WELTGRÖSSTES, SCHÖNSTES PASSAGIERSCHIFF
Die Île de France war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Vorzeigeschiff der französischen Schifffahrtsindustrie. Es brachte die Pracht des Art déco als Innenarchitektur auf die Ozeane.
Es zählte nur Größe, Geschwindigkeit, Gold. Die französische Nation träumte von den Superschiffen. 1912 war das erste dieser Art auf in Fahrt gesetzt worden, der Ozeandampfer France, ein Projekt der Compagnie Générale Transatlantique (CGT). Es folgte 1921 für die selbe Reederei ein Passagierschiffsneubau, wie man ihn weltweit noch nie gesehen hatte, die Paris. Die beiden Schiffe galten ab sofort als die gelungensten Neubauten der Reederei CGT, von Passagieren hochgeschätzt, Schiffbauer waren imponiert.
Dann, sechs Jahre später, wurde das noch übertrumpft – mit der Île de France, erstellt von der Werft Chantiers de Penhoet in Saint-Nazaire im Auftrag der CGT. Sie war 241,35 Meter lang und 28 Meter breit. Der Tiefgang lag bei maximal 9,75 Metern, die Verdrängung wurde mit circa 41.000 Tonnen angegeben, die Vermessung mit 42.050 BRT. Im Maschinenraum arbeiteten vier Turbinensätze (1 x HD, 1 x MD, 2 x ND), die auf vier Festpropeller arbeiteten. Die Maschinenleistung lag bei 52.000 PS (38.264 kW), die Höchstgeschwindigkeit bei 23,5 Knoten (44 km/h). Der Heimathafen des Dampfers war Le Havre. Am 14. März 1926 war er vom Stapel gelaufen, das geschah mit einem großen Spektakel. Die Probefahrt wurde am 29. Mai 1927 erfolgreich durchgeführt.
Die Passagierzahl wurde so abgestuft: Acht Passagiere in den sogenannten Staatskabinen; 30 in den Luxuskabinen; 440 in der Ersten Klasse; optional Erste und Zweite Klasse 199; Zweite Klasse 409; Dritte Klasse 346; Touristenklasse 212. Als Passagiere durften 1644 Personen an Bord sein, dazu 803 Mitglieder der Besatzung. Insgesamt waren 2447 Menschen auf Hoher See unter der Flagge Frankreichs unterwegs, wenn die Fahrt ausverkauft war, und das war sie oft. Nach den Verzögerungen in Folge des Ersten Weltkriegs war das ein großes Ereignis.
Wochenlang strömten Interessenten nach Le Havre, um das Schiff zu begutachten, es sollen Tausende gewesen sein. Die Presse reagierte mit Reportagen und Fotografien. Bei der Jungfernfahrt am 22. Juni 1927 nach New York gab es an der Reling viel Beifall, ebenso bei der ersten Ankunft in New York. Menschenmassen sollen sich auf den Hafenanlagen versammelt haben, um den Dampfer und seine Passagiere zu begrüßen. Das ging so weit, dass Kapitän Joseph Blancart zum Star wurde. Selbst Zahlmeister Henri Villar wurde beklatscht und in den Medien wurde seine Arbeit geschildert.
1928 kam es zu einem Rekord, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Die Île de France war so beliebt, dass die Einnahmen der Reederei zum ersten Mal die Franc-Milliarde überschritten. Die Beliebtheit hielt an, 1935 hatte das Schiff mehr als jeder andere Dampfer Kunden in der Ersten Klasse im über den Atlantik gebracht. Wohlhabende Menschen, vor allem Amerikaner, bevorzugten das Schiff, obwohl es nur ebenso schnell war wie mehrere andere Transatlantikliner, aber viel schöner.
Zu den neuen Sensationen des Flaggschiffes gehörte die Einrichtung im Art déco-Stil, der Luxus damaliger Zeit wurde demonstrativ gezeigt. Ein neuer, betörender Anlass, die Île de France zur Überfahrt zu wählen. Man musste allerdings etwas betucht sein, um sich das leisten zu können. In einer mit Goldrand reich illustrierten Broschüre erklärten Experten, dass es nie zuvor ein in einem derart aufwendigen Stil ausgebautes Schiff gegeben habe. Dabei gab es jedoch in der Raumgestaltung mehrere Stilrichtungen, was an Schlösser auf dem Land erinnerte.
Großartig war, dass der Dampfer komplett durchgängige Gesellschaftsräume besaß, alle trumpften im Art déco-Stil auf. In Paris hatte man 1925 die Ausstellung „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“, die weltweit für Aufsehen erregte. Frankreich war damals in stilbildendem Handwerk und künstlerischen Darstellungen führend.
Dass die Île de France dem reisenden Publikum diesen Auftritt auf der Höhe der Zeit gönnte, wurde gern angenommen. Da war der exquisite Speisesaal, der über prachtvolle Treppen zu erreichen war, und als größter seiner Zeit über drei Decks reichte. Da waren die Kabinen, in denen die Gäste auf Stühlen im neuartigen Design sitzen konnten. Und in allen Etagen gab es in den Kabinen Betten, keine Kojen. Da gab es eine Kapelle im neogotischen Stil für Gottesdienste, die Eingangshalle war großzügig gestaltet und reichte über vier Decks. Zudem gab es auch einen Schießstand und ein Karussell an Bord. Die Passagierschifffahrt orientierte sich an diesem aufwendig erbauten Dampfer, ein neuer Wettkampf um nicht nur leistungsfähige, sondern auch schöne Schiffe hatte nun begonnen.
Ab 1935 war die Normandie von CGT ein neuer Superlativ im Wettbewerb. Sie war auf der Strecke nach New York mit 29,98 Knoten unterwegs und nahm der Bremen das Blaue Band weg. CGT konnte nun ihre Schiffe als die größten, schnellsten und luxuriösesten bewerben. Weiter klingelten die Kassen.
Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, befand sich die Île de France an ihrem Kaiplatz in New York. Sie wurde nicht ins Heimatland zurück gebracht, sondern nach Staten Island. Weil das Schiff so groß war, wurde es von zehn Schleppern an den eigens für 30 000 US-$ ausgebaggerten Liegeplatz gezogen. Hundert Mitarbeiter der Besatzung blieben aus Sicherheitsgründen und zur Pflege an Bord. Im März 1940 ging das Schiff an die britische Admiralität, an die sie ausgeliehen worden war. Mit 12.000 Tonnen Kriegsmaterialien – Panzer, verdeckte Bomben, Unterseebootöl an Bord und schwarzgrau gestrichen – kam sie nach Europa. Ab 1941 brachte das Schiff von New York aus als Truppentransporter US-amerikanische und kanadische Soldaten und Materialien gegen den Hitlerkrieg. 1947 wurde das Schiff an die CGT zurückgegeben. Der hintere Schornstein verschwand, es erhielt Ausstattungsteile von der Normandie, die 1942 durch ein Feuer beschädigt worden war. Zudem wurde der Rumpf umgebaut, die Vermessung lag nun bei 44.356 BRT.
Im Juli 1949 begannen wieder die Überfahrten über den Atlantik, das Schiff hatte nichts an Popularität verloren. Es war ein Geldbringer.
1956 war es an einer Rettungsaktion für die von der Stockholm gerammte und versenkte Andrea Doria beteiligt, es wurden 750 Schiffbrüchige aufgenommen.
Im Zeitalter der Düsenflugzeuge verlor die ganze Überseepassagierfahrt drastisch an Popularität. Das Schiff wurde für 1,2 Millionen US-Dollar an einen japanischen Abbrecher verkauft. Es hatte 620 Reisen zwischen Le Havre und New York absolviert. Für die Überführung ab dem 16. Februar 1959 von Le Havre aus erhielt sie den Namen Furanso Maru. Vor dem Abbruch wurde sie noch als Kulisse für den Katastrophenfilm „Höllenfahrt“ eingesetzt, 1960 war sie eine schwimmende Filmkulisse, der vordere Schornstein und Teile der Innenausstattung wurden gesprengt. Ein Rechtsstreit zwischen der Filmfirma und der CGT zeitigte keine Folgen.
Der Dampfer wurde nach Osaka geschleppt, dort erfolgte der endgültige Abbruch. Geblieben vom Schiff sind mehr Erinnerungen als wertvolle Hinterlassenschaften. So war das 1931 im neunten Stockwerk des kanadischen Warenhauses Eaton’s in Montreal eröffneten „9th Floor“-Restaurant auf Wunsch der Ehefrau des Warenhausbesitzers im Stil des Restaurants der ersten Klasse an Bord der Ile de France gestaltet worden, so dass sich die Gäste bis zur Schließung des Hauses einen Eindruck von der Lebensart an Bord des Luxusdampfers verschaffen konnten.
Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer



