Die durch die COVID-19-Pandemie verstärkte momentane Krise im Schiffbau ist vom Einbruch des Kreuzfahrttourismus ausgelöst worden. „Der Kollaps eines der profitabelsten Marktsegmente der maritimen Wirtschaft übertrifft die Worst-case-Szenarien aller Risikoanalysten“ sagt Reinhard Lüken, Geschäftsführer des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM), in Hamburg. Im zivilen Schiffbau in Europa seien Kreuzfahrtschiffe mit einem wertmässigen Anteil von mehr als 80 Prozent am Auftragsbuch der dominante Umsatzfaktor.
Gemeinsam mit einer leistungsfähigen und innovativen Schiffbauindustrie habe die Kreuzfahrtbranche Jahr um Jahr immer wieder mit faszinierenden Neuheiten begeistern können. Auch in Sachen Klima- und Umweltschutz seien Kreuzfahrtschiffe als die Pioniere der kommerziellen Schifffahrt mutige Schritte gegangen. Mit Milliardeninvestitionen seien konsequent ambitionierte Emissionsreduktionsziele verfolgt worden.
Corona-Krise hat die Schiffbauindustrie kalt erwischt
In Anbetracht des enormen Kapitalverzehrs im vergangenen Jahr, der schon jetzt zweistellige Milliardenbeträge erreicht habe, würden diese Ziele nun noch mehr zu einer Herkulesaufgabe, die sich durch die gesamte Wertschöpfungskette ziehe. Nun seien kluge Konzepte gefragt.
Schnelle Erholung unrealistisch
Auch wenn die inzwischen konkret gewordene Aussicht auf Impfung als helles Licht am Ende des Tunnels strahle, sei die Fahrt noch lang, warnt Lüken vor zu hohen Erwartungen: „Die Kreuzfahrtbranche hat 2020 mehr als 20 Milliarden Euro Verlust gemacht. Auch wenn das Reisen wieder möglich ist, wird es Jahre dauern, bis die finanziellen Einbußen der Kreuzfahrtreedereien hinreichend aufgefangen sind, um neue Investitionen ins Auge fassen zu können. Eine schnelle Erholung des Schiffbaumarktes im Kreuzfahrtbereich ist darum unrealistisch. Dies betrifft die gesamte komplexe Wertschöpfungskette.“
Deshalb sei die Streckung des Bauprogramms und die Anpassung von Produktionskapazitäten eine zwingende Notwendigkeit. Immerhin hätten Stornierungen von Aufträgen bisher vollständig vermieden werden können. Auch das von Deutschland initiierte, aber von allen europäischen Exportgarantieagenturen gemeinsam veranlasste Schuldenmoratorium für Kreuzfahrtreedereien habe dabei einen wichtigen Beitrag geleistet. Aufgestockt wurden auch die Mittel für Innovation, Forschung und Entwicklung. Weitere positive Ansätze würden Anfang 2021 umgesetzt. Dazu zählten die Aufstockung des LNG-Förderprogramms sowie die zusätzliche Unterstützung für den Bau von LNG-Bunkerschiffen.
Deutschland kann Meer!
Deutlich größere Herausforderungen als von der aktuellen Gesundheitskrise hat die Menschheit nach Ansicht von Lüken langfristig allerdings von der Klimakrise zu erwarten. Deshalb müsse auch die Schifffahrt noch entschlossener ihren Beitrag leisten. Europa als maritimes Kraftzentrum und als der wohl maritimste aller Kontinente sollte darum jetzt entschlossen vorangehen und zeigen, dass klimafreundliche Schifffahrt und wirtschaftlicher Erfolg gleichzeitig möglich sind. Große Bedeutung komme hierbei der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ zu. Der deutsche Fahrplan in eine klimaneutrale Zukunft beinhalte wichtige maritime Maßnahmen für die Förderung von Forschung und Entwicklung zu Antriebstechnologien und Treibstoffen sowie die zugehörige Entwicklung von Vorschriften und Normen. Das maritime Deutschland verfüge über das Know how für eine internationale Vorreiterrolle auf diesem Gebiet. Allerdings vermisst Lüken noch konkrete Fördermaßnahmen und maritime Leuchtturmprojekte u.a. für den Wasserstoffimport per Schiff, den Aufbau einer maritimen Tankinfrastruktur und eine ganzheitliche Investitionsförderung für klimaneutrale Schiffe.
Personalabbau in Papenburg und Mecklenburg-Vorpommern
Die aktuell schwierige Situation der deutschen Werften im Kreuzfahrtschiffbau wird bei den beiden derzeit ausschließlich in diesem Segment tätigen Werften, der Meyer Werft und der MV Werften-Gruppe mit ihren Standorten in Rostock, Wismar und Stralsund deutlich. Bei der Meyer-Werft am Standort Papenburg, wo neben der rd. 3600 Personen umfassenden festangestellten Stammbelegschaft weitere rd. 900 Werksvertrags-Mitarbeiter tätig sind, soll die Arbeitsleistung in den nächsten Jahren um 40 Prozent reduziert werden, wodurch bei linearer Betrachtung 1800 Arbeitsplätze zur Disposition stünden. Die Geschäftsleitung, der es gelungen sein soll, die Stornierung aller acht vorliegenden Aufträge durch Streckungen etc. zu vermeiden, hofft einen große Teil dieser Arbeitsplätze zu retten, wenn intelligente Konzepte mit dem Betriebsrat vereinbart werden können. Zuletzt war von einem kontrovers diskutierten Streichungsspektrum zwischen 600 und 1800 Mitarbeitern die Rede.
Dramatisch seht es dagegen bei den MV Werften aus, wo die Geschäftsleitung nach Angaben des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in kurzer Zeit 1000 der 3100 Mitarbeiter freistellen will und auch die Fertigstellung der drei für Rechnung des Werfteigners, der Genting-Gruppe, angearbeiteten Neubauten, der Global Dream im Hallendock in Wismar, der noch namenlosen Schwester Global II in Rostock und der in Stralsund am Ausrüstungskai liegenden Crystal Endeavor, ungewiss ist. JPM