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DAS GESUNDE SCHIFF

RMS Orion wurde von der britischen Reederei Orient Steam Navigation Company im Passagier- und Postverkehr von Europa nach Australien eingesetzt. Es galt als das beste Schiff auf der Route.

Foto: Sammlung Jens Meyer

Frische, kühle Seeluft ist bekanntlich gesund für den Menschen. Der Architekt und Designer Brian O’Rorke (1901-1974), ein Neuseeländer, erhob diese Tatsache beim Entwurf des Schiffes Orion zu seinem Oberthema. Da die Passagiere auf der wochenlangen Reise an Bord waren und durch mehrere Temperaturzonen gelangten, dachte er daran, ihnen nebenher auch noch eine Kur zu verschaffen. Er entwarf die meisten Wände mit vielen Schiebetüren, die auf die Promenadendecks hinausführten, sie waren viele Meter weit zu öffnen und die salzige Meeresluft sollte auch das Schiffsinnere fluten. Viele Wände bestanden zudem aus Glas, das Ganze sah nach einer luftigen Angelegenheit aus, einmalig in den 1930er Jahren. Das Architekturmagazin „The Architectural Review“, das seit 1896 Objekte auf Land und Wasser bewertete, verpasste dem Dampfer ein hohes Lob: Er sei ein „Meilenstein in der Evolution des modernen Liners“.

Auch als technisch modernes Schiff galt die Orion als gelungen, sie erreichte eine hohe Geschwindigkeit und der Komfort war neu und aufregend. O’Rorke hatte sie nach Absprache mit der Reederei als Zweiklassenschiff konzipiert, das wurde zum ersten Mal in der Schifffahrt eingeführt. 1408 Passagiere konnten auf dem Dampfer sein, 708 davon in der Kabinenklasse und 700 Passagiere in der Touristenklasse. Auch in der Besatzungsgröße kam es zu einem neuen Standard, 466 Mitarbeiter kümmerten sich um die Unterbringung und das Wohl der Gäste. Das hatte Niveau und war fortschrittlich.

Foto: Sammlung JSA

Zudem war RMS Orion das erste britische Schiff, auf dem die Aufenthaltsräume und Kabinen mit Klimaanlagen ausgestattet wurden, was ursprünglich nur den Speisesälen vorbehalten war. Auch hatte es als erstes Schiff der Reederei seit 1902 nur einen Schornstein, was damals ungewöhnlich war für so ein überlanges Wasserfahrzeug. Und es besaß auch nur einen einzigen Mast, auch das gab es zum ersten Mal. Der Rumpf war maisfarben angestrichen worden, als erstes Schiff in der später für die Schiffe der Orient-Line charakteristischen Farbe. Bei der Reederei war man stolz, ein solches Schiff in Fahrt gebracht zu haben, es war das „Frontschiff“ der britischen Passagierflotte unter der Flagge des Vereinigten Königreichs.

Das Schiff wurde als Baunummer 697 von der Vickers-Armstrong in Barrow-in-Furness erstellt, sein Heimathafen war London. Am 7. Dezember 1934 lief es vom Stapel, im August 1935 erfolgte die Ablieferung. Das Schiff war 202,7 Meter lang und 25,6 Meter breit. Der Tiefgang lag bei 9,1 m, die Vermessung wurde mit 23.371 BRT angegeben. Im Maschinenraum befanden sich sechs Parsons-Turbinen mit einer Leistung von 24100 PS, mit denen über zwei Propeller eine Höchstgeschwindigkeit von 21 Knoten (39 km/h) erreicht wurde.

Eine Sonderheit war auch die Taufe der Orion. Die nahm Henry, Duke of Gloucester vor – per Fernbedienung. Das geschah zum ersten Mal in der britischen Seefahrt, denn der Duke of Gloucester war in Australien, in Brisbane führte er die Taufzeremonie durch. Das hatte es bisher nur bei einem früheren Schiff der Holland-America Line schon mal so gegeben. Bevor die Orion in die Ferne aufbrach, konnten die Londoner im August 1935 bei einer Serie von Kreuzfahrten ab Tilbury das mächtige Schiff begutachten und erleben, von denen die erste nach Norwegen führte. Am 29. September startete es in Tilbury zu seiner Jungfernfahrt nach Australien. Danach wurde es ständig auf der Route als Passagier- und Postverkehr zum fünften Kontinent eingesetzt. Bis der Kriegsausbruch im September 1939 alles einschneidend veränderte. Die Orion wurde vorübergehend noch für Kreuzfahrten genutzt, an Bord waren 600 Passagiere zugelassen.

