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Hollands Grösste

Die Rotterdam ist als Kreuzfahrtschiff nach 50 Dienstjahren zum multifunktionalen Museum und Hotelschiff umgewandelt worden – im originalen Stil der 1950er Jahre

1959 war Aufbruchzeit. „Bei der Holland Amerika Lijn glauben wir, dass Reisen die Welt verändern können“, verkündete die Reederei. „Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Welt zu verbessern, indem wir den Austausch von Ideen fördern, Verbindungen aufbauen und das gemeinsame Menschsein unterstützen.“ Die HAL wollte nach mehr als hundert Jahren ihrer Existenz zum anerkannten Marktführer auf den Weltmeeren werden, es ginge nun um „die geräumigsten und komfortabelsten Schiffe“, hieß die Kampfansage.

Foto: enapress.com

Damit war SS Rotterdam gemeint, seit 1956 im Bau bei der Werft Rotterdamsche Droogdok Maatschappij. Am 14. Dezember 1956 war das neue HAL-Flaggschiff auf Kiel gelegt worden, die Taufe fand am 13. September 1958 statt. Die Indienststellung begann am 3. September 1959. Die Rotterdam mit der Baunummer 300 war 228,20 Meter lang, 28,70 Meter breit und der Tiefgang lag bei maximal 9 Metern. Die Vermessung wurde mit 39.674 BRT angegeben, gehisst wurde an Bord die Flagge der Niederlande. Damals war dieser weißgekleidete Kreuzer eine auffällige Attraktion, das größte Schiff, das je in den Niederlanden gebaut wurde.

Der Dampfer verfügte über zwei Festpropeller, der Antrieb erfolgte über zwei De Schelde-Getriebeturbinensätze und vier ölbefeuerte Dampfkessel. Die Maschinenleistung wurde mit 35000 PS (25742 kW) angegeben, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 25,0 kn (46 km/h). Zugelassen wurden circa 1400 Passagiere, die Besatzung umfasste 776 Personen.

Es war eine neue Zeit. Die Kreuzfahrt avancierte zur schwimmenden Heimstatt für Pauschaltouristen. Zuvor war die obere Mittelschicht die Hauptzielgruppe der Kreuzfahrtindustrie gewesen, aber vor allem aus den USA kam der Ruf nach preiswerten All-inclusive-Reisen. Amerikanische Studenten wollten Europa kennen lernen – und bezahlbar dorthin befördert werden. Die Reederei nahm den Trend auf, aus der Zweiten und Dritten Klasse wurde die Touristenklasse. Zugleich wurde die Erste Klasse für Geschäftsleute, Aktionäre, Beamte oder Privatiers mit noch etwas mehr Luxus aufgewertet. Am Pool und auf den Promenadendecks trafen sich die Betuchten mit den Billigpassagieren in friedlicher Eintracht.

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Die französische Historikerin Marie-Françoise Berneron-Couvenhes erkannte das damals schon als „den Übergang von einem elitären, ausgefallenen Luxus zu einem alltäglichen, gewöhnlichen Luxus“. Während Erste-Klasse-Passagiere mittschiffs – zwischen Promenadendeck und Salondeck – untergebracht waren, erhielten die Kabinen der Touristenklasse ihren Platz im Heck- oder Vorschiffbereich wo es durch Schraubengeräusche und Schiffsbewegungen weniger komfortabel war. Die waagerechte Einteilung der Räume hielt sich für etwa ein Jahrzehnt.

Die Rotterdam wurde ab 1959 zwischen Holland und New York eingesetzt, mit der Zwischenstation Le Havre. Bei der Jungfernfahrt nach Amerika war auch Kronprinzessin Beatrix an Bord, die locker mit ihren Landsleuten und anderen auf den Decks parlierte. Das war die Egalität, die Holländern gefiel und für Amerikaner neu war. Als Ende der 1960er Jahre die Transatlantik-Fliegerei zu boomen begann, wurde das Schiff weltweit für Kreuzfahrten eingesetzt, am häufigsten steuerte man die Karibik und Alaska an.

Das von vielen Touristen strapazierte Schiff war in den fortgeschrittenen 1990er Jahren nicht mehr top und wurde durch eine neue Rotterdam ersetzt. Inzwischen befindet sich bereits ein siebtes Schiff mit diesem Traditionsnamen nach dem am 7. Oktober d.J. erfolgten Aufschwimmen im Baudock der Fincantieri-Werft in Marghera/Venedig in der Ausrüstung und soll Ende Juli 2021 in Dienst gestellt werden. Dabei handelt es sich um ein 99800-BRZ-Schiff für 2668 Gäste mit modernem dieselelektrischen Podantrieb.

