjetschiffe wurde unter Argusaugen verrichtet. „Alles wurde abgehört, und immer war ein Politoffizier mit an Bord“, berichtet Höhne.
Und ein Zahnarzt! „Ärztliche und zahnärztliche Behandlungen an Bord von Kreuzfahrtschiffen waren damals kostenlos. Nicht wenige der Passagiere haben damals zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Urlaub gemacht und sich die Zähne richten lassen.“
Die Eindrücke im ersten Jahr auf See waren mannigfaltig. So schreibt sie im Frühjahr 1972 in einem Brief in die Heimat von ihrer ersten Begegnung mit Kariben: „Unten am Hafen stehen Indios und Neger mit ausgestopften Krokodilen für drei Dollar das Stück.“ Fremde Kulturen, unbekannte Länder – Renate Höhne ist fasziniert vom Reisen über die Meere. Von der TARAS SHEVCHENKO wechselt sie auf die IVAN FRANKO, ebenfalls ein Schiff der Black Sea Shipping Company und ebenfalls mit Heimathafen Odessa….

Fotos: Privat, Jürgen Saupe

Kreuzfahrt mit Hammer und Sichel

Bei der Ivan Franko handelte es sich um das Typ-Schiff der aus fünf Einheiten bestehenden Serie, die von 1964 bis 1972 auf der MTW-Werft in Wismar entstanden. Diesen „Sowjet-Liner“ suchte sich Jürgen Saupe aus, um mit einem der damals größten Passagierschiffe der UdSSR in der Karibik zu kreuzen.

In den 70er Jahren war Neckermann ein großer Anbieter von Kreuzfahrten, überwiegend im unteren Preissegment. Die unter dieser Veranstalterflagge fahrenden sowjetischen Kreuzfahrtschiffe waren allesamt in Vollcharter des Unternehmens. Somit konnte der Veranstalter Bordleben, Unterhaltung und die Ausflüge bestimmen. Nicht nur damals war es wichtig, an Bord ein starkes Bindeglied zwischen Fahrgästen und Schiffsführung zu haben, denn das Wort Servicebereitschaft war seinerzeit bei den Russen oft noch ein Fremdwort und nicht selten wurden auch die kleinsten Wünsche eines Gastes einfach ignoriert, da die Erfüllung ja mit zusätzlicher Arbeit des Schiffspersonals verbunden waren. Dazu konnte sogar das Auswechseln einer kaputten Glühbirne in der Kabine zählen. Manchmal passierte auch für den Rest der Reise überhaupt nichts. So war das freundliche Neckermann-Team an Bord stets gefordert.

Die Ivan Franko gehörte zu ihrer Zeit mit rund 20 000 BRT (der damaligen Vermessungseinheit) zu den großen Kreuzfahrtschiffen, sicher auch ein Grund für ihre Beliebtheit. Da jeweils nur bis zu rund 650 Passagiere an Bord waren, gab es reichlich Bewegungsfreiheit auf den großen Sonnendecks sowie in den öffentlichen Räumen. Einzige Ausnahme: der Musiksalon. Dieser war ursprünglich nur für nur 180 Gäste (bei Linienfahrten) konzipiert, wurde später aber bei allen Schiffen dieser Serie aufgrund des überwiegenden Einsatzes für Kreuzfahrten erheblich vergrößert, so dass hier schließlich bis zu rund 500 Passagiere Platz fanden. Bei einem „Ferienliner“ durchaus nicht üblich, verfügten die Schiffe dieser Serie jedoch sowohl über einen Swimmingpool auf dem Sonnendeck als auch über einen überdachten Pool mit großen Fenstern, dessen Dach sich anfangs bei allen, später nur noch bei einigen dieser Schiffe öffnen ließ. Es gab ein kleines Bordkino, in dem allerdings mehr sowjetische Dokumentarfilme als westliche Kinoerfolge gezeigt wurden.

Die Kabinen allerdings waren selbst für damalige Verhältnisse gewöhnungsbedürftig. Ein Großteil hatte keine Nasszellen, Duschen und Toiletten befanden sich in aber ausreichender Zahl auf den Gängen. Auch die Einrichtung war einfach – ohne Teppichboden und mit Resopal-Möbeln. Einigen westlichen Touristen, die Erfahrung von anderen, besseren und auch teureren Kreuzfahrtschiffen mitbrachten, trösteten sich darüber allabendlich an den Bars bei aus heutiger Sicht „spottbilligen“ Getränken hinweg.

Kulinarisches

Nach heutigem Standard würden die kulinarische Qualität, Präsentation und der Service sicher schlicht die Schulnote 5–6 bekommen. Doch damals waren nur wenige kritische Stimmen zu hören, was sicher auch an den extrem niedrigen Fahrpreisen lag, die viele manch „katastrophale“ Mahlzeit still ertragen ließen. Die „Rettung“ nahte in den angelaufenen Häfen. Zahlreiche Passagiere gingen an Land essen. Zwar waren Auswahl und Reichhaltigkeit der Mahlzeiten durchaus in Ordnung, doch die Qualität der Speisen, die Teller-Präsentation und der Service der Stewardessen und Stewards ließ oft zu wünschen übrig. So war es zum Beispiel auf sowjetischen Schiffen üblich, immer im „Dreier-Kollektiv“ zu servieren. Beim Hauptgang trug so die Stewardess ein Tablett mit dem Fleisch, eins mit Gemüse und eins mit den Kartoffeln zu den Tischen ihrer Station. Jedem einzelnen Gast wurde vorgelegt. So konnte der Gast zwar Menge und Zusammenstellung individuell bestimmen, aber: War eine Gemüsesorte bei den Passagieren, die zuvor bedient wurden, ein „Renner“, mussten die später bedienten Gäste nehmen, was noch auf den Platten lag. Beim Fleisch dagegen hatten die, die „in der Mitte“ an der Reihe waren, die besten Karten. Denn zu Beginn war die Stewardess noch etwas „ängstlich“ bei der Bemessung der Menge pro Gast – und zum Schluss war meist nicht mehr viel da…..

Fotos: Jürgen Saupe