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Leben in altehrwürdigen Kulissen

In Valletta, der Inselkapitale von Malta, sollte man viel zu Fuß gehen. So erschließt sich die Stadt am besten. Roland Mischke hat sich dort auf den Weg gemacht


Fotos: enapress.com, Mike Louagie/louagie.be


Unterwegs auf dem Küstenpfad außerhalb der Stadtmauer, der direkt am Meer entlang führt, fallen dem Stadtwanderer auf einmal die bunt gestrichenen Holzerker auf. Rot, gelb, grün, blau getüncht. Es gibt sie überall auf Malta, aber hier, wo sie meist direkt über dem Wasser hängen, wirken sie besonders. Was für einen Aufwand haben die Handwerker getrieben, um die hölzernen Erker an die Häuser anzubringen. Und was für ein Gefühl muss es für die Bewohner sein, von ihrem Erker aus auf die Wellen und die dahinterliegende Weite des Mittelmeers zu schauen.
Man kann in Valletta die Fähre nehmen, ein Taxi oder ein Wassertaxi, um voranzukommen. Es gibt Leihfahrräder und Mietautos. Aber wer das vielfältige, steinige und hügelige und dazu noch im historischen Teil strikt verwinkelte Valletta wirklich kennen lernen will, sollte die Stadt per pedes erkunden. Die Eindrücke sind überwältigend.
Da sind zum Beispiel Vittorioso, Senglea und Cospicua. Da faszinieren schon allein die Stadtnamen. Die drei Städtchen heißen zusammen Cottonera, weil sie gemeinsam auf einem Festungswall stehen. Die Malteser nennen sie meist nur „Three Cities“. Man setzt sich in Valletta auf die Fähre und schippert in zehn Minuten hinüber. Die Bootsfahrt geht durch den Dockyard Creek, der für sich schon eine Attraktion ist. Man fährt an Schiffen vorbei. Mondäne Yachten und riesige glänzende Kreuzfahrtschiffe liegen vor Anker. Ausstieg an der Hafenpromenade, umgeben von altem Gemäuer. Unterhalb der Promenade in Vittorioso gelangt man über eine schmale Treppe zum Fort St. Angelo. Dort gibt es, wie Einheimische bestätigen, den schönsten, weil unverbauten Blick auf die Altstadt von Valletta. Sie ist so verschachtelt, überbaut und doch so anmutig, dass man sein Herz schlagen spürt. Die Stadt hat die fünftgrößte Bevölkerungsdichte der Welt. Was hat Valletta – ein Trittstein nach Afrika, das nächste Stück Europa ist das 90 Kilometer entfernte Sizilien – schon alles erlebt! Wer hinschaut, sieht mehr.

Maltas bewegte Historie

Valletta, seit 1980 Welterbe der UNESCO, liegt auf der Landzunge Monte Sciberras, umschlossen von den zwei größten Naturhäfen im Mittelmeer. Die Stadt ist eine monumentale Anballung von gewaltigen Bastionen mit ihren Festungsmauern. Das hat nur einen Grund. Sie wurde im Laufe ihrer Geschichte immer wieder belagert, von Phöniziern, Römern, Vandalen, Arabern, Osmanen und europäischen Eroberern. Deshalb wählten die Ritter des Malteserordens den Monte Sciberrras, die höchste Erhebung der Insel, zu ihrer Festungsstadt. Wegen der strategisch günstigen Lage. Auf dem Berg wurde die modernste Militärarchitektur umgesetzt. Papst Pius IV. entsandte 1565 seinen Superbaumeister, Francesco Laparelli, nach Malta, katholische europäische Königshäuser finanzierten großzügig die Stadtgestaltung. Wer durch die wie mit dem Maßband gerade gezogenen, mit gutem Steinwerk gepflasterten Straßen von Valetta läuft, erkennt noch die Reißbrettstruktur. Gebäude verschiedener Baustile flankieren sie, dicht gedrängt.
Die Ritter, sagen ehrfürchtige Malteser, sind der Grund, warum Valletta entstand. Sie waren eher selten mit dem Schwert unterwegs, sondern karitativ. Viele von ihnen als Mediziner, sie machten die Stadt zum Gesundheitszentrum im Namen des Malteserordens mit dem achtspitzigen Kreuz. Privatpatienten aus Adelskreisen hatten hinter dem Krankenbett ein eigenes Plumpsklo. Allerdings wurden ausschließlich Männer behandelt.
Schon 1571 residierte der Malteserorden mit Großmeister Jean Parisot de la Valletta in der neuen Anlage. Sie bestand aus acht unterschiedlichen Adelshäusern, den sogenannten acht Zungen, die jeweils für die Verteidigung einer Bastion zuständig waren. Seither ist Malta nie wieder von einer fremden Macht okkupiert worden. Zwar übernahm Napoleon 1798 die Insel, weil die Malteserritter kampflos kapitulierten. Sie waren klug, so zu handeln, die Gestalt der Stadt blieb erhalten. Im Zweiten Weltkrieg gab es Zerstörungen durch deutsche und italienische Luftangriffe, die bis zu 15 Meter dicken Festungsmauern hielten jedoch dem Bombenhagel stand. Bis heute dominieren die Mauern das optische Bild der Stadt, sie waren mehrfach Kulissen für Filme von Steven Spielberg und anderen.
Der markanteste Profanbau Vallettas ist keine der sage und schreibe 365 Kirchen, sondern der Großmeisterpalast von 1574. Wo einst der Obergeistliche regierte, wird heute Kunst aus dem maltesischen Welterbe präsentiert. Die Empfangsräume sind voller edler Gobelins und Bilder, in der Waffenkammer, dem Palace Armoury, werden rund 6000 Uniformen und Waffen ausgestellt. Der insulare Adel errichtete viele prachtvolle Paläste, die heute zum Teil Museen und Hotels sind.
Eine Menge alter Gebäude wurde im modernen Valletta umfunktioniert. Die gewaltige Festung St. James‘ Cavalier wurde zum Centre for Creativity mit Ausstellungs- und Aufführungsräumen. In der Auberge d’Italie im Barockstil residiert die Touristinformation. Im Palazzo Parisio, den Napoleon zu seiner Residenz machte, ist heute das Außenministerium untergebracht. Die Castellania, Gerichtshaus und Gefängnis der Johanniter, ist Sitz des Gesundheitsministeriums. Die Sacra Infermeria San Spirito war über Jahrhunderte ein Ordensspital mit einem riesigen Balkon und galt als eines der besten Krankenhäuser Europas; nun ist es ein Konferenzzentrum. Fort St. Elmo schließlich, 1552 allein wegen der drohenden Invasion des Osmanischen Reichs gebaut, ist heute das National War Museum. Sämtliche Altertümer werden in irgendeiner Form genutzt. Der großräumige, oft wuchtige Altbau in Valletta blieb bestehen. Selbst das alte Hafengebäude samt Zollhaus wurde nicht abgerissen – es besteht komplett aus Korallenkalk.

Bauen heißt Rekonstruieren

Die zentrale Achse der Stadt ist die autofreie Republic Street, die Flanier- und längste Einkaufsstraße. Zu jeder Supa Festa – ob Nationalfeiertag oder zu Ehren eines Schutzpatrons – wird diese Meile mit Farben, Beleuchtung und Teigtaschenbuden aufgerüstet. Malta ist das katholischste Land Europas, bei den Festas wird kein Termin aus dem Heiligenkalender ausgelassen. Kirchenmänner in leuchtendem Purpur sind immer dabei. Es ist also stets etwas los, es wird gern geböllert und seit die Briten hier waren, mögen die Malteser marschierende Orchester. Seit 1814 war Malta britische Kronkolonie, 1947 wurde es unabhängig.
Es gibt viele britische Einflüsse. Am späten Nachmittag schlürft man einen Gin und rote Telefonzellen werden immer noch gehätschelt. Malteser sprechen Englisch, beten aber im archaisch klingenden Malti, das an die arabischen Vorfahren erinnert. Multikulti ist auf Malta selbstverständlich. Auch die maltesische Küche ist eine Fusion, es gibt Fisch aus dem Mittelmeer, Schnecken wie in Frankreich, aber das Nationalgericht ist „Fenek“, Kaninchen.
Der einstige Steinhaufen Valletta ist ein Freilichtmuseum, alle Sehenswürdigkeiten sind im Stadtgebiet versammelt. Die steilen Straßen erinnern an eine Mittelalterserie, was gebaut wird, ist in der Regel eine Rekonstruktion, die Vergangenheit präsentiert sich als Opulenz. Einzig Stararchitekt Renzo Piano durfte ein spektakuläres Parlamentsgebäude mit wabenartig aufgebrochenen Steinfassaden in die Stadtmitte setzen. Er konnte sogar einem denkmalgeschützten Stadttor an den Upper Barrakka Gardens die steinerne Krone abnehmen. Nun kann man über Treppen auf das Tordach steigen, das sich öffnet zum Himmel und zum Meer. Wie die Straßen, wenn man sie hinunterläuft und plötzlich auf beiden Seiten das Meer aufblitzt.
Überall Schachbrettmusterplätze und -straßen. Mächtige Portale, feiste Türme, Festungsgräben und die Mdina, die ursprüngliche Hauptstadt. Der älteste Teil Vallettas ist zum blitzblanken Gesamtkunstwerk aus Kalkstein in Ocker gestaltet worden, mittendrin Palmen, deren Blätter im Seewind wedeln. Geschichte steht Malta gut. Und dass Valletta 2018 Kulturhauptstadt war, hat vieles verändert. Nur auf den Nachbareilanden Gozo und Comino ist alles beim Alten geblieben.