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Das legendäre frühere Flaggschiff SS Rotterdam war 1997 an die US-amerikanische Reederei Premier Cruises verkauft und in Rembrandt umbenannt worden. Die Reederei geriet jedoch bald darauf in eine finanzielle Schieflage. Die Rembrandt wurde außer Dienst gestellt und dümpelte mehrere Jahre in Freeport auf den Bahamas an rostigen Ketten, ihre Zukunft war ungewiss. Als Premier Cruises im Jahr 2000 in Konkurs ging, war der Weg zum Abwracken nahezu vorgegeben.

Doch Holländer sind traditionsfreudige Zeitgenossen, was einmal ihr größtes Schiff war, das wollten sie wiederhaben. Die niederländische Dampfschifffahrt Rotterdam BV holte das Schiff zurück in die Heimat, die rotweißblaue Flagge, die älteste Trikolore der Welt (seit dem 16. Jahrhundert), wehte, das marode Schiff hieß wieder Rotterdam. Es durchlief mehrere Sanierungen und Renovierungen, bei der Cammell Laird Werft in Gibraltar, im spanischen Cádiz und dem deutschen Wilhelmshaven. Die Asbestentfernung erwies sich als kompliziert, erst im Sommer 2008 wurden die umfangreichen Arbeiten abgeschlossen. Die aufgefrischte Rotterdam ging zudem noch durch mehrere Eigentümerhände, seit 2003 gehört sie der Stadt Rotterdam.

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Nachdem das Schiff als Museum der Öffentlichkeit übergeben wurde, übernahm es 2009 die WestCord Hotels-Gruppe. Die alte Lady wurde zum Eventschiff, sehr beliebt bei den Einheimischen und den Zugereisten, die sich dort einquartieren. Das Schiff wurde am Kai des Katenrechtsehoold als Hotel an der Maas vertäut. Frühere Besatzungsmitglieder wurden von der Hotelleitung für museale Führungen gewonnen, sie erzählen von Kapitänen, Destinationen und der Begegnung mit einer Monsterwelle auf dem Atlantik, bereits kurz nach Indienststellung 1959. Die Wucht der aufgetürmten Wassermassen hätten den Liner zertrümmern können, er erlitt einen Moment eine Schlagseite von 48 Grad, kenterte aber nicht, unter anderem weil die massiven Propeller – pro Schraube 20 Tonnen Gewicht – das Schiff stabilisierten.

So erweist sich die Rotterdam heute vom Abend bis in die Nacht hinein als gutbesuchte Location mit gastronomischen Angeboten, geführten Touren und Veranstaltungen wie u.a.Hochzeiten, Kongresse, Meetings und Banketts. Sie ist umgeben von neu gesetzten jungen Bäumen, der Anker ist exponiert am Eingang platziert worden und das Oberdeck um den Swimmingpool ist an guten Tagen ein populärer Platz zum Abhängen geworden.

Am meisten begeistert die herrlich altmodische Einrichtung, die mit dem topmodernen Ambiente konkurriert. Tische, Stühle und Schränke aus den Fünfzigerjahren wurden original restauriert, die ansprechende Martini-Werbung stammt aus den Sechzigerjahren. Die sanitären Einrichtungen wurden komplett auf heutiges Niveau gebracht. Stilvoll und geräumig ist es in den ehemaligen Kabinen, die sich in Form, Farbe und unterschiedlicher Einrichtung zeigen. Sie befinden sich auf dem A-Deck, B-Deck, Main-Deck , Lower Promenade-Deck, Boat-Deck und Sun-Deck und werden als Standard-, Deluxe-, Executive- oder Superior-Zimmer geführt.

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Lido-Restaurant und Club Room heißen die Restaurants, es gibt eine Pool- und Ocean Bar und einen gut ausgestatteten Bord-Shop. An den Wänden sind die klassischen Motive von Ovids „Metamorphosen“ angebracht worden, ebenso kehrte die verschollene bronzefarbige Plastik „Walküre“ zurück. Das Theater präsentiert sich leistungsstark und vielseitig mit Konzerten, Filmvorführungen, Modenschauen, Gottesdiensten und Partys. Der Charme der Fifties des 20. Jahrhunderts wird gehegt und gepflegt und hat enorme Anziehungskraft. Nach Meinung der Rotterdamer sollte die alte Rotterdam auf ewig im Hafen bleiben.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer