Schlagwort: historische Passagierschiffe

IN ZWEI TEILE GEBROCHEN

RMS Scotia war der letzte Schaufelraddampfer in Amerika, später brachte er es zum Blauen Band auf der Transatlantikpassage. 1904 lief das Schiff auf ein Riff und sank.

Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts gab es auf dem Nordatlantik einen erbitterten Kampf um den Gewinn der schnellsten Transatlantikreise. Das Passagierschiff der britischen Cunard Line war an diesem Rekordversuch beteiligt. Im Jahr 1863 war es ihr gelungen, nach einer Fahrt von Queenstown nach New York mit 14,46 Knoten Tempo das Blaue Band zu erobern, mit mehr als einem Knoten schneller als sämtliche Mitkandidaten. Sie hielt das Blaue Band bis 1872. Ein großer Triumph für die Reederei, zumal das Schiff ein hochseetauglicher Raddampfer war. Noch bis 1874 war die Scotia der zweitschnellste Passagierdampfer auf dem Meer. Zwar war sie 1872 von der Adriatic der White Star überholt worden, behielt aber dennoch den Titel. Beide Schiffe galten als gleichwertig, sie waren führende vorozeanische Linienschiffe.

Die Scotia war ursprünglich als Schwester für die Persia entwickelt worden, dieses vorherige Schiff der zu Cunard gehörenden Collins Line war schon 1856 ein Schnelldampfer. Die Persia erhielt als erste das Blaue Band für ein Schiff ganz aus Eisen erbaut.

Der Bau der Scotia musste immer wieder hinausgezögert werden, weil Collins den Verlust der Arctic und der Pacific verkraften musste, sie versagten in der harten Konkurrenz des Expressdienstes.

Deshalb entschied man sich auch, als der Bau der Scotia endlich anstand, den Dampfer größer zu bauen als der bisherige Vorläufer, die Persia (Persien). Die Scotia wurde zur größten Einheit von Cunard, bis die Bothnia und Scythia sie in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts an Größe überholten. Noch heute gibt es in einem Londoner Science Museum ein Modell von der Scotia, das bis heute hohe Anerkennung erlangt.

Das Schiff entstand auf der Bauwerft Robert Napier & Söhne in Glasgow. Man begann mit dem Bau am 25. Juni 1861, die Jungfernfahrt startete am 10. Mai 1862. Das Schiff war 120 Meter lang und 14 Meter breit. Die Tonnage wurde mit 3871 BRT angegeben. Im Maschinenraum gab es eine Zweizylinder-Dampfmaschine mit einer Leistung von rund 4000 PS (3000kW, die auf 2 seitliche Schaufelräder wirkte und einen Tagesverbrauch an Kohle von 164 Tonnen hatte.

Die Anzahl der Passagiere wurde mit 164 in der 1.Klasse und 50 in der 2.Klasse angegeben. Unklar ist die Zahl des Personals. Über die Passage von Menschen, von der Scotia geleistet, gibt es nicht viel Informationen.

Man weiß nur, dass die Scotia als Passagierschiff nur beste, erstklassige Kabinen bot. Sie wurden gern von reichen Familien genutzt, aber auch von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt. Der Kohleverbrauch der schottischen Schiffe auf den Meeren war so hoch wie die Hälfte des Landes Schottland, hatte man ausgerechnet. Außerdem wurden zwei zusätzliche Schraubendampfer eingebracht, um mehr Menschen ins gelobte Land zu bringen; die Zeit der europäischen Auswanderer, die nach Amerika flüchten wollten, hatte massiv eingesetzt. 1875 wurde das Schiff in Liverpool aufgelegt. 1876 gab man das Schiff auf, die Scotia wurde aus dem Linienverkehr gezogen und auf dem Schiffsmarkt zum Verkauf angeboten.

Drei Jahre später wurde die Scotia noch einmal umgerüstet. Sie wurde jetzt als Kabelleger zwischen Amerika, Afrika und Europa eingesetzt. Der Umbau auf der Werft von Laird Brothers war aufwendig. Die Schaufelräder wurden entfernt und durch zwei Propeller ersetzt. In den Laderäumen wurden zwei Kabeltanks implantiert, einer zehn Metern Durchmesser und jeweils sieben Meter Höhe, ein anderer Kabeltank mit rund elf Meter Durchmesser und fünf Meter Höhe. An den Bug installierte man eine Doppelbugrolle zur Kabelaufnahme und auf das Vordeck setzte man die Kabelmaschine. Am Heck verpasste man der Kabelverlegung eine Einfachrolle. Die Scotia war bei den Verlegearbeiten lange Zeit weltweit das am meisten beschäftige Kabelschiff. Selbst Wladiwostok, Nagasaki, Shanghai, Hongkong sowie Sydney, Wellington, Perth und Adelaide wurden an die Verkabelung gebunden.

1887 verlegte sie im Mittelmeer Kabel von Porthcumo nach Gibraltar, dann von Gibraltar nach Malta. 1893 gelang die Kabelverlegung vom Schiff aus von Sansibar zu den Seychellen und von dort aus nach Kapstadt und Mocamedes. Die Telegraph Construction and Maintenance Company war dazu beauftragt worden. Ihre Vermessung betrug jetzt 4667 BRT. Das Verlegen der Verbindungskabel im Ozean war eine große Sache, die viel Aufmerksamkeit erheischte.

1902 wurde die Kabelverlegung fortgesetzt an der südamerikanischen Küste, hier im Zusammenspiel mit der Britannia. Das Atlantikkabel wurde von Borkum/Deutschland aus bis zu den Azoren und von dort aus nach New York verlegt. Hersteller des Kabelmaterials waren die Norddeutschen Seekabelwerke (NSW), gefertigt wurden sie in Nordenham. Insgesamt wurden in dem großen Bereich 7993 Kilometer Kabel verlegt. Die Commercial Cable Co. kaufte 1903 die Scotia auf und war jetzt verantwortlich für ihre Unterhaltung und ihre Wartung.

Zuvor, 1896, war die Scotia vor der US-Stadt Plymouth in Massachusetts in ein Explosionsdrama geraten, das gesamte Vorschiff wurde dabei zerstört. Dass es nicht noch schlimmer geworden ist, war der robusten Konstruktion zu verdanken, so konnte das Schiff überhaupt gerettet werden. Danach wurde es repariert und ging im Verkauf an die Commercial Pacific Cable Company.

Am 11. März 1904 befand sich das Schiff vor Guam, an der östlichen Seite des Pazifiks. 6298 km westlich von Hawaii, 2058 km vom Süden der Philippinen und 2386 km vom südlichen Japan. Sie brachte Kabel und Ersatzteile, doch beim Einlaufen in den Hafen von Apra in Guam kam das Schiff vom Kurs ab und lief an einem Riff hart auf Grund. Schuld daran waren miserable Wetterbedingungen. Das Schiff zerbrach in zwei Teile und versank.

Heute ist der Ort des Untergangs der Scotia ein beliebter Tauchplatz.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jürgen Saupe

LUCKY SHIP

MS Batory war ein polnisches Passagierschiff auf der Transatlantikroute, es wurde aber auch anderweitig eingesetzt und war sehr nützlich.

Fans von Passagier- und Kreuzfahrtschiffen können auch im häuslichen Ambiente ihre Lieblingsdampfer aus dem 20. Jahrhundert in Bausätzen errichten. Bei Händlern und in gut sortierten Modellbauläden finden sie das Material dazu. 2018 hat der Berliner Ulf Lundberg die Batory als Modell komplett nachgebaut. Zufrieden mit der Gestaltung des polnischen Schiffes war er nicht, im Internet stellt er die Stärken des Wasserfahrzeugs neben dessen Schwächen. „Ein interessantes und ungewöhnliches Schiff“, resümiert er. „Wenn man es aus dem Kasten baut, schön bemalt und betakelt, bekommt man vermutlich ein Modell mit einem guten Gesamteindruck.“ Von diesem Standpunkt aus beurteilt er dann die Nachteile der Batory.

Die Rumpfteile und Propellerwellenhosen des in Gdynia erstellten Modellbausatzes findet er zu grob, ebenso Decksteile und Decksflanken am Vorderdeck und im Achterdeck. Der Dampfer habe ziemlich viel „Grat“, meint er, was zu Beschädigungen führen kann. Vermutlich hatte das Schiff im Original viele Schrumpflöcher. Insgesamt lautet sein Urteil: zu altmodisch. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es bereits technisch hochmoderne Schiffe, die weit vor der Batory lagen. Aber historisch gesehen ist es ein Motorschiff mit wichtiger Geschichte, es brachte viele Europäer in ihr gelobtes Land.

Foto: Jürgen Saupe

Polen als Ostseeanrainer mit einer Küstenlänge von 150 Kilometern hatte viele kleinere Häfen und Werften, aber keinen größeren Standort für Passagierschiffe. Im 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt das Land – von Österreich besetzt und landwirtschaftlich geprägt – als arm, rückständig, aber mit einer großen Bevölkerung. Wegen der schwierigen sozialen Umstände im Land gab es schon um etwa 1850 viele Polen, die ihr Heimatland in Richtung Amerika verließen, angefangen von galizischen bettelarmen Kleinbauern bis zu jüdischen Kleinhändlern. Der Andrang war so groß, dass in Gdynia nahe Danzig (Gdansk) ab 1933 ein „Meereshof“ entstand, eine moderne Abfertigungshalle für Schiffsreisende.

Die Batory gehörte zu der Schiffsflotte, die ausschließlich auf der Linie Gdynia – New York eingesetzt war. Das Schiff hatte zwei Klassen: eine dritte, eine Touristenklasse und einige bessere Kabinen für vermögende Passagiere. Die Bordkarte für die einfache Fahrt ohne Rückkehr nach Amerika kostete 500 Zloty. Das mussten die Kandidaten lange ersparen, der Aufbruch in die bessere Welt war zum Maßstab des Wohlstands geworden. So verdiente ein polnischer Lehrer im Monat etwa 200 Zloty. Die Batory brachte es auf zehn Überfahrten pro Jahr, insgesamt 80 Einsätze in 20 Jahren.

Foto: Sammlung JSA

Bis 1920 konnten Emigranten problemlos und ohne Zuzugsbeschränkungen in die USA ziehen. Es gab nur einen Grund für Neubewohner: psychische und ansteckende organische Krankheiten wurden abgewiesen, betreffende Personen nicht von Bord der Schiffe gelassen, um nicht untertauchen zu können. Die Auswanderer kamen in großen Kontingenten über das Meer, waren es 1870 rund 70.000 Polen, kamen mit jedem späteren Jahr immer mehr. Insgesamt gelangten 3,5 Millionen polnischstämmige Bürger bis 1930 in die USA, die größte Fluchtwelle war die Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren. Die Polen waren stolz auf ihre Schiffe, erst Segler, dann Motorschiffe. Die Batory war neben ihrem bereits am 22. August 1935 fertiggestellten Schwesterschiff, MS Pilsudski, das am meisten populäre Schiff.

Die Batory war Eigentum der Reederei Gdynia-Ameryka-Linie (GAL) mit Sitz in Gdynia. Sie entstand mit finanziellem Anschub der polnischen Regierung, wurde als Passagier- und Frachtschiff konzipiert und mit Spendengeldern realisiert. Erstellt wurde die am 29. 11.1933 zusammen mit dem Schwesterschiff Pilsudski in Italien bei Cantieri Riuniti dell‘ Adriatico in Monfalcone bei Triest bestellte Batory als Baunummer 1127. Das am 1. Mai 1934 auf Kiel gelegte Schiff war 160,2 Meter lang und 21,6 Meter breit, der Tiefgang lag bei maximal 7,5 Metern. Die Vermessung betrug 14287 BRT. Die beiden neunzylindrigen Dieselmotoren stammten von Burmeister & Wain, sie arbeiteten auf zwei Propeller. Die Maschinenleistung wurde mit 12.680 PS (9326 kW) angegeben, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 18 Knoten (33 km/h). In der Ersten Klasse waren 46 Passagiere zugelassen, in der Zweiten Klasse 370 und in der Dritten Klasse 400 Personen. Zur Besatzung gehörten rund 350 Mitglieder.

Foto: Jürgen Saupe

Das Schiff war nach Stefan Batory benannt, er war im 16. Jahrhundert einer der polnischen Könige. Das zeitgleich gebaute Schwesterschiff hieß MS Pilsudski nach Präsidenten des jungen unabhängigen polnisches Staates ab 1919. Beide Schiffe waren die größten ihrer Art unter polnischer Flagge. Die Ausstattung wurde vorwiegend von polnischen Architekten und Künstlern gestaltet, sie war praktisch, aber in Teilen luxuriös und umfasste auch einen Indoor-Swimmingpool.

Am 3. Juli 1935 lief die Batory vom Stapel, die Fertigstellung erfolgte am 23. April 1936 mit nachfolgender Übernahme durch die Reederei und die Indienststellung am 17. Mai desselben Jahres. Die am 18. Mai 1936 gestartete Jungfernfahrt führte das Schiff von Gdynia nach New York, später wurde auch der Hafen von Halifax genutzt. In Europa hatte das Schiff einen Zwischenstopp in Kopenhagen. Bis 1939 beförderte die Batory rund 30.000 Passagiere. Nur einmal, auf dem Weg nach New York, kam es im Juni 1937 zu einem Unglück. Im Maschinenraum entstand ein Feuer, in New York wurde das Schiff saniert, was einen Monat dauerte.

Foto: Sammlung JSA

Am Beginn des Zweiten Weltkriegs befand sich die Batory gerade auf dem Nordatlantik. Am 5. September 1939 wurde sie in New York der britischen Regierung übergeben und als Truppentransporter eingesetzt. Auch die Pilsudski war an Kriegstransporten beteiligt, was bereits im November 1939 Folgen hatte: Das Schiff lief vor der englischen Hafenstadt Withernsea auf zwei deutsche Seeminen, es sank am 26. November vor der Küste von Yorkshire.

Auch die Batory war in Kriegszeiten mehrfach deutschen Angriffen ausgesetzt, sowohl aus dem Wasser als aus der Luft. Sie überstand sämtliche Attacken, daraufhin erhielt sie den Beinamen „lucky ship“. Mit den Transporten wurden Soldaten und britische Kinder in Sicherheit gebracht. Dazu polnische Kulturgüter, die aus dem Krakauer Wawel gerettet worden waren, und Goldbarren der Bank of England im Wert von 40 Millionen Pfund Sterling, die unter schwerer Bewachung und mit britischen Geleitfahrzeugen nach Kanada gebracht wurden. Die deutschen U-Boot-Kommandanten wussten, dass die Batory stets deutsche Kriegsgefangene an Bord hatte, so dass sie nicht angriffen. Weitere Kriegseinsätze führten nach Australien und Neuseeland, Indien, Malta, Ägypten, Gibraltar und Island.

Zu Beginn der Friedenszeit wurde das Schiff am 28. Dezember 1945 aus dem Kriegsdienst entlassen und wieder für Passagierfahrten nach Amerika über die Stationen Gdynia, Kopenhagen und Southampton eingesetzt, nach 1957 auch nach Quebec und Montreal in Sommermonaten. 1947 wurde eine umfangreiche Sanierung in Antwerpen durchgeführt, die sich wegen eines Brands an Bord verzögerte.

1951 wurde die Batory in die neugegründete Reederei Polskie Linie Oceaniczne eingegliedert. 1957 kam es in Bremerhaven zu einer Neuausstattung, nach der sich die Kapazität der 1. Klasse auf 76 und in der Touristenklasse auf 740 Passagiere belief, aber der zunehmende Flugverkehr drosselte die Passagierschifffahrt. 1968 nahm man die Batory aus dem Verkehr. Am 20. Februar 1969 veranstalteten die Briten eine Abschiedszeremonie vor allem für Menschen, die als Kinder während des Kriegs auf dem Schiff nach Australien evakuiert worden waren. Danach wurde es für zwei Jahre als schwimmendes Hotel in Gdynia genutzt. 1971 verkaufte man das Schiff für 570.000 US-Dollar, zum Abbruch wurde es nach Hongkong verschleppt.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer

GOLDSCHIFF IN NOT

Die Vestris war ein ansehnlicher und luxuriöser Passagierdampfer, der zugleich Ladung und Post beförderte. Nach nur 18 Jahren geriet er in eine tragische Situation.

Fahrlässigkeit kann tödlich sein, vor allem auf einem Ozeandampfer. Die Vestris, ein Passagierschiff der britischen Reederei Lamport & Holt, befand sich auf einer La Plata-Reise von Hoboken, New Jersey am Hudson gegenüber von Manhattan/New York, nach Brasilien, Argentinien und Uruguay. Das war im November 1928, das Schiff geriet in einen der in diesen Gewässern gefürchteten Herbststürme. An Bord befanden sich unter den Schiffsgästen und Personal bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Mehrere von ihnen überlebten die Fahrt nicht.

Vestris Untergang (1928), Foto: Sammlung Jens Meyer

Das Schiff hatte 198 Besatzungsmitglieder und 128 Passagiere an Bord. Zudem einen erfahrenen Kapitän auf der Brücke, William John Carey, 59, ein altgedienter Seemann und Kommodore der Reederei. Nach dieser Fahrt war er als Chef für ein neues, größeres Schiff auserkoren worden, die Voltaire, die noch mehr Passagiere aufnehmen konnte als die Vestris mit Platz für 325 Personen.

In Brooklyn war das Schiff zuvor in einem Dock trockengestellt worden, der Stahlrumpf wurde gereinigt und neu angestrichen. Dann aber wurde es – wieder im Wasser – bei starkem Wind in ein Malheur verwickelt. Sie wurde gegen ein anderes Schiff gedrückt, der Farbanstrich wurde stark beschädigt und es konnte möglich sein, dass es an der Steuerbordseite zu dem Schaden kam, der zu einem schweren Schiffsunglück führte. Die Ballasttanks waren nicht gelenzt, die Bebunkerungsluken mit Kohle bedeckt und nicht gesichert und angeblich auch die Lademarken überschritten. Einige Männer der Besatzung sahen, dass eine Luke zur Übernahme von Kohle defekt war, sie konnte nicht korrekt verschlossen werden. Ob das dem Kapitän gesagt wurde, ist nicht bekannt, die Anker wurden gelichtet, das Schiff stach in See. Dass da eine leichte Schlagseite nach Steuerbord übergangen wurde, ist tragisch, zumal Seewasser in den Rumpf lief. Damit war das Schicksal der Vestris vorgegeben – ihr Untergang, bei dem 112 Menschen ihr Leben verloren.

Die Vestris war als Baunummer 303 in Belfast von der Werft Workman, Clark & Co. Ltd. erstellt worden, am 16. Mai 1912 lief sie vom Stapel, ihr Heimathafen war Liverpool. Sie gehörte zum Eigentum der 1845 gegründeten britischen Reederei Lamport & Holt Line und beförderte als Linienschiff Personen, aber auch schwere Güter – auf dieser Tour Bauteile von Fahrzeugen, drei Chevrolets, mehrere Dutzend Kisten mit Schreibmaschinen sowie viele Tonnen Obst – und Post aus England via New York in die Länder Südamerikas.