Die Inneneinrichtung war hell und freundlich, die Räume ohne direkten Zugang zum Bootsdeck waren so angelegt, dass möglichst viel Lichteinfall in sie gelangte. Die Oberflächen bestanden auf dem gesamten Schiff aus Chrom und Bakelit, Materialien, die am sichersten der Korrosion standhielten, die durch Salzwasser und Seeluft das Schiff beeinträchtigen konnten.

Die britische Regierung übernahm das Schiff kurze Zeit nach Kriegsbeginn als Truppentransporter. Es wurde erst nach Ägypten, danach nach Wellington in Neuseeland entsandt, um dort Truppen zu übernehmen und sie auf die britische Insel zu befördern. Als die Orion am 6. Januar Wellington verließ, wurde sie aus Sicherheitsgründen bis nach Sydney von einem Konvoi begleitet. Dazu gehörte auch ihr Schwesterschiff, die 1937 von der gleichen Werft erbaute Orcades (23456 BRT).

Foto: Sammlung Udo Horn

Am 15. September 1941 kam es zu einem schweren Unfall. Die Orion befand sich im Südatlantik, dort fuhr sie direkt einem Schlachtschiff namens HMS Revenge hinterher. Auf einmal kam es auf der Revenge zu einer Fehlfunktion der Ruderanlage und das Schiff lief aus dem Ruder. Die Orion konnte nicht rechtzeitig aufstoppen, sie prallte auf das Heck des Schlachtschiffes, ihr Bug wurde stark beschädigt. Bis nach Kapstadt konnte es das Schiff noch schaffen, dort wurde es behelfsmäßig repariert. Dann fuhr es weiter nach Singapur, wo der Schaden komplett saniert werden konnte. Zu der Zeit war die japanische Armee, die mit Hitlerdeutschland verbunden war, auf dem Weg nach Singapur. Die Orion evakuierte Zivilisten im Auftrag der britischen Regierung.

In den folgenden Kriegsjahren war die Orion eines von den frühen Passagierschiffen, das als Transporter in die Operation Torch einbezogen wurden. 1942 unternahm sie zwei Truppenfahrten nach Nordafrika, es waren jeweils über 5000 Soldaten an Bord. 1943 wurde ihre Transportkapazität noch stärker beansprucht, bis zu 7000 Soldaten durften transportiert werden. In der Endzeit des Zweiten Weltkriegs wurde das Schiff vor allem im pazifischen Raum eingesetzt. Als die Orion aus dem Kriegsdienst entlassen wurde, hatte sie mehr als 175.000 Einsatzkräfte befördert und 380.000 Meilen hinter sich gebracht.

Nach dem Krieg sollte sie wieder zum Passagierschiff werden. Am 1. Mai 1946 kehrte die Orion an ihre Bauwerft Vickers-Armstrong in Barrow-in-Furness zurück. Besonders im Innenbereich war sie so ramponiert, dass es ein Jahr dauerte, bis die Reparaturarbeiten abgeschlossen werden konnten. Am 25. Dezember 1947 startete sie von Tilbury aus nach Australien, sie war das erste Schiff der Orient Steam Navigation Company, das nach dem Krieg wieder Zivilpersonen beförderte. An Bord war jetzt für 546 Passagiere in der Ersten Klasse und 706 in der Touristenklasse Platz.

Foto: Sammlung JSA

In späteren Jahren wurde die Orion zu Kreuzfahrten an der US-amerikanischen Westküste, aber auch zu Fahrten von Europa nach Australien eingesetzt. Zu Beginn der 1960er Jahre waren Seereisen nach Australien immer weniger gefragt, der Massenflugtransport hatte längst begonnen. 1958 war die Orion noch einmal durch eine umfassende Sanierung erneuert worden, sie hatte dann Raum für 342 Passagiere in der Kabinenklasse und 722 in der Touristenklasse. 1961 wurde sie zum Einklassenschiff, 1691 Personen durften an Bord.

Die letzte Überfahrt der Orion nach Sydney – über Piräus und den Suezkanal – begann am 28. Februar 1963. Die Rückfahrt aus Sydney mit den Zwischenstopps in Melbourne und Fremantle erfolgte am 8. April des Jahres. Am 15. Mai 1963 wurden die Anker vor Tilbury geworfen. Die Hamburger Otto Friedrich Behnke GmbH hatte das Schiff als Hotelschiff gechartert, weil in der Hansestadt die Internationale Gartenausstellung anstand. Am 23. Mai 1963 traf die Orion in Hamburg ein. Während der Zeit von Ende Mai bis zum 30. September konnten 1150 Gäste auf dem Schiff nächtigen. Danach wurde der vielgediente Dampfer nach Temse bei Antwerpen gebracht. Dort traf er am 7. Oktober bei der belgischen Werft Jos. Boel et Fils ein, wo am 30. November 1963 die Verschrottung begann.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer