Links überspringen

Im Wasser gebaut

Venedig gehört zu den schönsten Städten der Welt, ist aber in Gefahr. Roland Mischke hat sich mit ihrem Schicksal befasst.

Die Lagunenstadt war für Künstler von jeher ein Schwarm. „Als ich nach Venedig fuhr“, so der Dichter Marcel Proust, „kam es mir unglaublich und dabei doch ganz einfach vor, dass mein Traum zu meiner Adresse geworden sein sollte.“ George Sand, Schriftstellerin und Gefährtin des Komponisten Frédéric Chopin, sagte: „Venedig war die Stadt meiner Träume, und alles was ich sah, übertraf meine Erwartungen.“

Dogenpalast und das Markuslöwen-Denkmal, Foto: enapress.com

Venedig bietet bis heute großes Kino, eine spektakuläre Schau voller reizvoller Anblicke. Wer es auf die Dachterrasse des Fondaco Dei Tedeschi, nahe zur Rialtobrücke, schafft und beim Rundumblick über den Canal Grande, die Basilica di San Marco und die Lagune dahinter betrachtet, wird das Bild nie vergessen.

Kleine Geschichte Venedigs

Venezia ist auf Pfählen und Stelzen gebaut, eine Stadt mit 400 Brücken und Kanälen, die vor Jahrhunderten entstanden. Sie besteht aus über hundert Inseln, die miteinander verbunden sind. Neben 150 Kanälen gibt es „Hauptstraßen“ auf dem Wasser in der Innenstadt, gesäumt von Prachtbauten und umgeben von der Lagune.

Erste Siedlungen reichen zurück in die Zeit der Etrusker, 700 vor Christus. Gründungsjahr war 421 nach Christus. Dogen, Vertreter der Amtsmacht mit richterlicher und militärischer Gewalt, begannen ab dem Jahr 697 „Anafesto“ bauen zu lassen, eine Verteidigungsanlage gegen die häufigen Angriffe. Venedig entwickelte sich so zur florierenden Handels- und Seemacht, im 11. Jahrhundert wurde es zur unabhängigen Republik. Aus dieser Zeit stammen die ältesten Häuser und Prachtbauten. Seither präsentiert die Stadt sich mit Gotik, Renaissance und Barock bis Rokoko.

Luftaufnahme von Venedig, Foto: enapress.com

Gebaut wurde auf matschigem Sandboden. Die Baumeister legten den Canal Grande ins ehemalige Bett der Brenta. Der Fluss bringt viel ton- und kieshaltige Sedimente aus den Alpen, das verdichtet den Schlick im Baugrund. Die Gebäude werden von je vier parallelen Mauern getragen, tragende Gerippe sind mit Holzbalken verklammert. Die kanalseitigen Fassaden ruhen auf Baumstämmen, zu drei Meter langen Pfählen geschlagen, die Zwischenräume mit Lehm gefüllt. So entstand ein einmaliges Konstrukt, ohne Kontakt mit der Luft ist Holz unbegrenzt haltbar.

Das Hochwassersystem Mose

MOSE-Animation.
Abbildung: Naeblys – stock.adobe.com

Venedigs Unterwasser-Bollwerk Mose verschlingt Milliarden Euro. Der Bau des Schleusensystems zog sich über Jahrzehnte, Korruptionsvorwürfe und Kostenanstieg kam dazu, ein Minister ging vier Jahre ins Gefängnis. Mose ist abgeleitet von Moses, der biblischen Figur, die einst durch Gottes Hilfe das Rote Meer solange trockenlegte, bis das Volk Israel zu seinem versprochenen Land gelangt war. Mose soll Lagune und Stadt vor Sturmfluten bewahren. 2019 wurden sie überschwemmt, eine Rekordflut von 1,90 Meter über Normalpegel. Das System versagte, die Stadt samt Markusplatz stand wochenlang unter Wasser. Mose besteht aus 78 Fluttoren, 30 Meter hoch, 20 Meter breit, fünf Meter dick, es soll den Zugang zur Lagune verschließen. In den letzten zwei Jahren wurden Überschwemmungen verhindert, die Venezianer trauen aber dem System nicht. Durch die Abriegelung gerät das Ökosystem in Not, es fehlt an Sauerstoff. Die Lagune um die Stadt wird zur Kloake.

Kreuzfahrt heute

Die ersten Passagiere betraten vor mehr als hundert Jahren das Deck eines Kreuzfahrtschiffs. Wann das erste Schiff mit Passagieren in Venedig anlegte, ist nicht bekannt. Ganz Norditalien erlebte seit Ende des 19. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen Niedergang, Venedig war verrottet. Unter der umfänglichen Stadtsanierung ab 1993 wurde die Stadt lebenswert. Wohnhäuser wurden restauriert, Kanäle gereinigt, der Hafen erneuert. Venedig war ein Anziehungspunkt, auch für die Kreuzfahrt. Für Passagiere war die Einfahrt ein Ereignis, für die Venezianer ein gutes Geschäft.

Wissenschaftliche Studien haben die komplette Route der Kreuzfahrtschiffe innerstädtisch bis zum Terminal am Giudecca-Kanal untersucht. Es ging um die Aspekte Overtourism, Schadstoffe, Schäden an Gebäuden, Schäden in der Lagune und optische Ein- und Ausfahrt der Schiffe. Venedig hat pro Jahr 30 Millionen Touristen, davon 1,6 Millionen Kreuzfahrt-Passagiere. Das Thema war in der Politik heftig umkämpft, nach mehreren Anläufen wurden die Kreuzfahrtschiffe (über 25000 BRZ oder 180 Metern Länge oder höher als 35 Meter) aus dem Herzen der Stadt verbannt.


Interviews zu Venedig und der Kreuzfahrtsituation vor Ort

Petra Reski, Foto: Paul Schirnhofer

Petra Reski

Inkompatibel mit Kreuzfahrt“

Petra Reski ist eine bekannte deutsche Schrift­stellerin und Journalistin, die seit vielen Jahren in Venedig lebt. Ihr letztes Buch: „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ erschien 2021.


Fulvio Lino Di Blasio,
Foto: North Adriatic Sea Port Authority

Fulvio Lino Di Blasio

Ideenwettbewerb für eine Lösung“

Fulvio Lino Di Blasio ist Präsident der Hafen­behörde der Nordadria und Sonderbeauftragter für Kreuzfahrten in Venedig.



Emre Sayin, Foto: enapress.com

Emre Sayin

Ein politisches Problem“

CEO Global Ports Holding und Hafenbetreiber.*

*Emre Sayin war zur Zeit des Interviews der CEO von Global Ports Holding. Er ist dort heute nicht mehr tätig.


Kevin Bubolz, Foto: Norwegian Cruise Line

Kevin Bubolz

„Komplexes Thema“

Kevin Bubolz, Managing Director Europe von Norwegian Cruise Line


Die Beiträge erschienen in der AN BORD, Ausgabe 2/22 (Juni/Juli/August 2022).