Das Schiff war modern in seiner Zeit, 151,2 Meter lang, 18,44 Meter breit und hatte einen Tiefgang von maximal 8,75 m. Die Verdrängung lag bei 16.980 Tonnen, die Vermessung bei 10.494 BRT (6622 NRT). Es verfügte über fünf Doppelend-Dampfkessel und zwei vierzylindrige Vierfachexpansion-Dampfmaschinen mit einer Leistung von 8000 PS, die auf zwei Propeller arbeiteten. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 15 Knoten (28 km/h). Es hatte drei Decks: Schutzdeck, Hauptdeck und Oberdeck sowie fünf Laderäume. 14 Rettungsboote aus Holz der Marke Martin waren auf dem Schiff, gedacht für rund 800 Personen im Notfall. Dazu hatte das Schiff elektrisches Licht, ein Ventilationssystem und drahtlosen Funk. Die Aufenthaltsräume waren luxuriös gestaltet mit hellen Farben. Die Zeit des schweren dunklen Mobiliars ging zu Ende. Lloyds Register of Shipping hatte die Vestris in die höchstmögliche Klasse eingestuft: 1A. Die Besatzung bestand in der Regel aus 250 Personen, das Schiff hatte Platz für 280 Passagiere in der Ersten Klasse, 130 in der Zweiten und 300 in der Dritten Klasse.

Die Vestris war die Nummer drei in der neuen V-Klasse Schwesterschiffen der Londoner Reederei, nach der Vandyck (1911) und der Vauban (1912). Die am 19. September 1912 beginnende Jungfernfahrt führte das Schiff von Liverpool nach Rio de la Plata, die Ziele waren die großen Hafenstädte, Rio de Janeiro, Montevideo und Buenos Aires. Die Vestris war auf dieser Strecke der wohl populärste Dampfer.

Im Ersten Weltkrieg, in dem das Schwesterschiff Vandyck am 26. Oktober 1914 von dem deutschen Kreuzer SMS Karlsruhe aufgebracht und versenkt worden war, wurde die Vestris zeitweise aus dem Passagierverkehr genommen, es brachte Ärzte und medizinisches Personal von den USA nach Frankreich. Es war ein glücklicher Umstand, dass die Vestris am 16. Januar 1918 im Ärmelkanal nur knapp dem Torpedo eines deutschen U-Boot entgehen konnte. 1919 hatte Cunard Line das Schiff für Fahrten zwischen Liverpool, New York und Buenos Aires gechartert. Im August des Jahres brach im Kohlenbunker ein Feuer aus, die Vestris wurde von einem britischen Kriegsschiff nach Saint Lucia in den Kleinen Antillen eskortiert, wo der Brand nach mehreren Tagen endgültig gelöscht werden konnte, die 550 Menschen an Bord waren nicht betroffen. 1922 war der Dampfer für einige Zeit in Diensten von Royal Mail. Inzwischen war es zum „Goldschiff“ geworden, es hatte häufig Gold im Wert mehrerer Millionen Dollars von Banken in den USA und Argentinien an Bord.

Am 10. November 1928, einem Sonnabend, begann gegen 16.00 Uhr Ortszeit die schicksalsschwere Reise, auf Barbados gab es einen Zwischenstopp. Die leichte Schlagseite, die schon in Hoboken erkannt worden war, wurde am 11. November zur schweren Schlagseite, weil der Sturm die Wassermassen in die Kohlenbunker wuchtig hineinklatschte und Teile der Ladung und Bunkerkohle verrutschten, was auch dazu führte, dass zwei Rettungsboote vom grünen Wasser auf dem Bootsdeck hinweggefegt wurden. Kapitän und Chefingenieur berieten sich, man entschied, die Ballasttanks in den Kesselräumen zu fluten und das stark krängende Schiff durch Abpumpen der über die Flurplatten hinaus überfluteten Bunkerräume wieder aufzurichten. Kapitän Carey informierte die Reederei in London, sandte aber keinen Notruf. Passagiere, die sich wunderten, wie das Schiff seitlich absackte, wurden hingehalten.

Am 12. November sah sich Carey um 8.37 Uhr genötigt, über Funk um Hilfe zu rufen, wobei die im SOS-Ruf angegebene Position um 37 Meilen vom korrekten Standort abwich. Zwischen 11 Uhr und Mittag gab der Kapitän das Schiff auf und begann mit der Evakuierung, die Schlagseite lag bereits bei 30 Grad. Es war nicht mehr möglich, die in den Stroppen der Davits hängenden Rettungsboote ordnungsgemäß an Backbordseite des bereits sinkenden Schiffes zu Wasser zu lassen. Ein mit Frauen und Kindern besetztes Rettungsboot hatte sich überschlagen, Mütter, Söhne und Töchter wurden vor den Augen der Passagiere ins Meer geschleudert. Ein herabstürzender Davit fiel in ein besetztes Rettungsboot und tötete mehre Insassen und versenkte es. Auch drei weitere Backbord-Boote kenterten, Boot Nr. 4 wurde noch in den Davits hängend mit in die Tiefe gerissen. Einige Passagiere konnten sich an der Reling festhalten, andere Insassen verschwanden im Meer. Um 13 Uhr brach ein wasserdichtes Schott, gegen 14.30 Uhr kenterte die Vestris, 250 Meilen östlich von Hampton Roads von Virginia. Der Dampfer versank in den Gewässern des Golfstroms, in denen sich Haie aufhielten, die im Wasser treibende Passagiere angriffen und töteten. Nach den übereinstimmenden Angaben der offiziellen Untersuchung und der New York Times überlebten 111 Personen das Unglück nicht. Nur 60 der 128 Passagiere und 155 der 198 Besatzungsmitglieder konnten geborgen werden, alle 13 Kinder und 23 der 33 Frauen kamen ums Leben. Die US-amerikanischen Autorennfahrer Earl F. Devore aus Los Angeles und Norman K. Batten aus Dayton in Ohio verloren ihr Leben, ihre Ehefrauen überlebten. Zu den weiteren Passagieren, die ums Leben kamen gehören: Sidney S. Koppe aus New York, Chef einer Werbefirma; der japanische Konsul in Argentinien, Yoshio Inouy; Wyatt A. Brownfield, Chefingenieur der Kentucky Rock and Asphalt Company. Weitere 67 Passagiere und 45 Mann der Besatzung. Auch Kapitän Carey überlebte die Katastrophe nicht. Ihre Leichen, die später gefunden wurden, waren von Haien zerfressen worden. Es überlebten der New Yorker Korrespondent der argentinischen Zeitung La Nación, William W. Davies; Herbert C.W. Johnston, Geschäftsführer der Trinidad Leaseholds Ltd.; James Forbes Twomey, Manager der Electric Bond and Share Company; der Millionär und frühere Präsident der First National Bank von Odebolt, William Phipps Adams; der argentinische Konsul in New York, Carlos Quiros.

Kleinere Schiffe der United States Lines erreichten erst ab 17.45 bzw. in den Morgenstunden des 13. November den Unfallort, darunter auch der Ozeandampfer Berlin des Norddeutschen Lloyd. Ebenso waren das Schlachtschiff Wyoming, die American Shipper und der französische Öltanker Myriam hilfreich. Sie nahmen die Überlebenden auf. Dabei kam heraus, dass der Zustand der Schwimmwesten miserabel war. Rd. 600 Kläger forderten Schadensersatz in Höhe von 5 Mio. Dollar. Die Reederei hatte lange mit der schlechten Presse zu tun, in der Weltwirtschaftskrise kam es zu weiteren Problemen, der Passagierverkehr schrumpfte, mehrere Schiffe mussten aus dem Verkehr gezogen werden.

Das Wrack der Vestris befindet sich auf der Position 37º 25‘ N, 70º 33‘ W.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer

EINE ZEITLANG DAS GRÖSSTE SCHIFF DER WELT

Das MS Vulcania wurde als Passagierschiff in den Kriegen des 20. Jahrhunderts für militärische Vorhaben genutzt, kehrte aber immer in den zivilen Dienst zurück.

Foto: Archiv U. Horn

Dass das Schiff namens Vulcania in die Literatur eingegangen ist, beruhte allerdings auf einem Irrtum. Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Bowles (1910-1999) hatte 1948 die Kurzgeschichte „The Delicate Prey“ geschrieben, sie wurde 1949 veröffentlicht und erregte Aufsehen. Darin taucht mehrfach der Name Vulcania auf.

„Die leichte Beute“ kam in hoher Auflage auf den Buchmarkt, auch außerhalb der USA in anderen Ländern. Nicht überall löste die Erzählung des renommierten Autors bei den Verlagen Freude aus. Bowles war berüchtigt dafür, absolut realistische, also auch grausame Geschichten zu schreiben. In Großbritannien wurde die Story deshalb wegen der Gewaltdarstellungen erst 1968 veröffentlicht.

Bowles schrieb keine Schiffsgeschichte, es ging in seiner Erzählung um Menschen in der Sahara, die als Lederhändler mit ihren Kamelen unterwegs waren und mit Wind, Wetter und Konkurrenten zu kämpfen hatten. Bowles machte sich Notizen für seine Arbeit auf einem Schiff namens Saturnia, ein baugleiches Schwesterschiff der Vulcania, als er von New York nach Gibraltar fuhr. Dabei verwechselte er aber später beim Schreiben den Namen, er machte aus der Saturnia die Vulcania, auf der er sich allerdings nie befand. So wurde das Schiff zur Berühmtheit, obwohl es gar nicht das „richtige“ war.

Foto: Sammlung JSA

Das Motorschiff Vulcania gehörte der italienischen Reederei Cosulich Societa Triestina di Navigazione, es war seit 1928 zunächst als Passagierschiff auf den Meeren unterwegs. Das funktionierte allerdings nur bis 1935, als Italien in den Abessinienkrieg eintrat. Das Schiff transportierte von Mai bis Oktober italienische Soldatentruppen nach Äthiopien und war deshalb dem Zivildienst entzogen worden. 1941, als das Transatlantik-Schiff wieder auf der Route mit zivilen Passagieren im Dienst war, wurde es von der italienischen Regierung gechartert, wieder brachte es Soldaten nach Nordafrika, der angesteuerte Hafen war stets Tripolis. Die Vulcania hatte Glück, als sie am 16. September in einem Verbund mit ihren Schwesterschiffen Neptunia und Oceania auf dem Weg war. Auf der Höhe von Tarent wurde der Schiffsverband angegriffen vom Schiff Upholder, es kam zu schweren Schäden und Versenkung der beiden Schwesterschiffe. Die Vulcania blieb bei der Attacke des feindlichen Schiffs unversehrt.

Das Schiff wurde von der Werft Cantiere Navale Triestino in Monfalcone unter der Baunummer 161 erstellt und war ein Projekt von bis dahin unbekannten Ausmaßen. Die Kiellegung erfolgte am 13. Januar 1926, der Stapellauf am 19. Dezember 1926 und die Indienststellung am 19. Dezember 1928. Es war 192,92 Meter lang und 24,23 Meter breit, die Vermessung wurde mit 23.970 BRT angegeben, 1935 erhöhte sich die BRT bei einer Neumotorisierung auf 24.469. Das über zwei Masten und einen Schornstein verfügende Motorschiff wurde angetrieben von einer Dieselmotorenanlage, die auf zwei Propeller arbeitete. Die Tragfähigkeit lag bei 7459 tdw. In der Ersten Klasse waren 310 Passagiere zugelassen, in der Zweiten 460, in der Mittelklasse 310 und in der Dritten Klasse 700 Personen. Damit war die Vulcania bei Dienstbeginn das größte Motorschiff der Welt mit Platz für 1780 Menschen. Nach dem 1935 erfolgten Ersatz der beiden Burmeister & Wain-Diesel durch zwei Fiat 10-Zylinder-Zweitakt-Motoren von je 18 000 PS verfügte das Schiff über eine bis dahin in der zivilen Passagierfahrt unerreichte Motorleistung, die Höchstgeschwindigkeit erhöhte sich auf 19 Knoten (35 km/h). Die Anzahl der Besatzungsmitglieder ist nicht bekannt.

Zu Beginn des Jahres 1941 wurden Flüchtlinge aus dem von Italien kolonisierten Ostafrika über die Häfen Zeila und Berbera in British-Somaliland nach Genua gebracht; die Fahrt verlief aus Sicherheitsgründen über das Kap der guten Hoffnung. An diesen Operationen war die Vulcania beteiligt.

1942 und 1943 hatte das Intergovernmental Committee on Refugees die Vulcania für drei Fahrten gechartert. Im Oktober 1943 nahm die United States Army das Schiff als Truppentransporter in Charter, das lief bis nach Kriegsende, bis zum 29. März 1946. Danach, vom 29. März 1946 bis zum 4. Oktober des Jahres, charterten die American Export Lines das Schiff. Sechs Fahrten gab es auf der Strecke New York City-Neapel-Alexandria. Mitte 1946 wurde die Vulcania an den italienischen Reeder zurückgegeben, gleichfalls das in New York City vor Anker liegende Schwesternschiff Saturnia.

Foto: Sammlung JSA

Die Italian Line setzte vom 15. November 1946 bis zum 21. September 1955 das Schiff auf der Route New York City-Neapel-Genua ein. Im Juli 1947 kam es zu einer einzigen Charterfahrt für das Intergovernmental Committee on Reefuges, die von Genua über Barcelona, Las Palmas, Rio de Janeiro, Montevideo und Buenos Aires führte. Die Passagiere suchten in Südamerika ein sichereres Leben. Zehn Jahre lang, ab dem 21. September 1955 bis 1965, war die Vulcania auf der Route Triest-Venedig-Patras-Neapel-Palermo-Gibraltar-Lissabon-Halifax-New-York-City unterwegs. 1965 wurde es an die Sicula Oceanica Societa per Azioni (Siosa) verkauft. Diese mehrheitlich im Besitz der Grimaldis befindliche Gesellschaft verlieh der Vulcania einen neuen Namen: Caribia, und sie wurde fortan als Schiff für Emigrantentransporte von Southampton, Vigo und Lissabon in die Karibik und danach als Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer eingesetzt.

1972 lief das Motorschiff vor Cannes auf einen Felsen, wurde beschädigt und in La Spezia aufgelegt. Am 18. September 1973 traf es auf dem Haken eines Schleppers zum Abbruch in Barcelona ein, wurde jedoch an ein taiwanische Abbruchunternehmen weiterverkauft. Am 15. März folgenden Jahres begann die weitere Verschleppung zur Verschrottung in Kaohsiung, doch versank das Schiff noch vor Erreichen des Bestimmungshafens.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jens Meyer

VON HAMBURG IN DIE SOWJETUNION

Die »Albert Ballin« war ein deutsches Passagierschiff, fand aber auch zu anderen Zwecken Verwendung und musste dabei einige Turbulenzen überstehen

Es gibt Menschen, deren Leben lange von glücklichen Umständen gelenkt wird, bis sich – auf dem Höhepunkt eines erfolgreichen Berufslebens etwa – das Glück auf einmal drastisch ändert. Der junge Albert Ballin war ein Überflieger, als 13. Kind einer jüdischen Familie, die aus Dänemark nach Hamburg ausgewandert war, und unter katastrophal ärmlichen Bedingungen aufgewachsen. Er arbeitete sich konsequent nach oben, ging auf die Volksschule, nahm aber auch Privatunterricht in Englisch und Mathematik, das war entscheidend. Er arbeitete in der Agentur seines Vaters, der Auswanderer auf Schiffspassagen vermittelte, er konnte kommunizieren – und er führte billige Massentransporte von Hamburg nach New York ein, die ein Erfolg waren.

Foto: Sammlung JSA

Mit 29 Jahren übernahm er die Hapag, brachte das Geschäft zum Florieren und erfand nebenher noch die Kreuzfahrt, weil er nicht einsehen wollte, dass die Schiffe im Winter im Hafen vor sich hindämmerten. Ballin hatte eine lange Glückssträhne, bis sie plötzlich abriss. Er war überarbeitet, wurde krank, ging häufig auf Kuren, war deutlich angeschlagen. Als meuternde Matrosen im November 1918 sein Kontor stürmten, kam es zu einer Kurzschlussreaktion, er nahm sich das Leben.

Er hinterließ ein großes Werk, so verwunderte es nicht, dass bereits wenige Jahre nach seinem Tod ein Passagierschiff der Hapag im Dienst auf der Hamburg-Amerika Route seinen Namen erhielt.

1922 wurde entschieden, ein großes, modernes Schiff, ein Typschiff, wie man es in der Schifffahrtsindustrie bezeichnet, zu bauen. Andere Neubauten der Hapag orientierten sich an diesem Dampfer. In der Zeit des Nationalsozialismus pochte man allerdings im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, die Albert Ballin umzubenennen, weil der Hapag-Chef Jude war. Lange streubte sich die Hapag, musste sich dann aber beugen, das Schiff bekam den Namen Hansa.

Foto: Sammlung JSA

Am 16. Dezember 1922 wurde in der Hamburger Werft Blohm & Voss das Schiff mit der Baunummer 403 vom Stapel gelassen, im Sommer 1923 in den Dienst gestellt. Es fuhr unter der Flagge des Deutschen Reiches auf der Jungfernfahrt nach New York am 5. Juli des Jahres.

Der Dampfer war 191,2 Meter lang und wurde später mehrfach verlängert: ab 1934 auf 196,77 m und im selben Jahr auf 202,5 m, ab 1965 auf 205,2 m. Auch die Breite veränderte sich: ursprünglich 22,18 Meter, ab 1934 auf 24,08, ab 1955 auf 24 m. Ebenso gab es unterschiedliche Vermessungsangaben: anfangs 20.815 BRT, ab 1934 22.117 BRT, ab 1955 23.001 BRT und ab 1965 23.009 BRT.

Zwei Getriebeturbinen wirkten auf zwei Propeller, die Maschinenleistung lag bei 13.500 PS (9929 kW), die Höchstgeschwindigkeit 16 Knoten (30 km/h). 1930 wurde die Maschinenanlage optimiert: die Maschinenleistung stieg auf 29.000 PS (21.329 kW), die Höchstgeschwindigkeit auf 19 Knoten (35 km/h). Die Tragfähigkeit lag zuerst bei 14.000 tdw., ab 1934 13.470 tdw. Die zugelassene Zahl an Passagieren war anfänglich 1022: 183 Personen in der Ersten Klasse, 216 in der Zweiten und 623 in der Dritten Klasse. Nach den Umbauten durften bis zu 1650 Passagiere an Bord. Die Besatzung bestand erst aus 415 Mitarbeitern, wurde später aufgestockt auf 423. Es war der erste deutsche Nachkriegsbau nach dem Ersten Weltkrieg für den Passagierverkehr.

1934 passierte ein Unglück, als die Albert Ballin aus dem Hafen lief. Die Havarie mit dem Schlepper Merkur des Norddeutschen Lloyd war heftig, beim Untergang der Merkur wurden sieben Menschen mit in die Tiefe gerissen. Die Albert Ballin hatte das kleinere Schiff überrannt, es war überraschend vor seinem Bug aufgetaucht.

Die Albert Ballin war nicht luxuriös, sondern praktisch eingerichtet und abgestimmt auf den Ansturm der Auswanderer. Eine Innovation waren die Frahm’schen Schlingertanks, die das Schiff stabilisierten. Die Erste Klasse war komfortabel, aber nicht luxuriös. Der große Vorteil der First Class waren die sanitären Einrichtungen – Bad und WC in den Kabinen. Der große Teil der Passagiere musste mit einer kargen Ausstattung zurechtkommen, die Bäder und Toiletten auf den Gängen standen allen zur Verfügung. Der Speisesaal der Ersten Klasse und andere Aufenthaltsräume im besten Deck zeigten den Klassenunterschied, der seinerzeit herrschte. Das Essen in den Speisesälen der beiden einfachen Klassen war bescheiden.

Die Albert Ballin hatte ein Schwesterschiff, das nach der großen Inflation ab 1924 eingesetzt wurde. Weil aber beide Schiffe überaus erfolgreich waren, wurden im Dezember 1924 zwei weitere Schiffe dieses Typs bestellt, die Hamburg kam 1926, die New York 1927. Die Schiffe wurden aber bald darauf teilweise aus der Fahrt genommen, nachdem in den USA die Einwanderungsbestimmungen geändert und verschärft worden waren.

Foto: Archiv Udo Horn

Im Winter 1928 erlebte die Albert Ballin einen Umbau, danach gab es eine vierte Klasse, die so genannte Touristenklasse. Im Winter 1929 wurde der Dampfer rundum erneuert – wie die anderen drei Schiffe auch – sie erhielten bessere Hauptmaschinen. Die alten Turbinen wurden ausgebaut und an andere Schiffe gegeben. Zudem installierte man in der Albert Ballin Hochdruck-Kesselanlagen und neue Turbinen, die das Tempo erhöhten. Die Schornsteine wurden in der Höhe reduziert, sie sahen jetzt gedrungen aus. Auch die Ausstattung für die Passagiere wurde verbessert.

Foto: Sammlung JSA

Im Zweiten Weltkrieg wurde die in Hansa umbenannte Albert Ballin als Wohnschiff der Kriegsmarine genutzt. Als ab 1945 die Sowjets den Osten Deutschlands überrollten, wurden auch viele Flüchtlinge aufgenommen. Ein glücklicher Umstand: am 30. Januar 1945 verließ die Hansa mit weit über 1000 Evakuierten an Bord kurz nach der Ausfahrt aus Gotenhafen zusammen mit der Wilhelm Gustloff, erlitt die Hansa einen Maschinenschaden, auch die Ruderanlage funktionierte nicht mehr. Das Schiff ging vor Hela auf Reede, während die Gustloff weiter fuhr und von den Sowjets in der Nacht beschossen und versenkt wurde. Am 6. März 1945 geriet die Hansa nahe Gedser auf eine Mine, die Menschen an Bord mussten das Schiff verlassen, der Rumpf war schwer getroffen worden. Das Schiff wurde in den Hafen von Warnemünde geschleppt, fast bis Ende des Jahres dauerten die Reparaturen.

1953 übergab man die einstige Albert Ballin als Reparationsleistung an die Russen, die das Schiff nach einer umfangreichen Instandsetzung in Sovetskiy Soyuz umbenannten und unter sowjetische Flagge brachten. Nach längerer Aufliegezeit wurde das Schiff 1957 ins Schwarze Meer beordert, um von Odessa aus Gemüsekonserven bis nach Kamtschatka und Wladiwostok zu transportieren. Später wurde der Dampfer in der Passagierschifffahrt eingesetzt. Weiterhin wurden an Bord auch Seefahrtsschüler ausgebildet. Im Dezember 1980 benannte man das Schiff in Tobolsk um. Kurz darauf wurde es außer Dienst genommen. Am 5. März 1982 lief das Schiff in Richtung Hongkong aus, dort kam es am 17. März an, bald darauf begann die Verschrottung.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jürgen Saupe

DAS STRAPAZIERTE SCHIFF

Die »Germanic« war ein britisches Schiff, das 76 Jahre lang im Dienst war und einiges an Schwierigkeiten zu überstehen hatte.

1876 schuf der englische Maler Isaac Joseph Witham ein Gemälde, Öl auf Leinwand, etwas über einen Meter hoch und fast zwei Meter in der Breite. Im April 1998 wurde es im Londoner Kunsthandel bei Sotheby’s angeboten. Es ist nicht bekannt, wer das Bild erworben hat. Es ist anzunehmen, dass es ein Mensch gewesen sein könnte, den ein von den Windverhältnissen gepeitschtes Schiff beeindrucken konnte. Denn auf dem Bild stürzen die Wellen gewaltig übereinander, verschlingen sich ineinander, schieben sich immer neu und im Überschlag mit voller Wucht hoch hinauf im bewegten Meer, klatschen herunter und steigen wasserwühlend sofort wieder herauf. Die Wolken rasen in riesigen grauweißen Fetzen am Himmel entlang. Ein Schiff zieht darunter in einem dramatischen Sturm seine Bahn, aber souverän, geführt vom Kapitän auf der Brücke mit seinen Offizieren und Matrosen, getragen von vier Masten mit extrem aufgeblähten Segeln. Auf dem höchsten Segel fetzt der Wind eine Flagge der weißen Sternlinie im roten Umfeld, die Flagge von White Star Line, die offenkundig standhält.

Foto: Sammlung JSA

Es ist die Germanic, ein Dampfer der Oceanic Steam Navigation Company, eben besser bekannt als White Star Line. Sie war ein Jahr zuvor, 1875, in Irland gebaut worden und gehörte dieser Reederei, einer der bekanntesten in der Welt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die White Star Line war 1845 von John Pilkington und Henry Wilson in Liverpool gegründet worden und führend im Passagier- und Frachtdienst zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Germanic war das Schwesternschiff der Britannic, beide waren Passagierschiffe. Für einige Zeit war die Britannic das größte Schiff der White Star Line, Werftchef Edward J. Harland hatte es eigens entworfen, um die Konkurrenz zu übertrumpfen. Die Gründer der kühnen Reederei, vor allem Wilson, trieben den Schiffsmarkt vor sich her mit immer neuen Plänen und entwickelten immer größere, sicherere und schnellere Schiffe. Das war der Geist des Jahrhunderts, der Zeit der Industrierevolution und der Dampfschiffe.

Die Germanic lief am 15. Juli 1874 bei Harland & Wolff in Belfast, der Hauptstadt von Nordirland, vom Stapel. Am 20. Mai 1875 ging sie auf ihre Jungfernfahrt von Liverpool aus nach New York. Im Sommer des Jahres holte sie mit einer Geschwindigkeit von 14,65 Knoten das Blaue Band der Atlantiküberquerung, im April 1876 konnte sie den Rekord sogar noch etwas steigern, zudem hatte sie mit einer Rekordfahrt in Ost-West-Richtung 15,76 Knoten geschafft. Die Briten jubelten.

Das Schiff war 142,64 Meter lang und 13,77 Meter breit, die Tonnage war mit 5008 BRT vermessen worden. Angetrieben wurde es mit Verbunddampfmaschinen, was in dieser Zeit am innovativsten war. Die Maschinenleistung erreichte 5000 PS (3677 kW), auf einen Propeller wirkend, die Höchstgeschwindigkeit 15 Knoten (26 km/h). Die Transportkapazitäten waren für diese Periode umfänglich: 220 Passagiere in der Ersten Klasse, 1500 in der Dritten Klasse.

1895 hielt man es bei White Star für angemessen, die Germanic umzubauen. Sie erhielt ein Extradeck und ihre Schornsteine wurden verlängert, dadurch konnte die Tonnage auf 5066 BRT erhöht werden. Das Schiff gehörte nun auch von der Gestaltung her zur Spitzenklasse.

Foto: Sammlung JSA

Am 13. Februar 1899 kam es zu einem dummen Unfall in New York, das Schiff wurde mit Kohle so überladen, dass es kenterte. Nach Bergung brachte man es in die Belfaster Werft zur Sanierung, aus der man es nach mehr als drei Monaten am 7. Juni 1899 wieder entließ. Allerdings gehörte es inzwischen nicht mehr zu den Schnellsten und Schicksten im Wettbewerb der Dampfer, die Konkurrenz war unbarmherzig. Im Oktober 1903 wurde es aufgelegt. Immerhin setzte man es 1904 für vier Charterreisen unter der Führung der American Line von Southampton nach New York ein.

1905 übernahm die Dominion Line in Liverpool die Germanic für ihren Liverpool-Montreal-Dienst vom 27. April des Jahres an. Das Schiff wurde in Ottawa umbenannt, die beiden Klassen an Bord löste man auf, was als sozial und modern galt. Auf dieser Linie war das Schiff bis 1909 ständig unterwegs.

Die Dominion Line konnte jedoch die Ottawa nicht halten, sie schickte das Schiff nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Die Überführung wurde am 15. März 1911 vollzogen. Die Konstantinopeler Denizbank DenizyollariIdaresi kaufte das Schiff, nun wurde es umbenannt in Gul Djemal. Ihr Dienstrevier war für vier Jahre lang ausschließlich das Schwarze Meer. Im Ersten Weltkrieg, in dem die Türkei die deutsche Seite unterstützte, wurde sie am 3. Mai 1915 von dem britischen U-Boot E 14 torpediert, sank daraufhin, konnte aber wieder gehoben werden.

Am 6. Oktober 1920 war es für die einst häufige New-York-Besucherin zum ersten Mal wieder möglich, dorthin zu fahren. Es begann der Liniendienst Konstantinopel-New York, das ging bis in den Herbst 1921.Danach wurde die Gul Djemal im November zeitweise aufgelegt, sie war längst schon nicht mehr die Jüngste. 1928 änderten die Türken ihren Namen in Gulcemal, danach war sie über Jahrzehnte nicht mehr präsent in der internationalen Schifffahrt, man ließ sie verrotten.

Erst am 16. November 1950 erreichte das Schiff, das einst als Germanic in Betrieb genommen wurde, das sizilianische Messina, wo die Abwrackarbeiten begannen. Germanic heißt im Englischen „keine Steigerung“, aber das Schiff hat viele Jahre mehr als andere Schiffe ihren Dienst getan und allerlei Strapazen überstanden. Nach 76 Jahren war es nun zu Ende.

Roland Mischke, maritimes Lektorat: Jürgen Saupe

Das Schiff mit den zwei Gesichtern

Die „Belgenland“ war ein Transatlantik-Dampfschiff der belgisch-amerikanischen Reederei Red Star Line, mit dem es schnell zu Ende ging.

Dieses Schiff war in seiner Zeit zu groß – es war überdimensioniert und hatte deshalb kein langes Leben. Dabei hatte alles gut angefangen mit dem Luxusliner unter der belgischen Registernummer 140517. Es waren die Jahre, in denen der Wettbewerb um die größten und schnellsten Schiffe für die Atlantikpassage tobte, der Untergang der RMS Titanic im April des Jahres 1912, der 1495 Menschen das Leben kostete, war schnell wieder vergessen.

Swimming Pool, BELGENLAND, 1925-1927, Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Die Route Antwerpen – New York war beliebt, sie wurde von der Lapland der Red Star Line seit 1909 bedient. Die belgisch-amerikanische Reederei schwenkte im Kampf um die Gäste und immer höhere Einnahmen auf einen expansiven Kurs um, finanziell beteiligt war auch das Königreich Sachsen-Coburg. Die stärkste Konkurrenz war die Holland Amerika Line in den Niederlanden, der wollte man den Schneid abkaufen. Die Planung und Entstehung der Belgenland war ganz eindeutig an der Olympic und Titanic, den größten Schiffen dieser Zeit, ausgerichtet. Die Belgier hatten allerdings keineswegs die technischen Voraussetzungen, um ein solches Riesenschiff zu bauen. Der Auftrag ging deshalb an die Schiffswerft Harland & Wolff in Nordirland, 1851 in Belfast gegründet und mit 30.000 Mitarbeitern in ihrer Glanzzeit eine der größten Werften Europas; dort war auch die Titanic gebaut worden.

Dining Room, LAPLAND, 1910,
Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Am 31. Dezember 1914 wurde das als Bau-Nr. 391 geführte Schiff unter dem Namen Belgenland vom Stapel gelassen, 1917 kam es im Transatlantikdienst unter dem Namen Belgic in Fahrt. Es war bei 213,3 Meter Länge und 23,88 Meter Breite mit 24547 BRT vermessen und mit der Antriebs-Technik von damals ausgestattet: mit einer Dreifachexpansions-Dampfmaschine, einer Niederdruck-Abdampfturbine und drei Propellern. Mit 18500 PS fuhr das sich durch sein Kreuzerheck auszeichnende Schiff mit 18 kn (33 km/h) über die Meere. Es wäre das größte Passagierschiff der Welt geworden, für 2500 Menschen war Platz in den Kabinen und auf den Decks – doch durch den Ersten Weltkrieg kam alles anders.

Belgien war in diesem Krieg zum Schlachtfeld geworden, Antwerpen wurde von der kaiserlich-deutschen Armee okkupiert. In jenen Jahren konnte das Schiff nicht übernommen werden. Da Großbritannien dringend Schiffsraum benötigte, wurde das als Passagierdampfer konzipierte Schiff mitten im Krieg provisorisch fertiggestellt, umgebaut, erst als Frachter, dann als Truppentransporter. Die Bereederung übernahm die britische White Star Line, die das Schiff außen und innen in eine ganz neue Form brachte. Statt der drei geplanten Schornsteine wurden dem Schiff nur zwei aufgesetzt, die anspruchsvollen Aufbauten strich man ganz, das Schiff wurde optisch als skurril empfunden.

Nach dem Krieg wurde es kurzzeitig und karg aufgehübscht als Passagierschiff eingesetzt, allerdings nur für Reisende der III. Klasse. Erst 1923 war es für die Red Star Line möglich, ihr Flaggschiff wieder zu übernehmen und mit seinem ursprünglichen Namen Belgenland zu versehen. Jetzt sollte es zum Superliner ausgebaut werden und auf dem Nordatlantik als Nonplusultra unter den Kreuzern gelten. In der Tat war es in jener Zeit ein einzigartiges Schiff, imposant und auch auf Winterrouten einsetzbar.

Die Band der BERGENLAND posiert für ein Foto, ca. 1925. Foto: Collection City of Antwerp, Friends of the Red Star Line vzw

Zunächst war die weiterhin in Liverpool registrierte Belgenland nach den ursprünglichen Plänen zum Luxusliner umgebaut und das dadurch auf 27132 BRT vergrösserte Schiff vor allem auf der Transatlantikstrecke eingesetzt worden. Später absolvierte sie als Kreuzfahrtschiff sechs Weltumrundungen, an denen britische und amerikanische Touristen und Geschäftsleute teilnahmen. Platz war für 500 Passagiere der Ersten Klasse, für 600 der Zweiten Klasse und 1500 der Touristenklasse. Bis 1936 war sie als eines der größten Schiffe der Welt unterwegs. Weil sie vorübergehend zur Belgic geworden und das Äußere so stark verändert worden war, sprach man auch von dem „Schiff mit den zwei Gesichtern“.

Die Belgenland erhielt eine attraktive Ausstattung. Es gab einen großräumigen Gesellschaftssalon, eine Bibliothek, Gymnastikraum und einen Swimmingpool. In der mit Palmen dekorierten Empfangshalle fand das gesellschaftliche Leben auf dem Schiff statt, das Bordorchester spielte auf und es wurden Tanzabende veranstaltet. Man konnte sich in einen Rauchsalon zurückziehen, in ein Verandacafé oder auf dem weitläufigen Promenadendeck spazieren. Der über 370 Plätze verfügende Speisesaal galt als „ultramodern“, die Passagiere ließen sich an Tischen mit zwei, vier oder sechs Stühlen nieder. Zudem gab es separate Lounges für Superreiche oder private Tischgesellschaften. Die Kabinen der Ersten Klasse boten fließend warmes Wasser und es waren immer dienstbare Geister zur Stelle.

Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Die Belgenland galt vor allem in den „wilden Zwanzigern“ als außergewöhnliches Schiff, sie konnte mit den berühmten White Star-Liner mithalten. Ein goldener Käfig für reiche Zeitgenossen, die sich überschwänglichen Komfort leisten konnten. Es herrschten noch arge koloniale Vorurteile, mit denen die glamourös Reisenden manchen Volksgruppen blasiert begegneten, und es dominierte eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich. Am 4. Dezember 1924 gab es eine Weltreise von 133 Tagen, das hatte es auf einem Luxusdampfer zuvor noch nicht gegeben. Die Belgenland wurde daraufhin als „The Largest Ship to Circle the Globe“ beworben.

Einer der Passagiere war im März 1933 Albert Einstein, der nach dreimonatigem Aufenthalt in Amerika mit seiner Frau Elsa, seiner Sekretärin und einem Assistenten die Rückreise nach Deutschland angetreten hatte. Bereits an Bord erfuhr er, dass Adolf Hitler Reichskanzler geworden war, woraufhin er sich mit einem Schreiben von der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften mit einem Rücktrittsgesuch verabschiedete. Er kehrte nicht nach Berlin zurück, sondern fuhr mit einem anderen Dampfer der Red Star Line, der Westernland, von Antwerpen wieder in die USA.

2. Klasse-Passagiere aus der Schweiz auf dem Außendeck der BELGENLAND, 1925-1927,
Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Gegen Ende der 1920-er Jahre wurde die Red Star Line von der Weltwirtschaftskrise massiv getroffen. Das Unternehmen konnte sich nicht davon erholen, die Konsequenz war der Abschied von der Belgengrad. Im März 1933 brach das Schiff zum letzten Mal von New York auf nach Southampton, Le Havre und Antwerpen. Im Sommer des Jahres fanden noch drei Mittelmeerkreuzfahrten statt, aber der Atlantik wurde nicht mehr überquert. Im September 1933 legte man die Belgenland im Port of London an der Themse auf.

Außenbereich der BELGENLAND, Aktivitäten an Deck, 1923, Foto: Collection City of Antwerp, MAS

Dort blieb das Schiff bis 1935, dann wurde es an die amerikanische Atlantic Transport Company verkauft und von der ihr unterstellten Panama-Pacific-Line unter dem Namen Columbia als Kreuzfahrtschiff eingesetzt. Die Idee war, Passagiere ab New York in Kreuzfahrten über den Panamakanal nach Kalifornien zu bringen. Das lief schlecht an, so dass die Alternative nur Kreuzfahrten in der Karibik sein konnten. Dafür war die Belgenland/Columbia allerdings zu groß, es gab Probleme auf den Routen. Die Atlantic Transport Company gab auf, das Schiff wurde ausser Dienst gestellt.

Am 22. April 1936 begann die Fahrt von New York nach Europa, dort kam das Schiff am 4. Mai des Jahres im schottischen Bo’ness an und wurde dem Abbruchbetrieb P & W McLellan zum Abwracken übergeben. Seine Größe hatte dem Schiff zwar einige Zeit Vorzüge eingebracht, am Ende war es aber überdimensioniert.

Red Star Line Museum (Antwerpen/Belgien): Diverse Ausstellungen und Sammlungen zur Historie der Red Star Line und ihren Schiffen sowie der Geschichte der Auswanderer, geöffnet Di bis So 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr, Infos: www.redstarline.be/de/

Roland Mischke, Maritimes Lektorat: Jens Meyer


Ein fataler Fehler

Die „Andrea Doria“ war zu ihrer Zeit das größte und schnellste Passagierschiff der italienischen Handelsflotte. Im Juli 1956 versank sie im Nordatlantik.

Piero Calamai, ein erfahrener Kapitän im 58. Lebensjahr, hatte eine düstere Ahnung. Die Andrea Doria, die Mitte 1956 bereits 100 Atlantik-Überquerungen erfolgreich absolviert hatte, war nach dem am 17. Juli 1956 von ihrem Heimathafen Genua erfolgten Start nach acht Tagen in Amerika angekommen, vor Nantucket Island, Massachusetts, doch am neunten Tag, 25. Juli 1956, geriet sie in dichten Nebel. Das 1948 in Dienst gestellte schwedische Passagierschiff Stockholm kam auf Parallelkurs entgegen, sein Nebelhorn war nicht zu hören. Calamai hoffte, dass die Schweden das Nebelhorn der Italiener hörten, aber das 11500-BRT-Schiff, kleiner und wendiger, drehte plötzlich ab und kam auf sein Schiff zu. Das geschah 60 Seemeilen vor New York.

