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“Captain Arctic” – Eine Vision gewinnt Kontur

Mit der Kraft des Windes und der Energie der Sonne emissionsfrei auf Polarkurs gehen – das war und ist die Vision von Sophie Galvagnon. Zur Realisierung gründete sie nach zehnjähriger Erfahrung in der Arktisfahrt – u.a. als jüngste Kapitänin und Eislotsin in der Polarfahrt – gemeinsam mit zwei Partnerinnen im Oktober letzten Jahres die im bretonischen Lorient registrierte und mit Hauptsitz in Marseille ansässige Firma Selar. Jetzt hat der erste von ihr initiierte Neubau erstmals Wasser unter dem Kiel.

Die erste knapp 3.000 sm lange Reise hat das eisgängige Expeditions-Segelkreuzfahrtschiff mit dem programmatischen Namen Captain Arctic bereits problemlos absolviert, allerdings als Kasko und Anhang des unter Panama-Flagge betriebenen 466-BRZ-Schleppers Neptune Mariner I. Er hatte den Rumpf des bereits im Mai 2024 bei der auf Mauritius ansässigen Werft Chantier Naval de l’Ocean Indien (CNOI) bestellten und in deren Unterauftrag am 22. November des gleichen Jahres beim Goltens-Werftbetrieb in Dubai auf Kiel gelegten innovativen Neubaus dort am 5. Oktober dieses Jahres auf den Haken genommen und nach seiner Verschleppung am 4. November zur Komplettierung bei CNOI in Port Louis abgeliefert.

Ablieferung im August 2026 geplant

Bei dem im August 2026 zur Ablieferung kommenden Neubau, der nach Ansicht von Experten durch Umsetzung verfügbarer grüner Technologien einen entscheidenden Schritt bei der Kombination von Innovation, Luxus und Umweltbewusstsein markieren und neue Maßstäbe setzen dürfte, handelt es sich um ein nach den Vorschriften und unter Aufsicht der französischen Klassifikationsgesellschaft Bureau Veritas in Bau befindliches Schiff mit einer Länge von 70 m, einer Breite von 13 m und einer Vermessung von ca. 2.700 BRZ.

Es wird mit einem Hybrid-elektrischen Antriebssystem ausgestattet, das auf Solarpaneele, Batteriepacks, zwei mit Holz-Pellets betriebene Heizkessel, Wärmerückgewinnung und Hydrogeneratoren zur Energiegewinnung während der Segelfahrt sowie einen für den Betrieb mit Biokraftstoffen (HVO) ausgelegten Back-up-Generatorsatz setzt. Mit dem Wind und Solarenergie für den Primärantrieb nutzenden Neubau sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Schiffen um bis zu 90 Prozent reduziert werden können. So sollen 90 Prozent des Energiebedarfs mit Hilfe von fünf jeweils 35 m hohen Aluminum-Flügelmasten generieren werden, die mit 2.000 qm Solarzellen bestückt sind. Die starren Segel können mit einem einfachen hydraulischen Kolbensystem eingeklappt werden, so dass Schiff auch unter Brücken hindurchfahren und bei schlechtem Wetter die Segelfläche reduzieren kann. Das Solarsegelsystem wurde von dem bretonischen Start-up Cormoran in Kooperation mit dem in Lorient ansässigen Konstruktionsbüro Ship-ST entwickelt und erhielt bereits 2023 die Grundzulassung (AiP) von Bureau Veritas.

In den 19 Kabinen, von denen eine behindertengerecht und auch für Rollstuhlfahrer zugänglich ist, können bis zu 36 Gäste untergebracht werden. Ihnen stehen auf dem auch als Plattform für Polarforschungsaufgaben nutzbaren Neubau u. a. eine Lounge, Bücherei, Sauna, Fitnessraum und ein Restaurant zur Verfügung. Die Besatzung soll max. 24 Personen umfassen. Das auf nachhaltige Materialien und Minimalismus setzende Innendesign wurde von Josephine Fossey entworfen, die u.a. auch für die Innengestaltung der Seabourn Venture verantwortlich zeichnet. Der die Vorschriften für die hohe Eisklasse PC 7 für den ganzjährigen Arktis-Einsatz erfüllende Neubau wird u.a. mit zero-speed-Stabilisatoren, geschützten Rudern mit Eischneidern sowie zwei 250 kW leistenden Bugstrahlern ausgerüstet und für die dynamische Positionierung ausgelegt. Die spezielle Bugform des u.a. über ein Boarding-Station für Tenderboote und Zodiacs am Heck verfügenden und mit einem Fächerecholot für bis zu 500 m Wassertiefe auszurüstenden Schiffes basiert auf einigen Eisbrecher-inspirierten-Merkmalen wie dem scharf abknickendem Winkelverlauf und die über die Vorschriften hinausgehenden Verstärkungen aus rostfreiem Stahl. Die beiden Antriebsmotoren mit einer Leistung von 1200 kW arbeiten über zwei Wellen auf zwei Verstellpropeller mit Eisverstärkung. Damit soll im reinen Motorbetrieb eine Geschwindigkeit von 11 kn erreicht werden. Bei ausreichenden Windverhältnissen und entsprechender Sonneneinstrahlung kann das u.a., Umkehrosmose-Anlage für die Frischwasser-Erzeugung aus Seewasser sowie Abwasserreinigungstanks für Grau- und Schwarzwasser verfügende Schiff nicht nur auf See nahezu emissions-, geräusch- und vibrationsfrei betrieben werden, sondern auch während der Hafenliegezeit ohne Landstrom auskommen, andernfalls wird dieser zur Ladung der Batteriepacks genutzt.

Selar-CEO Sophie Galvagnon

Für Selar-CEO Sophie Galvagnon ist der innovative Neubau, an dem sich neben französischen Geldgebern auch ausländische Private-Equity-Investoren wie z. B. die im schweizerischen Zug ansässige Limestone Capital AG beteiligt haben, „nicht nur eine Investition in nachhaltigen Tourismus, sondern auch ein Bekenntnis zum Erhalt der Naturwunder unserer Erde“.

Erste Expeditionsreisen bereits ausgebucht-starke Charter-Nachfrage

Die unter französischer Flagge mit Heimathafen Brest in Fahrt kommende Captain Arctic soll in der Arktis vorwiegend zu Reisen von Tromsø, Longyearbyen oder Ittoqqortoormiit eingesetzt werden. Wann die Taufe im Heimathafen Brest erfolgen wird und wer dabei als Taufpatin fungiert, steht noch nicht fest. Die in Tromsø beginnende siebentägige Jungfernreise vom 3. bis 10. Januar 2027 ist bereits ab 8.290 Euro pro Person buchbar. Ein Highlight des über die Lofoten führenden Trips ist die Zusammenarbeit mit und persönliche Anleitung der Gäste durch Arthur Guérin-Boëri, Weltrekordhalter im dynamischen Apnoe-Tauchen unter Eis. Bei der Vermarktung des Schiffes arbeitet Selar mit Veranstaltern wie u.a. Polar Tracks, Grands Espaces, Natural World Safari und Unwild Planet zusammen. Nach Angaben von Selar-CMO Sophie Valentin sind diverse Expeditionskreuzfahrten bereits voll ausgebucht und neben Privat-Events wurde eine große Anzahl von Charterkontrakten arrangiert. Auf dem Chartermarkt werden derzeit für den Neubau von Agenturen wie z. B. Pelorus Yachting mit Sitz in England Wochenraten zwischen 590.000 und 955.000 Euro aufgerufen. JPM

Fotos und Animationen: Selar