Die Corona-Pandemie hat den Kreuzfahrtmarkt auf den Kopf gestellt. Die einstige Nimbus der Immunität gegen Krisen ist pulverisiert worden. Ein guter Gradmesser der Lage ist der Auftragsbestand von Kreuzfahrtreedern bei Werften. Er sinkt seit einem Jahr kontinuierlich. Bei Ausbruch der Pandemie im März 2020 waren 110 Hochseekreuzfahrtschiffe bei Werften weltweit bestellt. Nach zwei Jahren ist dieses Polster abgeschmolzen.
Nach der Übersicht der „Cruise Industry News“ sind aktuell noch 72 Schiffe mit zusammen 162750 Betten (Lower Berths) bei Werften bestellt. Das Auftragsvolumen beträgt 45,5 Milliarden Dollar. Letztes Schiff ist eines der LNG-Kreuzfahrtschiffe mit 205000 BRZ für MSC im Sommer 2027. Damit hat das Orderbook seit Jahren wieder die Marke von 80 Neubauten unterschritten.
Zum Vergleich: Im Mai 2021 lag das Auftragspolster der Werften noch bei 102 Kreuzfahrtschiffen mit 208963 Betten und einem Investitionsvolumen von 60,7 Milliarden Dollar. 2019, auf dem Peak der Entwicklung, waren 114 Schiffen für 66,3 Milliarden mit 247640 Betten in den Auftragsbüchern.
Wie geht es weiter? Aufträge kamen zuletzt vor allem aus dem Bereich der Expeditionskreuzfahrten oder von Privatreedereien wie MSC. Die Schweizer Reederei kann gerade auch ohne langwierige Kreditverhandlungen Neubauten finanzieren, da das Unternehmen aus Genf im Bereich der Containerschiffe erhebliche Gewinne erzielt. Von zweistelligen Milliarden-Summen ist da pro Jahr die Rede.
Insgesamt sind 72 neue Kreuzfahrtschiffe noch bestellt bei den Werften. (Symbolfotos)
Bei den drei großen börsennotierten Kreuzfahrtreedereien Carnival, Royal Caribbean und NCL haben sich 2020 und 2021 Verluste von 30,46 Milliarden Dollar angehäuft. Immerhin fiel der Verlust 2021 mit 13,51 Milliarden Dollar 20,2 Prozent bei dem Trio niedriger als 2020 aus. 2019 hatten die drei noch zusammen 6,5 Milliarden Dollar Gewinn eingefahren. 2023 ist die „Schwarze Null“ wieder im Fokus.
Die klassischen Kreuzfahrtreedereien stecken deshalb noch voll im Strudel der Pandemie-Folgen. Die börsennotierten Unternehmen leiden unter erheblichen Krediten, die sie für die Finanzierung ihrer Bestandsflotten sowie die Neubauten aufgenommen haben. „Neubaubestellungen größerer Art sind nicht vor Ende des Jahrzehnts zu erwarten“, ist immer wieder in der Szene zu hören.
Ein Symbol der Entwicklung sind die Schwierigkeiten mit dem Verkauf des zu 75 Prozent fertiggestellten Neubaus Global Dream bei den MV Werften. 2019 wäre so ein Rohbau sofort in eine neue Reederei gekommen. Die Finanzierung durch den Kapitalmarkt wäre überhaupt kein Problem.
2022 sieht die Lage grundlegend anders aus. Die für eine Milliarde Euro bestellte Global Dream wird inzwischen schon zu einem niedrigen dreistelligen Millionen-Wert taxiert. Interessenten gab es aber auch dafür aber dennoch keine.
Interessant ist bei dem Vergleich der Neubaulisten auch der „statistische Trend“ zu größeren Schiffen. So ist die Durchschnittsgröße der 72 aktuell in Bau befindlichen Schiffe mit 94637 BRZ und 2260 Passagierplätzen (Lower Berths) etwas höher als im Mai 2021. Damals lag die Durchschnittsgröße laut „Cruise Industry News“ noch bei 87381 BRZ mit 2049 Betten pro Schiff.
Die großen Kreuzfahrtwerften Fincantieri, Chantiers de l’Atlantique und Meyer diversifizieren dennoch fleißig. Als Reaktion haben sie sich inzwischen die Werften auch auf andere Geschäftsfelder ausgerichtet. Alle drei Werften intensivieren den Bau von Marineschiffen. Hier gab es in den letzten Monaten signifikante Neubauaufträge. FB