Die Stockholm, auf der Reise von New York heimwärts nach Göteborg, hatte einen viel stärkeren Eisbrecherbug. Damit rammte sie die Andrea Doria und riss deren Schiffskörper über 20 m Länge auf. Innerhalb weniger Minuten schossen 500 Tonnen Seewasser in das Schiff hinein – damit war das Schicksal des berühmten Ozeandampfers, der als eines der sichersten Schiffe der Welt galt, besiegelt. Über die Schuldfrage wurde viele Jahre vor Gerichten verhandelt, sie blieb ungeklärt. Klar war nur, dass neben der schlechten Witterung auch Leichtsinn und Technikgläubigkeit zum Untergang des Schiffes führten.

Der nach dem genuesischen Admiral Andrea Doria benannte Luxusliner war im Juni 1951 vom Stapel gelaufen, am 9.12.1952 abgeliefert worden und im Januar 1953 zur Jungfernfahrt gestartet. Das Schiff verfügte über opulenten Platz, es war bei 213,4 Metern Länge, 27,5 Metern Breite und 10,84 m Tiefgang mit 29.083 BRT vermessen. Sein Antriebssystem, zwei ölbefeuerte Kessel und zwei 50714 PS leistende Dampfturbinen, galt in der ersten Hälfte der 1950er Jahre als hochmodern, das Schiff erreichte damit über zwei Festpropeller eine Maximalgeschwindigkeit von 26 Knoten. Mit doppelwandigen Schotten und einem in elf Abteilungen unterteilten Rumpf galt es als eines der sichersten Schiffe auf den Weltmeeren, zudem war es bereits mit dem noch jungen Radarsystem ausgestattet, das aber auch störanfällig war.

Foto: Sammlung JSA

Erstellt wurde es von der Ansaldo-Werft in Sestri Ponente bei Genua als Baunummer 918. Zur Schiffstaufe erhielt es den Segen des Erzbischofs Giuseppe Siri, die Gattin des damaligen Ministers der Handelsmarine Italiens warf die obligatorische Flasche an den Rumpf. Schon auf der Jungfernfahrt geriet das Schiff vor Nordamerika in schwerste Stürme, meisterte aber bravourös die Lage und wurde daraufhin vom New Yorker Bürgermeister persönlich beglückwünscht.

Weil damals die Luftfahrt an Bedeutung gewann, wollte das Schiff mit einem nie dagewesenen Luxus Menschen anlocken. Das gelang, es war fast immer ausgebucht und warb mit mondäner Geselligkeit auf den Meereswogen. Für 1134 Passagiere und 572 Besatzungsmitglieder standen zehn Decks zur Verfügung. Die Gäste verwöhnte man in 31 Gesellschaftsräumen, einem Ballsaal und einem Wintergarten. Für die drei Klassen – Erste und Zweite Klasse sowie Touristenklasse – gab es je einen Swimmingpool, die Waschräume wurden prunkvoll eingerichtet, wie man es noch nie auf einem Schiff gesehen hatte; sie erinnerten an die Bäder im Rom der Cäsaren. Ganz modern waren dagegen die Information der Gäste durch die bordeigene Zeitung, die ihnen zum Frühstück druckfrisch auf die Tische gelegt wurde.

Allein für die Ausstattung und Kunstwerke des Schiffes, darunter eine lebensgroße Bronze-Statue seines Namensgebers, waren mehr als eine Million US-Dollar ausgegeben worden. Es versprach Vergnügungsreisen, wie sie seinerzeit einzigartig waren. Kellner servierten Cocktails in den Lounges, die Bordkapelle spielte auf, an Bord konnte man Tontaubenschießen oder in Liegestühlen dösen, im Schiffsinneren liefen Filme und es gab eine Bibliothek. Immer wieder hieß es, die Andrea Doria sei das schönste Schiff, das je auf die Meere geschickt wurde. Erst später wurden Mängel benannt, so neigte das Schiff insbesondere bei fast leeren Treibstofftanks zu Krängungen, Schräglagen die ein gravierendes Problem für die Stabilität und damit für Seetüchtigkeit und Sicherheit werden konnten.

Foto: Sammlung JSA

Am letzten Tag der Andrea Doria waren die Reisenden schon gespannt, einige machten sich bereits fertig, um durch Ferngläser die Fackel der Freiheitsstatue vor New York zu sichten. 22.45 Uhr sieht der in Italien als bester Kapitän geehrte Piero Calamai, aus altem Seeadel, auf dem Radar das 17 Meilen entfernte Schwedenschiff. Er unternimmt nichts, es gibt keine Kommunikation über Funk und auch die Offiziere halten offenbar eine Überprüfung für unwichtig. Die exakt geplante Annäherung der Schiffe war damals noch nicht möglich, es gab keine „true motion“-Geräte, die Geschwindigkeit und Kurs anderer Schiffe genau erfassten. Calamai verlässt sich auf seine Erfahrung, reduziert die Geschwindigkeit nur leicht von 23 auf 21,8 Knoten und lässt das Nebelhorn einschalten sowie den Kurs nur wenig Grad nach Süden ändern.

Foto: Sammlung JSA

Zugleich begehen die Schweden offensichtlich einen Fehler, als sie vermuten, dass die Andrea Doria, inzwischen auf zwölf Meilen nahe, an Backbord aufkommt und sie deshalb ihren Kurs um ca. 20 Grad nach Steuerbord ändern, um den Passierabstand an Backbord zu vergrößern. Gegen 23 Uhr sind es nur noch vier Meilen, der Rechtsverkehr auf See muss eingehalten werden – und jetzt hätte Calamai sicherheitshalber ein paar Grad in Richtung der offenen See gehen können. Das ordnet er nicht an, die Kollision war nach dem Insichtkommen der Gegner aus dem Nebel auch durch die eingeleiteten Manöver letzten Augenblicks nicht mehr zu stoppen. In der späteren Analyse hieß es, beide Schiffe seien zu schnell gefahren und beide Seiten hätten die Radarbilder falsch gedeutet.

Die Andrea Doria erlitt starke Schlagseite, wodurch nur die Hälfte der Rettungsboote auf das Wasser gebracht werden konnte. 1660 Passagiere überlebten, weil außer der Stockholm vor allem auch andere in der Nähe befindliche Schiffe zahlreiche von ihnen aufnehmen konnten. 46 Menschen von Bord der Andrea Doria starben. Am Morgen des nächsten Tages konnten einige der Überlebenden aus der Ferne noch sehen, wie das Schiff im Meer versank.

Piero Calamai hat das Unglück nie verkraften können, seine Reederei ließ ihn fallen, er verfiel in Depressionen. Der Kapitän starb 1972 im Gram. Die Stockholm, auf der es 5 Todesopfer gab, lief vom Kollisionsort zurück nach New York, wo der zerstörte Bug repariert wurde. 1960 wurde sie an die DDR verkauft, dort fuhr sie bis 1985 unter dem Namen Völkerfreundschaft. Nach zahlreichen weiteren Eigner- und insgesamt 11 Namenwechseln ist sie seit 2016 als Astoria nach wie vor ein beliebtes Kreuzfahrtschiff.

Roland Mischke

Auf allen Ozeanen

Die Achille Lauro wurde 48 Jahre alt, sie hatte eine bewegte Vergangenheit.

Die Holländer waren stolz auf dieses Schiff. Alte Schule, ein Traum aus Stahl, hieß es in niederländischen Zeitungen. Am 25. Januar 1939 war die Kiellegung auf der „De Schelde Scheepswerf“ in Vlissingen. Wegen der Kriegswirren lief es erst am 1. Juli 1946 vom Stapel, es erhielt den Namen Willem Ruys. Er war der Gründer des Koninklijke Rotterdamsche Lloyd. Die Willem Ruys war Ende 1947 fahrklar und wurde als Linienschiff zwischen Rotterdam, Southampton, Suez, Port Said, Colombo, Singapur und Djakarta auf der Ostindienroute eingesetzt. Es war sehr beliebt bei holländischen Familien, die meist zu Verwandten im damals unter orangefarbener Flagge stehenden Indonesien reisten. Für damalige Verhältnisse war die Willem Ruys gut ausgestattet, mit Speisesälen, Mahlzeiten in zwei Sitzungen, Bar, Bordmusik, Kino, Pool und einem Kindergarten. Doch nach der Unabhängigkeit Indonesiens 1949 fielen die Passagierzahlen rasant, so dass das Schiff dann zwischen Kanada, Australien und Neuseeland zum Einsatz kam und bald zum Verkauf stand.

Foto: Archiv Udo Horn

Es war damals 192 Meter lang, 25 Meter breit, mit einer Tonnage von 21.114 BRT und wurde 1965 an die italienische Lauro Line übergeben. Die ließ die Willem Ruys modernisieren, das Außenbild veränderte sich völlig. Die breiten und flachen Schornsteine wurden demontiert, schmale und hohe Aufbauten aufgesetzt, der graue Rumpf blau angestrichen und der Bug schnittig gestaltet. Im Inneren kam es zu dezentem Luxus.

Es erhielt den Namen Achille Lauro, fuhr erst im Liniendienst nach Sydney, ab 1972 wurde es nur noch für Kreuzfahrten benutzt. Der Schiffsname stammt von dem 1887 geborenen Achille Lauro, der als Unternehmer einige Jahre Bürgermeister von Neapel war, als Politiker zu monarchistisch orientierten Neofaschisten gehörte und dessen Flotte in den letzten Jahren vor seinem Tod 1982 in den wirtschaftlichen Ruin trudelte. Ihm wurden mafiöse Verbindungen nachgesagt.

Am 7. Oktober 1985 befand sich die Achille Lauro auf einer Traumkreuzfahrt im östlichen Mittelmeer vor der ägyptischen Küste. Vor Alexandria brachten vier palästinensische Terroristen das Schiff in ihre Gewalt. Sie drohten es in die Luft zu sprengen, wenn ihre Forderung nach Freilassung von 51 in Israel inhaftierten Gesinnungsgenossen nicht erfüllt würde. Anführer der Entführung war Mohammed Abu Abbas, der später in Abwesenheit zu mehrfacher lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Foto: Archiv Udo Horn

Nach drei Tagen Irrfahrt verhandelten die ägyptischen Behörden mit den Entführern vor Port Said. Das hätte womöglich gut ausgehen können, wären die Geiselnehmer nicht ihrem Judenhass gefolgt. Als sie wussten, dass der 69 Jahre alte US-Bürger Leon Klinghoffer Jude war, erschossen sie ihn und warfen den Toten mit seinem Rollstuhl über Bord. Der damalige Kapitän Gerardo DeRosa konnte den Mord nicht verhindern. Das Drama wurde 1990 von Hollywood verfilmt, Burt Lancaster spielte in dem Film „Achille Lauro“ die Rolle Klinghoffers.

Die Ägypter ließen die Terroristen zum Ärger der Amerikaner nach Tunesien ausfliegen, mit US-Militärjets wurde das Flugzeug zur Landung in Sizilien genötigt. Italienische Behörden schoben Anführer Abu Abbas nach Jugoslawien ab, wo sich die Spur des Terroristen verlor. Im Golfkrieg 2003 wurde er in Bagdad gefasst und in amerikanische Gefangenschaft gebracht. Dort starb er 2004 an Herzversagen im Alter von 56 Jahren. Die anderen Entführer erhielten in Italien lange Gefängnisstrafen.

Foto: JSA

Es war weltweit der erste Terrorangriff auf ein Kreuzfahrtschiff, der dann zu einer massiven Änderung der Sicherheitskonzepte für Kreuzfahrten bis zum ISPS-Code führte.

Das Ende der Achille Lauro war tragisch, als sie auf der Fahrt von Genua nach Durban mit 572 Passagieren und 408 Besatzungsmitgliedern an Bord 30 Seemeilen östlich des Horns von Afrika im Indischen Ozean vor Somalia kreuzte. Im Maschinenraum war am 30. November 1994 ein Feuer ausgebrochen, es konnte nicht unter Kontrolle gebracht werden. Als sich der Brand über mehrere Decks ausweitete, wurde das Schiff evakuiert, mehrere Schiffe reagierten auf die SOS-Rufe, darunter die Hawaiian King sowie zwei Schiffe der United States Navy. Sie nahmen mit Rettungsbooten Passagiere und Mannschaft auf, versorgten sie medizinisch und brachten sie nach Mogadischu. Bis zum 2. Dezember wurde versucht, das Schiff über Wasser zu halten, doch die Fluten aus Löschwasserpumpen übergossen den Kreuzer, er bekam zehn Grad Schlagseite. Als das Schiff von einem Schlepper in Küstennähe gezogen werden sollte, kam es plötzlich zu einer Explosion. Zehn Minuten später war die Achille Lauro unter der Wasseroberfläche verschwunden.

Foto: Sammlung JSA

Drei Personen kamen bei dem Unglück ums Leben. 2004 wurden Kapitän Giuseppe Orsi und die drei höchsten Schiffsoffiziere von einem Gericht in Neapel wegen „Verfehlungen“ zu zweieinhalb und dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Roland Mischke

Dampfschiff im Feuer

Liner, Truppentransporter und Kreuzfahrtschiff: die Yarmouth Castle hatte mehrere Leben und war solide. Nur einmal nicht, das führte zu einer Katastrophe.

Der kanadische Songwriter Gordon Lightfood schrieb 1969 ein Lied über das Schiff, das Opfer einer Tragödie wurde. „Ballad of Yarmouth Castle“ schildert eine groteske Falle für Menschen, die dem Horror nicht mehr entkommen konnten. Das Schiff versank 1965 in einem rasenden Feuerball 120 Meilen östlich von Miami und 60 Meilen nordwestlich von Nassau.

1927 war das 115,6 Meter lange und 17 Meter breite Schiff im Auftrag der Reederei Eastern Steamship Lines von der Werft William Cramp and Sons in Philadelphia gebaut worden. Es wurde im Liniendienst zwischen New York, Boston und dem kanadischen Yarmouth in Nova Scotia eingesetzt. Getauft worden auf den Namen Evangeline pendelte es ab 1942 als von der US-Army eingezogener Truppentransporter zwischen San Francisco und Kriegsschauplätzen im Pazifik und wurde auch als Lazarettschiff genutzt. Nach Kriegsende übergab man den Dampfer, der mit der Höchstgeschwindigkeit von 18 Knoten (33 km/h) unterwegs war, wieder an die Reederei.

Fast fünf Jahre dauerte die Generalüberholung. Die meiste Zeit lag das Schiff am Pier 18 im Hafen von Hoboken nahe New York, in den Jahren danach fuhr es unter den Flaggen von Liberia und Panama.

1964 ging es an die amerikanische Chadade Steamship Company mit ihrem Schiffsmagnaten Jules Sokoloff, der mit dem Schiff Großes vorhatte. Er benannte es in Yarmouth Castle um und ließ es neu ausstatten, betrieben wurde es fortan als Kreuzfahrtschiff.

Doch bereits ein Jahr später kam es zu dem furchtbaren Unglück. Nachdem die Yarmouth Castle am 12. November 1965 mit 376 Passagieren und 176 Besatzungsmitgliedern vor den Küsten der Bahamas kreuzte, war für den darauffolgenden Tag die Ankunft in Nassau geplant. Für den 35 Jahre alten griechischen Kapitän Byron Voutsinas sollte der 13. November ein Unglückstag von größter Tragweite werden. Denn neben seinen eigenen Fehlern unterliefen auch der Besatzung in dieser Nacht noch Dutzende Fehler an Bord, die sich zur Katastrophe ausweiteten. Die Besatzungsmitglieder waren hochgradig fahrlässig, es war ein totales und verheerendes menschliches Versagen. Das führte zu einem der größten zivilen Schiffsunglücke der Welt. Immerhin war die Tragödie der Anlass für umfassende neue gesetzliche Regelungen für die Schiffsfahrt und die Sicherheit auf See.

Das Feuer an Bord war gegen Mitternacht auf dem Hauptdeck entstanden, in Raum 610. Ein Wachmann hatte zwischen 00.30 und 00.50 Uhr eine Sicherheitspatrouille durchgeführt, dabei nahm er den Brandgeruch nicht wahr oder nicht ernst. Der Raum wurde als Lagerraum genutzt, dort hatte man Stühle, Matratzen und andere Materialien untergebracht, alle leicht brennbar. Die exakte Feuerquelle konnte nie bestimmt werden, eine Jury entschied nach dem Unglück, dass ein defektes Kabel mit sprühenden Stromfunken zum Feuer geführt haben könnte. In dem Raum war kein Sprinkler installiert.

Als etwa ein Uhr morgens Rauch und Hitze bemerkt wurden, hatte sich das Feuer schon beträchtlich ausgeweitet, der Alarm konnte nicht mehr ausgelöst werden. Versuche, den auflodernden Brand mit Feuerlöschern zu bekämpfen, waren sinnlos. Die Brücke erhielt die Information „Feuer an Bord“ erst 01.10 Uhr, um 01.20 Uhr befahl der Kapitän, das Schiff zu stoppen. Der Funker konnte keinen Notruf aussenden, weil der Funkraum bereits Feuer gefangen hatte.

01.25 gab der Kapitän den Befehl, das Schiff zu verlassen. Die meisten Passagiere schliefen bereits und waren nur schwer aufzuwecken, weil die Alarmanlage nicht funktionierte; das PA-System war ausgefallen. Das einzige Notfunkgerät befand sich in einem Rettungsboot, konnte aber wegen der Flammen nicht erreicht werden.

Foto: Sammlung/Archiv JSA

Daraufhin verließ der Kapitän mit einigen Besatzungsmitgliedern das Schiff, sie setzten sich in ein anderes Rettungsboot. Später erklärte Byron Voutsinas, er habe eines der nahen Schiffe dazu bringen wollen, in der Not zu helfen. In nächster Entfernung befanden sich der finnische Frachter Finnpulp und das Passagierschiff Bahama Star. Der Kapitän des finnischen Schiffes versuchte drei Mal, die Küstenwachen von Nassau oder Miami über Funk zu erreichen, bis sich Miami endlich meldete.

Die Finnpulp war am schnellsten bei der Yarmouth Castle, die Bahama Star etwas später. Wegen des lichterloh brennenden Feuers mussten beide Schiffe 100 Meter Abstand halten. Von Rettungsbooten aufgenommen werden konnten manche Passagiere nur, indem sie über die Reling ins Wasser sprangen und zu den Booten schwammen, wobei einige ertranken. Die Hubschrauber der US-Küstenwache kamen viel zu spät.

462 Passagiere wurden gerettet – 288 Passagiere und 174 Besatzungsmitglieder –, einige mussten wegen Brandverletzungen in Nassauer Krankenhäuser geflogen werden. 87 Menschen erstickten oder verbrannten, drei weitere erlagen später ihren Verletzungen. Nach 6 Uhr am Morgen versank die Yarmouth Castle im Atlantik.

Der Dampfer existierte 38 Jahre lang. Die Yarmouth Castle war offenkundig nicht ausreichend um- und ausgerüstet worden. Zudem war das Fahrgastschiff noch nicht nach dem technischen Fortschritt umgebaut worden. Bei dem Veteran auf dem Wasser genügte offenbar ein Kurzschluss im Leitungsnetz zum Untergang.

Neben Stürmen, Nebel, Untiefen und dem Klabautermann fürchten Seeleute am häufigsten Feuer an Bord. Unzureichende Brandbekämpfungsmittel und mangelhafte Löschwasserpumpen können die Feuerbrunst verstärken. Die Hauptursache für das Chaos ist aber manchmal die Disziplinlosigkeit der Verantwortlichen.

Das war auf der Yarmouth Castle der Fall. Gerettete Passagiere berichteten von defekten Feuerlöschern, verrotteten Davits und nicht vorhandenen Rettungsinseln. Am schlimmsten war das Versagen der Besatzung. Im ersten Rettungsboot, das vom finnischen Frachter Finnpulp aufgefischt wurde, fanden sich neben 20 Besatzungsmitgliedern nur vier Passagiere.

Roland Mischke